Das Alter – eine faszinierende Aufgabe für alle Generationen 

Älter zu werden, das ist eine faszinierende Aufgabe für jeden Einzelnen von uns. Das Alter ist aber auch eine Herausforderung für unsere Dorfgemeinschaften und Stadtquartiere und für die Politik. Und spätestens mit der Pensionierung öffnet sich ein Tor zu einer spannenden, neuen Welt.

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Das Älterwerden beginnt bereits bei unserer Geburt und wird so zu einer lebenslangen persönlichen Aufgabe. Zwar erneuert sich unser Körper, er ist aber auch Abbaufunktionen ausgesetzt.

(Bild: RitaE auf Pixabay)

Wir können das Alter beeinflussen

Neben dem chronologischen Alter, an das wir an unseren Geburtstagen denken, gibt es somit auch ein biologisches Alter. Und das können wir grösstenteils selbst beeinflussen. Chronologisch alte Menschen können biologisch lange gesund bleiben: Sie leben länger und werden später krank. «Wir beginnen den Lebensstil eigentlich schon in den Familien zu verbessern», sagt Heike Bischoff-Ferrari, Professorin für Geriatrie und Altersforschung an der Uni Zürich1. «Es gibt schützende Lebensstilfaktoren, welche die Reparaturmechanismen unseres Körpers unterstützen.» Bewegung ist laut der Altersforscherin die «Superpille» gegen den Alterungsprozess. Besonders wirksam seien leichte Bewegungen – die berühmten 8000 Schritte am Tag. Bewegung senke das Diabetesrisiko, das Herz-Kreislaufrisiko, das Demenzrisiko, verbessere das Sehen und Hören und senke das Krebsrisiko. Dazu kommen seelische Faktoren – etwa die zwischenmenschlichen Beziehungen: «Einsamkeit ist für die Gesundheit schädlicher als fehlende Bewegung.» Und schliesslich ist eine gesunde Ernährung wichtig.

 

Eine Herausforderung für alle Generationen

Das Alter geht uns alle etwas an. Alle haben entsprechend ihrem persönlichen Alter einen Beitrag zu leisten. Die Jungen sollten sich bewusst sein, dass auch sie einmal alt sein werden.

Ältere Menschen sollten erkennen, dass die Jungen die künftigen Gestalter der Gesellschaft sein werden, ihnen den Raum dazu geben und sie dabei unterstützen. In der Familie mit Urgrosseltern, Grosseltern, Eltern, Jugendlichen, Schülern, Kindern können alle Phasen und Bedürfnisse des Älterwerdens hautnah erlebt werden. Dazu kommen die Nachbarschaftshilfe sowie altersgerechte Angebote in Vereinen und Institutionen.

Auch die Politik ist gefragt: mit der finanziellen Absicherung älterer Menschen, der sozialen Beratung in Krisensituationen und mit Rahmenbedingungen, die ein gutes und gerechtes «Miteinander» möglich machen. Im Gemeinderat sollte das «Alter» überall dazugehören: beim Verkehr, dem Bau, dem Sozialen, der Bildung, der Umwelt und bei den Finanzen. Auch ältere Menschen brauchen sichere Strassen und Wege, Plätze für die spielerische Bewegung, Spiel und Sport. Und eine intakte Natur, in der sie frei atmen können.

Nötig sind zudem gesunde Essensangebote im Restaurant und bei Mahlzeitendiensten. Vor allem aber sollten sich ältere Menschen vernetzen: in Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenhäusern, bei Tanz- und Singabenden, in Lesegruppen und mit einem Erzählcafé.

Wenn dann das fragile Alter kommt, braucht es eine ganzheitliche medizinische und praktische Unterstützung, wie sie von einem nahen Ärztezentrum sowie von privaten und öffentlichen Spitexdiensten geleistet werden kann. Heute gibt es Spitex-Organisationen, welche gezielt die ambulante Pflege durch Angehörige fördern, verbunden mit der Möglichkeit einer Anstellung.

                

Angebote für Sinn und Seele

Zu einer Sicht auf den ganzen Menschen gehören auch Angebote für die Seele und das Gespräch über den Sinn des Lebens. Wer diese Bedürfnisse stillen kann, kommt laut Studien besser auch durch die fragile Phase des Lebens. Schliesslich brauchen wir eine Umgebung, die uns ein würdiges Sterben ermöglicht, allenfalls mit palliativer Unterstützung. Es gilt zu verhindern, dass sterbende Menschen nur noch als Last und Kostenfaktor betrachtet werden, die sich doch bitte möglichst rasch, vielleicht sogar mit einem begleiteten Suizid, von dieser Welt verabschieden sollten. Für das Alter gibt es keine billigen Lösungen!2

 

Letzte Hilfe

Auch kurz vor und nach dem Tod bleibt das Alter ein wichtiges Thema – zuerst für die Angehörigen.

Letztes Jahr konnte in Oberdiessbach der Kurs «Letzte Hilfe» in Zusammenarbeit mit der reformierten Landeskirche, dem Inselspital und der Spitex dank grosser Nachfrage und organisiert vom örtlichen Seniorennetzwerk gleich drei Mal durchgeführt werden. Laut Koordinator Thomas Zürcher bestand das Ziel dieses Kurses darin, bei den Teilnehmenden Hemmungen ab- und Fähigkeiten aufzubauen, Mitmenschen auf dem letzten Weg ihres Lebens zu begleiten: einfach, ohne Spezialkenntnisse oder besondere Ausbildung, dafür mit viel Zuwendung und Geduld. «Mit theoretischem Wissen über das Sterben, zahlreichen praktischen Beispielen und Tipps, einem eindrücklichen Video und im persönlichen Austausch wurde den Teilnehmenden Mut gemacht, sich im eigenen Umfeld dieser oft gescheuten und doch so dankbaren und für die Betroffenen enorm wichtigen Aufgabe anzunehmen3

Seit diesem Jahr bieten die Kirchgemeinde Oberdiessbach und die Stiftung des Alterszentrums Kastanienpark ein Trauercafé an. Das ist eine Veranstaltung, die Menschen in Zeiten der Trauer und des Verlusts unterstützt. Es ist ein Ort, an dem Trauernde zusammenkommen können, um ihre Gefühle, Erfahrungen und Gedanken in einer unterstützenden und einfühlsamen Umgebung zu teilen. Das Trauercafé findet etwa alle zwei Monate statt. Die Gespräche werden von einem dreiköpfigen Team, darunter einem örtlichen Pfarrer, moderiert. Das Trauercafé ist offen für alle Menschen, unverbindlich und kostenfrei4.

 

Für ein Alter, das noch etwas vorhat

Auch der Physiker, Philosoph und Publizist Ludwig Hasler betont die Chancen des Alters, insbesondere für Menschen im dritten Lebensalter. Heute bekämen ältere Menschen 25 Jahre zusätzlich geschenkt, betonte er an einem Bildungsanlass des Seniorennetzwerkes Oberdiessbach5. Mit dieser Langlebigkeit müsse man aber klug umgehen können.

Nach der Jugend- und Erwerbszeit gebe es heute eine neue Lebensphase, über die man sich «noch viel zu wenig Gedanken mache». Das vierte, fragile Alter entspreche dann wieder dem, was man früher unter Alt-Sein verstanden habe. Auch dieses Alter könne dank der Medizin aber immer weiter hinausgeschoben werden. Der Autor David A. Sinclair spreche vom «Ende des Alterns» und davon, dass es unter uns Leute gäbe, die 150 Jahre alt werden könnten.

Bei den Herausforderungen des dritten Alters, beginnend mit der Pensionierung, sei am schlimmsten das Gefühl der Beschäftigungslosigkeit. «Spazieren, höcklen und geniessen» sei zwar schön, aber die Aussicht, dies 20 Jahre lang tun zu müssen, sei erschreckend. Dem entsprechend seien die beiden Hauptleiden im Alter der Alkoholismus und die Depression. Das Gegenmittel sei «das Interesse an etwas anderem als an dem, was man unmittelbar tun muss».

Bis vor 30 Jahren sei das Alter als Übergang zu etwas Grösserem empfunden worden. Ohne diese Dimension werde es aber zur Endstation. Jetzt, wo der «Himmelsdruck» weg sei, machten wir uns zunehmend selber Druck und versuchten, «alles herauszuholen, was es zu holen gibt». Was dabei fehle, sei der Sinn. Der Mensch sei aber ein exzentrisches Wesen. Er müsse aus seinem Zentrum herauskommen und in eine Geschichte eintauchen. Das oft verloren gegangene Christentum sei zumindest noch «in uns drin». Es sei eine Geschichte von einem Anfang bis zu einem Ende, eine Dramaturgie zwischen Gut und Böse. Wir seien dabei zwar winzig, hätten aber eine Funktion. Und das sei entscheidend: «Wir kommen nur zu unserer Bestimmung, wenn wir etwas Grösseres finden als uns selbst, etwas Verbindlicheres, wenn wir eine Rolle auch für andere spielen.»

Nur so könnten wir «Akteure auf dem Planet des Alters» bleiben. Der Referent unterschied dabei drei «Aktivitäten»: der Einsatz von Senioren für Senioren, von Alt zu Jung und das Teilnehmen an einem Leben, «das nicht auf mich angewiesen ist», vor allem in Form des Staunens. Als Physiker staune er fast jeden Abend über den Kosmos und das Eingeordnet- Sein in ein grösseres Ganzes, aber auch über den Gesang einer Amsel im Garten. Als ältere Menschen hätten wir viel Erfahrung und Zeit – auch für Jüngere. Er habe mal die «Balkankids» an der örtlichen Schule «übernommen» und ihnen Dinge beigebracht, die sie später brauchen können. Die Früchte seiner Arbeit werde er zwar vielleicht nicht mehr erleben, aber er arbeite so «an der Zukunft nach mir»6.

 

Neugierig werden auf das, was kommt

Ähnlich sieht das auch die Diplom- und Gemeindepädagogin Christiane Rösel in ihrem kürzlich erschienenen Buch7. Sie geht aus «von ihrer eigenen Lebens- und Lerngeschichte und teilt die Sehnsucht, neugierig zu bleiben auf das, was kommt». Das Buch thematisiert typische Fragen «der Generation Babyboomer» wie die mögliche Alternative zwischen «Ruhe-Stand» oder nochmaligem Aufbrechen wie bei Abraham oder die wichtige Rolle von Omas und Opas im Blick auf die Zukunft der nächsten und übernächsten Generation. Die Autorin reflektiert aber vor allem seelsorgerlich-theologische Themen. So die Veränderungen des Glaubens beim Älterwerden, den Umgang mit Zweifeln und überholten Gottesbildern sowie die Bedeutung der Barmherzigkeit, verbunden mit einem neuen Blick auf die Vielfalt des Lebens und auf das, was nach dem Tod kommt. Neben den biblischen Vorbildern Abraham, Jakob, Jesus und Petrus bringt sie auch zeitgenössische Autoren wie Martin Buber ins Gespräch.

Kurz und gut: Das Alter ist eine Aufgabe für alle Generationen. Lassen wir uns davon anstecken statt dem Älterwerden auszuweichen.

 

1 Tagesgespräch Radio SRF 1 vom 7.3.24

2 Quelle: Mein Beitrag im Newsletter des Seniorennetzwerkes Region Oberdiessbach vom Sommer 2023, www.seniorennetzwerk.ch

3 https://www.letztehilfe.ch

4 Details dazu bei Pfr. Roland Langenegger; roland.langenegger@kirche-oberdiessbach.ch

5 siehe unsern Beitrag zur Entstehung des Seniorennetzwerkes: https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/22-11-1-die-alterspolitik-vor-ort-praegen.html

6 siehe auch: Hasler, Ludwig. «Für ein Alter, das noch was vorhat. Mitwirken an der Zukunft». Zürich, 2019, Rüffer & Rub

7 Rösel, Christiane. «Neugierig auf das, was kommt. Inspiriert älter werden.» Holzgerlingen, 2024, SCM Hänssler

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