Pfingsten gibt es auch im Sommer – ein etwas anderer Blick auf den Heiligen Geist 

«A de Pfingschte gahts em Ringschte», so sagt es der Zürcher Volksmund. Offensichtlich erleichtert das Wirken des Heiligen Geistes das alltägliche Leben. Dies gilt allerdings nicht nur am Pfingstsonntag, sondern durch das ganze Jahr – und damit auch im Sommer. Die heitere Jahreszeit eignet sich zudem dafür, neu auch die weibliche Seite des dreieinen Gottes zu entdecken. Und das ist kein Sommermärchen.

(Lesezeit: 14 Minuten)

Eigentlich müsste der erwähnte Pfingst-Spruch ja anders heissen: «Mit Pfingschte gahts em Ringschte». Ja, ob wir uns von dieser Heiligen Geistkraft, wie sie in feministischen Kreisen gerne genannt wird, im Alltag leiten und bewegen lassen, macht einen wesentlichen Unterschied. Als Heilige Geistkraft wird die dritte Person Gottes aber auf eine Kraft reduziert – und das ist zu wenig. 

Sarayù, der weibliche Heilige Geist im Film «Die Hütte» (Bild: Trailer)

Die Tochter Gottes

Jesus, der Sohn Gottes, hat eine vollwertige kraftvolle Person als Stellvertretung eingesetzt. «Ruah», der hebräische Ausdruck für den Heiligen Geist, ist eindeutig weiblich. Jesus sprach von der Ruah1, als er seine Nachfolgerin vorstellte. Ich stelle mir die dritte Person Gottes deshalb zwischendurch gerne als eine Ruah vor, als Tochter Gottes.

Dieses Pendant zum Sohn macht mein Bild des dreieinen Gottes weiblicher. Während ich – im Gegensatz zu meinen christlichen Schwestern im Glauben – Mühe habe, mich in den Sohn Gottes zu verlieben, fällt mir das bei der Tochter Gottes leichter. Das ist sozusagen eine ausgleichende Gerechtigkeit. Sie wird mit meinem Verliebtsein umgehen können. Und mir hat dieses Gottesbild geholfen, Gott mitten im Alltag neu, auch weiblicher, zu entdecken.

 

Die Hütte

Vielen von Ihnen werden sich an das Buch2 oder den Film «Die Hütte» von William Paul Young erinnern3. Das Buch und noch mehr der Film zeigen sehr schön die therapeutischen Möglichkeiten, die sich aus den drei Ausprägungen von Gott ergeben. Gott, der Vater hat laut der biblischen Überlieferung auch mütterliche Züge. Jesus, der Sohn tritt als feinfühliger Mann mit einer hohen Sensibilität auch für Frauen auf und der Heilige Geist ist, wie wir gesehen haben, schon vom hebräischen Begriff her eindeutig weiblich. Paul Young arbeitet in seiner Story, die in vielem autobiografisch geprägt ist, mit diesen therapeutischen Möglichkeiten.

Für alle, die diese Handlung nicht kennen, hier eine Zusammenfassung. Hauptfigur ist Mack. Als 13-Jähriger kommt er nach Hause und sieht, wie sein Vater, ein Trinker, seine Frau schlägt. Später, in einem Gottesdienst, geht Mack nach vorne und übergibt sein Leben Jesus. Dabei erzählt er ganz naiv, was zu Hause los ist. Eine Schande für den scheinbar so frommen Vater. Der Vater schlägt seinen Sohn nach dem Gottesdienst im Garten, als «biblische Züchtigung» und weil sein Sohn ihn blossgestellt hat. Später schüttet Mack Gift in eine nächste Flasche, die sein Vater, wie er weiss, bald trinken wird. Vermutlich bringt er ihn auf diese Weise um.

Im zweiten Teil sieht man den erwachsenen Mack mit seiner Familie. Er ist seit 18 Jahren meist glücklich mit Nan verheiratet, seine Ehefrau kittet die Beziehungen in der Familie mit den drei Kindern Josh, Kate – beides Teenager – und der kleinen Missy. Die Familie fährt ohne Nan in die Campingferien an einen Bergsee. Die erste Übernachtung am Campingplatz steht an. Missy kommt zu ihrem Vater: «Daddy, wir müssen noch zu Papa beten.» Das ist der Spitzname für Gott, wie ihn Nan benutzt. Am nächsten Tag paddeln die beiden Grossen mit einem Kanu in Ufernähe. Kate steht auf, das Kanu kentert. Die beiden schreien um Hilfe. Mack schwimmt hinaus, um zu helfen. Die beiden grossen Kinder überleben. Als sie wieder am Ufer sind, ist Missy verschwunden. Sie wird polizeilich gesucht, denn es gibt einen Sexualmörder in der Gegend. Tatsächlich findet man in einer Hütte im Wald das blutige Kleid von Missy. Die Kleine wurde wahrscheinlich missbraucht und umgebracht. Mack fühlt sich schuldig und macht Gott massive Vorwürfe.

Im darauffolgenden harten Winter gleitet Mack vor seinem Haus aus und stürzt. Er ist unterwegs zu seinem Briefkasten. Dort findet er einen Brief, aber keine Spuren eines Briefträgers im Schnee. Der Brief enthält eine Einladung: «Komm in die Hütte»! Und damit an den Ort des Verbrechens. Unterschrift: «Papa».

Mack zögert, fährt dann aber mit dem Wagen seines Freundes in die Berge. Er baut dabei fast einen Unfall mit einem entgegenkommenden Lastwagen. Die Rahmenhandlung am Schluss des Filmes zeigt: Mack ist tatsächlich verunfallt und wurde schwer verletzt ins Spital eingeliefert. 

An dieser Stelle des Filmes kann er aber ausweichen, erreicht sein Ziel und sucht die Hütte im Wald. Er hat einen Revolver mitgenommen. Er will «Papa» (Gott) sehen, der ihn ja eingeladen hat. Mack schreit: «Wo bist du, komm raus!». Als Mack die Hütte erreicht und eintritt, sieht er am Boden Blutflecken, die von seiner Tochter stammen müssen. Er flippt aus und beginnt, die Hütte zu zerstören. Schliesslich will er den Revolver gegen sich selbst richten. Er wird gestört von einem Reh, das vor dem Eingang der Hütte auftaucht. Mack bleibt verzweifelt liegen.

Nach einer Weile geht er nach draussen und trifft auf einen jungen Mann (Jesus). Er bedroht den Mann mit seinem Revolver. Dieser lässt sich nicht erschüttern und sagt: «Komm, ich habe in der Hütte ein Feuer gemacht. Da ist jemand, der mit dir sprechen will.»

Die beiden gehen zurück zur Hütte. Beim Weg zur Hütte geht der Winter über in den Frühling. Mack sieht eine wiederhergestellte Hütte im Stil eines Wochenendhauses und hört Lachen im Innern. Beim Eintreten trifft er nach dem Sohn Gottes, der ihn hergeführt hat, nun auch auf eine hübsche junge Frau: Sarayù, die Tochter Gottes. Und vor allem trifft er auf Gott.

Dieser Gott ist aber nicht ein Vater, sondern eine dunkelhäutige, humorvolle und tiefgründige Mutter. Diese drei Personen führen ihn nun durch verschiedene Herausforderungen und letztlich zu sich selbst. Gott begegnet ihm erst gegen Schluss des Filmes als Vater, erst, als Mack bereit wird, seinem eigenen Vater, sich selbst, Gott und dem Mörder zu vergeben.

Was uns hier noch mehr interessiert ist aber Sarayù, die Tochter Gottes. Mack sieht, wie sie eine kleine Flasche in der Hand hält. Sie ist gefüllt mit Wasser. Als er fragt, was das sei, erklärt Sarayù: «Ich habe darin deine Tränen gesammelt.» Sie gibt ihm die Freiheit, wieder nach Hause zu gehen und verwickelt ihn, als er bleibt, in eine Diskussion über Gut und Böse. Sarayù zeigt Mack, wie sie aus dem Bösen Gutes macht. Der Film zeichnet die weibliche Seite Gottes als Ruah in einer vielfältigen Weise, die mich angesprochen und nicht mehr losgelassen hat.

 

Die Ruah im Alten Testament

Seither versuche ich, die Tochter Gottes ernster zu nehmen. Schliesslich ist sie ja seit Pfingsten quasi für mich zuständig. Tatsächlich zeichnet die Bibel die dritte Person Gottes enorm vielfältig und mit vielen weiblichen Zügen, bereits im Alten Testament.

Die Ruah brütet die Schöpfung aus und kann seither immer wieder, auch in der heutigen, gefallenen Schöpfung, als Kraft und als Stimme Gottes wahrgenommen und eingeatmet werden. Sie tritt uns im ersten Testament als – weibliche – Weisheit entgegen. In Sprüche 1,20-33 ruft sie öffentlich zur Umkehr auf, spottet über die Unbelehrbaren und bietet den Umkehrenden eine sichere Wohnung. In Sprüche 8,1-9,12 bezeichnet sie sich selbst als «Nachbarin der Klugheit» und als «Einsicht». Die Weisheit wird auch hier verbunden mit dem Beginn der Schöpfung und tritt auf als verspielte Gefährtin des Schöpfers. Sie ist eine grosszügige Gastgeberin und Köchin und will in allem, was sie tut, nur Eines: die Erkenntnis des allein Heiligen – ihres Vaters – fördern. Übrigens wird im Folgenden (ab Vers 13) auch die Torheit weiblich geschildert – als Verführerin. Weiblichkeit an sich ist also noch nicht identisch mit der dritten Person Gottes.

 

Die Tochter Gottes im Neuen Testament

Wenn wir das Wirken der Ruah im Neuen Testament näher betrachten, fallen uns auch hier viele weibliche Züge auf.  Die dritte Person Gottes ist wie ein Wind, ein Hauch, der uns wie dem Schriftgelehrten Nikodemus eine neue Geburt schenken kann und uns dann durch das Leben führen will. Dieses Reden kann leicht überhört werden.

Der Song der Collingsworth Family «When God whispers in your heart» (Wenn Gott in dein Herz flüstert) trifft dieses sanfte Reden sehr genau. Es ist wohl kein Zufall, dass ausgerechnet dieses Lied ausschliesslich vom weiblichen Teil der Gruppe gesungen wird (im Clip von rechts nach links): von Mutter Kim, von den drei Töchtern Olivia, Courtney, Brooklyn und von Sharlenae Collingsworth, der Frau von Sohn Phillip4.

When God whispers in your heart, other voices fade away.
 When God whispers in your heart,
 your path becomes as bright as the day. When the world closes in and presses me,
 I run to Jesus down on my knees.
 No sweeter voice you'll ever hear,
 when God whispers in your heart.

«Wenn Gott in dein Herz flüstert, verblassen andere Stimmen und dein Pfad wird so hell wie der Tag. Wenn die Welt einengt und mich erdrückt, renne ich zu Jesus und kniee nieder. Du wirst nie eine sanftere Stimme hören, als wenn Gott in dein Herz flüstert.»

Other voices call to me and try to lead me on, a path that takes me far away from home.
 It's then I hear his gentle voice sweetly calling out, follow me, I know the way, I'll lead safely you home.


«Andere Stimmen wenden sich an mich und versuchen, mich auf einen Pfad zu führen, der mich weit weg von zuhause bringt. Dann höre ich seine sanfte Stimme freundlich rufen: «Folge mir, ich kenne den Weg, ich werde dich sicher nach Hause führen.»

Die Tochter Gottes tröstet uns, sie spricht für uns und will in uns Wohnung nehmen. Das muss nicht immer so dramatisch geschehen wie an Pfingsten. Die Folgen werden aber ähnlich sein: Wir werden inspiriert, das Evangelium wirkungsvoll weiterzugeben, christliche Gemeinden aufzubauen und zu bereichern und heilend in unsere Welt einzugreifen. All das beginnt bei uns selber: mit dem Ernstnehmen des Evangeliums, der loyalen Zugehörigkeit zu einer konkreten christlichen Gemeinde möglichst vor Ort und einem Heilungsprozess, der bis ans Ende unseres Lebens nicht aufhört.

Dafür werden uns von der Tochter Gottes grosszügig Gabenverteilt und Früchte gewirkt. Diese Früchte entsprechen den Charakterzügen der dritten Person Gottes: Sie ist erfüllt von Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit5. Und möchte dasselbe in uns wirken. 

In der Folge kann auch ich die christliche Gemeinde – und unsere Gesellschaft vor Ort – mit geistgewirkten Gaben unterstützen. Die Grundbegabung ist dabei das Hören auf die Stimme der dritten Person Gottes. Sie führt immer zum Sohn von Gott und dieser tut bekanntlich, was er den Vater tun sieht.

Aus diesem Hören können sich dann weitere Gaben entfalten, so etwa Weisheit, Erkenntnis, Glauben, Krankenheilung, Krafttaten, Prophetie, Unterscheidung der Geister, das Sprachengebet und – im Kreise der Gemeinde – das Auslegen dieses Sprechens in einer (in der Regel) unbekannten Sprache6.

 

Unterwegs im Hören auf die Tochter Gottes

Einige dieser Gaben wurden mir im Verlaufe meines Lebens freundlicherweise anvertraut. Ich versuche, sie in der christlichen und in der politischen Gemeinde vor Ort anzuwenden.

Bei den Früchten tippt mir die Tochter Gottes immer wieder auf die Schulter. Da bin ich noch ziemlich am Lernen. So sagte sie mir an einem meiner letzten Stilletage: «Baue doch bitte mehr Pausen in deinen Alltag ein.» Ich habe die Tendenz, jede freie Minute sinnfüllend zu nutzen, statt mich einfach mal hinzulegen – und dabei vielleicht sogar ihre Stimme zu vernehmen.

Übrigens spricht mich Ruah oft auch durch die weibliche Person an, die mir am nächsten steht – meine Frau. «Mach es nicht mehr», sagte mir Barbara bei meiner sechsten Reise nach Iona zu einem wöchigen Aufenthalt in der dortigen Kommunität – zusammen mit Leuten aus der Schweiz. Das war jedes Mal eine fruchtbare, aber auch aufwändige Reise an den Rand Europas. Auf der schottischen Insel bewegte ich diese Worte immer wieder. Ich spürte darin das Reden der Tochter Gottes. Und verabschiedete mich bewusst von den Schafen Ionas, den Küsten und Hügeln – und der Kommunität.

Als drittes und letztes Beispiel: Ich war daran, nach dreijähriger Suche ein noch zu bauendes Haus in der Umgebung von Oberdiessbach zu kaufen. Der Vertrag für das Bauland lag auf dem Tisch. Der Kugelschreiber quasi daneben. Barbara wollte nicht unterschreiben. Ich merkte, wie ich von der Tochter Gottes in die Stille eingeladen wurde und nahm eine mehrstündige Wanderung unter die Füsse. Beim Heimkommen wusste ich, welche Fragen ich meiner Frau stellen musste. Ihre Antworten waren eindeutig und überzeugten mich, diesen Vertrag nicht zu unterzeichnen. Heute wohnen wir in einem Haus auf dem Ölbergli in Oberdiessbach, mit Blick auf die Kirche und das Dorf. Ein wahres Gottesgeschenk, vermittelt durch die Tochter Gottes.

Genug des kreativen Nachdenkens über die dritte Person von Gott. Vielleicht haben Sie diese Gedanken inspiriert. Dann wünsche ich Ihnen viel Freude beim Unterwegssein mit Ruah, Sarayù oder einfach der Tochter Gottes. Vielleicht haben Sie diese Erwägungen aber gestört oder gar geärgert. Dann legen Sie das Ganze einfach auf die Seite. Die Tochter Gottes wird es Ihnen verzeihen – verbunden mit einem verständnisvollen Lächeln.

                                 

1 Möglicherweise sprach Jesus in seinem galiläisch geprägten Aramäisch sogar von der «Ruaha», was für uns noch weiblicher klingt.

2 William Paul Young: «Die Hütte». Taschenbuch, 2024, Ullstein, 368 Seiten, ISBN 978-3-548-06987-6

3 William Paul Young: «Die Hütte». DVD, 2017, Ascot Elite Home Entertainment, 127 Minuten, EAN 7613059317437

4 https://www.youtube.com/watch?v=C10aBTdvk8Q

5 Galater 5,22

6  1. Korinther 12,8-10

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