Das Wort Segnen heisst im Lateinischen «benedicere», wörtlich also: Gutes sagen. Mit diesem Verständnis öffnet sich ein weites Tor für Segenswirkungen. Wenn wir bis zur Schöpfungsgeschichte zurückgehen, können wir eine richtiggehende Segensstafette beobachten. Gott segnet, was er schafft. Und ist damit der Ursprung des Segens und des Segnens.
Wie der Segen beginnt
Gott kommentiert sein Schaffen in sechs Tagen immer wieder mit «Es war gut». Das beginnt bereits mit dem Licht: «Und Gott sah, dass das Licht gut war1.» – «Gut bedeutet in diesem Zusammenhang der Schöpfung 'naturgemäss' oder 'harmonierend' ... Die beabsichtigte Wirkung ist erreicht2.» Begründet Gutes sagen ist somit die Grundform des Segnens.
Über die Finsternis, die Gott anschliessend vom Licht trennt, gibt es keinen entsprechenden Segensspruch. Als gut werden als Nächstes das Land und das Meer eingeschätzt sowie die Pflanzen mit ihrer Fruchtbarkeit. Und es geht weiter: Sonne, Mond und Sterne sind die nächsten guten Taten Gottes. Sie ermöglichen den Rhythmus zwischen Tag und Nacht und dienen als Zeichen für Festzeiten, Tage und Jahre. Offensichtlich segensreiche Rhythmen.
Gehen wir von der Grundstufe des Segnens als «Gutes Sagen» weiter, und kommen wir zum eigentlichen Segnen in der Schöpfungserzählung. Die Wassertiere und die Vögel werden von Gott ausgesprochen gesegnet. Der Segen zeigt sich hier in ihrer Fruchtbarkeit und ihrer Fülle. Schliesslich werden alle anderen Tiere geschaffen und als gut befunden. Diese Landtiere werden mit dem Sammelbegriff «lebensschaffendes Leben» ebenso unter das vorherige Segenswort gestellt.
Der Höhepunkt des Segnens spart sich Gott bis zum Schluss auf. Die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau wird noch deutlicher als direkter, handgreiflicher3 Schöpfungsakt Gottes dargestellt. Offensichtlich ist der Mensch mehr als ein höheres Tier, er ist seinem Schöpfer ähnlich. Mann und Frau bekommen einen ähnlichen Segen zugesprochen. Der Segen ist nun aber zusätzlich und direkt an sie adressiert und verbunden mit dem Auftrag, stellvertretend für Gott die Schöpfung im Auge zu behalten.
Jetzt kann sich Gott zurücklehnen. Sein Gesamturteil heisst nun nicht mehr nur «gut», sondern «sehr gut» – Segen im Quadrat sozusagen. Oder wohl eher: ein dreidimensionaler Segen, der voll in unsere Wirklichkeit passt. Erstaunlicherweise steht auch der folgende Ruhetag unter dem ausgesprochenen Segen des Schöpfers. Er selber hat die Ruhezeit wohl weniger nötig als wir, seine Geschöpfe. Aber er gibt uns ein Vorbild für unser eigenes Schaffen und Segnen.
Zusammengefasst: Die ganze Schöpfung ist vom «Gutes Sagen» und vom eigentlichen Segnen durchwoben. Deshalb sollte es uns nicht erstaunen, dass viele Menschen in der Natur Kraft tanken und so etwas vom innewohnenden Schöpfungssegen erfahren, auch wenn sie dabei nicht mal an Gott denken. Die Schöpfung als Quelle des Segens für unseren Lebensweg haben die irischen Christen neu entdeckt. Lernen wir mit ihnen4, den Segen Gottes in der Natur zu entdecken und ihn in Segensgebeten weiterzugeben: an andere Menschen, an uns und zurück an Gott, den Ursprung alles Segens.
Gott segnet weiter
Der so genannte Sündenfall macht deutlich, dass wir die Schöpfung nicht mehr ausschliesslich als unbeschwerten Segensraum sehen dürfen. Das ist schade. Immerhin: Die Tatsache der Sünde erinnert uns an unsere Freiheit. Wir sind nicht gezwungen, Gott so zu lieben, wie er uns liebt. Wir können und müssen uns für oder gegen unseren Schöpfer entscheiden. Aber: Sogar wenn wir uns gegen ihn stellen, bleiben wir von ihm gesegnet. Bis Gott am Schluss der Geschichte schweren Herzens unsere allfällige Entscheidung gegen ihn ernst nehmen muss5. Gleichzeitig stellt die Tatsache der Sünde uns in die Verantwortung: Wir stehen täglich vor der manchmal schwierigen Wahl zwischen Gut und Böse. Für beides – für unsere Freiheit und unsere Verantwortung – sind wir auf den Segen Gottes angewiesen.
Segen in einem engeren Sinn ist «Zuwendung von göttlichem Heilsgut an Menschen»6. Gott spricht uns das zu, was wir zu unserem Heilsein, zu unserer Heilung, zu unserem Ganzsein brauchen. Und dazu präsentiert uns die Bibel nach der Schöpfungserzählung eine lange Reihe von Beispielen. «Der einmal verliehene Segen kann sich auch auf die Nachkommen, auf den Besitz und die Umwelt des Gesegneten erstrecken und trifft ein, selbst wenn er erschlichen wurde. So wird der Gesegnete selbst Ausgangspunkt göttlichen Segens7.»
Damit das geschehen kann, ist es gut, wenn wir diesen Segen Gottes nicht nur in der Schöpfung sondern auch in unserem Leben entdecken, sogar dann, wenn er unter Schwierigem verborgen ist. Bekanntlich ist es nach dem Sündenfall Gottes Grundstrategie, das Böse durch das Gute zu überwinden. Ja, sogar aus Bösem Gutes zu wirken, ohne das Böse zu beschönigen. Karfreitag ist die Sternstunde dieser göttlichen Strategie und dieses ewigen Segens, unter den wir uns wir immer wieder stellen können.
Nun, dieses Segenswirken beginnt bereits mit unserer Geburt. Obwohl bei unserer Mutter mit Schmerz verbunden, ist sie ein Ausdruck göttlichen Segens, ein Ausdruck seines schöpferischen Wirkens. Das weiss jede schwangere Frau in ihrem Herzen. Darum ist die Möglichkeit einer Abtreibung keine weibliche Idee und auch kein Kriterium für echten Feminismus8. Dahinter steht meist ein Mann. Oder ein Wirtschafts- und Beschäftigungssystem, das frauenfeindlich organisiert ist.
Für meine Eltern war ich trotz allem Ärger, den ich ihnen in meiner Kindheit bereitet habe, ein Segen. Und wenn ich auf meine gut 70 Jahre zurückblicke, dringt der Segen aus allen Ritzen – trotz manch schwierigen Zeiten.
Im Verlaufe meines Lebens habe ich mich über Vieles aufgeregt, Manches, das negativ war, musste ich benennen oder mich sogar aktiv zur Wehr setzen. Ich bin aber dabei zu lernen, über all dem die Segensspuren Gottes in meinem Leben und meinem Umfeld zu entdecken, zu benennen und mich daran zu freuen. Meine Frau, meine Kinder und Kindeskinder, das grosszügige Haus, in dem ich leben darf – ein wahres Geschenk Gottes, der Blick auf mein angenehmes Dorf mit vielen Menschen, die sich für die werteorientierte Dorfentwicklung einsetzen9, Freunde und Bekannte, die zuvorkommende Bedienung in den Lebensmittelläden und am Bio-Marktstand, die zuverlässigen öffentlichen Verkehrsmitteln, die funktionierende direkte Demokratie in meinem Heimatland, das Singen und Wandern, Stille Zeit am Morgen, meine Kirchgemeinde – und so weiter. Kurz: Ich bin von Segen umzingelt.
Dass Gott uns segnet, daran erinnern uns auch die Kirchen in formellen Handlungen. Zuerst mit der Einsegnung (!) eines Kindes und der Taufe als persönliche Antwort auf die Zuwendung Gottes – in der landeskirchlichen Variante als Kindertaufe kombiniert mit Firmung bzw. Konfirmation. Mit dem göttlichen Segen für den Bund der Ehe. Auch hier wird das Ja von Gott weitergegeben an meine Ehepartnerin und umgekehrt. Und mit einem letzten Segen – vor allem für meine Angehörigen – wenn ich diese Welt gelegentlich wieder verlasse, um endgültig zu meinem Schöpfer, Erlöser und zu meiner Begleiterin10 zurückzukehren. Und dazwischen gibt es immer wieder den Segen des Abendmahls, der uns an die Überwindung der Sünde an Karfreitag – und damit des Bösen durch das Gute – erinnert.
Selber Segnen lernen
Das Erstaunliche an dieser Segensgeschichte: Ich darf Teil davon werden. Ich kann quasi innerlich einen Knopf drücken und etwas von dem Segen, den ich erhalten habe, weiterfliessen lassen auf andere Menschen. Vielleicht ist ja auch das gemeint mit der Zusage in Johannes 7,38: «Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fliessen.» Auch das muss und darf ich Schritt für Schritt lernen.
Über das Grüssen als Möglichkeit, Segen weiterzugeben, habe ich ja bereits einmal ausführlicher nachgedacht11. Gerade gestern habe ich die Physiotherapie mit einem herzlichen «A Dieu zäme» verlassen. Manchmal vergesse ich es aber, natürliche Segensgelegenheiten ernst zu nehmen. So letzten Freitag an meinem Stilletag im Tessin, als ich nach einem vierstündigen Auf und Ab in einem kühlen Tessiner-Grotto von einer zuvorkommenden Frau (oder war es Ruaha?12 nicht nur mit einem grossen Bier sondern zusätzlich mit viel Salzigem bedient wurde: genau das Richtige in diesem Moment. Statt zu bezahlen und Trinkgeld draufzuschlagen, hätte ich ihr eigentlich, weil wir englisch miteinander sprachen, sagen können: «Gott bless you.» Diese Gelegenheit habe ich verpasst.
Wenn Segnen auch «Gutes Sagen» bedeutet, dann ist aber auch jedes ehrlich gemeinte und passende Kompliment an meine Enkelin ein Segen: «Du hast heute wunderschön getischt», bekommt sie dann von mir zu hören. Oder: «Diese Zeichnung gefällt mir sehr.» Und die Zeichnung kommt in den Ordner mit dem Namen «Eileen». So segne ich meine Enkelin.
Den Segen weitergeben kann ich natürlich auch beim Mitbeten, Mitsingen und bei Äusserungen in den verschiedenen gottesdienstlichen Gefässen.
Vielleicht gibt es sogar die Möglichkeit, ohne zu reden einfach segnend über andere zu denken oder ganz einfach anderen Gutes zu tun. Das Segenswasser geht aus meinem Leben weiter zu anderen und bewirkt dort Gutes.
Den Segen Gott zurückgeben
Besonders berührend ist für mich aber die Neu-Entdeckung, dass ja Segnen eine noch breitere Bedeutung hat. Die hebräischen und griechischen Wörter für Segen und segnen können auch loben, preisen und danken bedeuten. Darum kann Olivia Collingsworth zusammen mit ihren Geschwistern und Eltern aus tiefstem Herzen «I bless your name» singen13. Sie richtet sich dabei ganz im Sinne der Psalmen direkt an den, der die Quelle allen Segens ist – an ihren Schöpfer. Und sie hat gute Gründe dazu. Wie Paulus und Silas, die das sogar im Gefängnis taten:
Im Gefängnis, in Ketten, mit Blutstreifen beteten Paulus und Silas in dieser Nacht. Sie begannen, in ihrem Leiden zu singen. Ihre Ketten fielen ab und sie waren frei. Sie sangen:
Ich segne deinen Namen. Ich gebe dir Ehre, gebe dir Preis. Du bist das Leben, die Wahrheit und der Weg. Ich segne deinen Namen.
Manchmal in einer Mitternachtsstunde, wenn du findest, du seist gedanklich in einem Gefängnis. Sing es hinaus und preise. Widerstehe den Ketten. Und sie werden fallen. In Jesu Namen. Sing einfach:
Ich segne deinen Namen. Ich gebe dir Ehre, gebe dir Preis. Du bist das Leben, die Wahrheit und der Weg. Ich segne deinen Namen.
Machen Sie mit? Lassen Sie uns in den Strom des Segens treten, ihn geniessen, ihn weitergeben und ihn an den zurückgeben, dem wir ihn verdanken.
1 1. Mose 1,4
2 Hansjörg Bräumer, Wuppertaler Studienbibel, S. 43
3 1. Mose 2,7
4 z.B. hier: Ashley Shannon (Hrsg.), «Der Segen Gottes sei mit dir – Irische Segenswünsche», 2004, Wuppertal, Oncken, ISBN 3-7893-7266-8
5 Der christliche Philosoph C.S. Lewis sieht im Jüngsten Gericht zwei Möglichkeiten: Menschen, die mit ihrem Leben zu Jesus gesagt haben «Dein Wille geschehe» – und auf der anderen Seite Menschen, zu denen Gott sagt: «Dein Wille geschehe.»
6 Fritz Rienecker und Gerhard Maier, Lexikon zur Bibel. S. 1466
7 dito
8 Wobei gilt: Wer gegen Abtreibung ist, muss dafür sorgen, dass sie gar nicht mehr nötig ist. Siehe: https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/22-8-1-wie-weiter-mit-dem-un-recht-auf-abtreibung.html
9 einige Beispiel dazu finden Sie in meinem Buch über die werteorientierte Ortsentwicklung, siehe: https://www.dorfentwicklung.ch
10 «Ruah», die dritte Entfaltung Gottes, wird uns ja bekanntlich als weiblich vorgestellt, siehe: https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/25-7-1-pfingsten-gibt-es-auch-im-sommer-ein-etwas-anderer-blick-auf-den-heiligen-geist.html
11 https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/24-11-1-grueess-gott.html
12 aramäisch für Ruah – die dritte Entfaltung der Dreieinheit: die Tochter Gottes
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