Rituale: Ordnung in der Unordnung

«Die Welt ist aus den Fugen, Maloney» – dieses Zitat aus der gleichnamigen Krimiserie von Radio SRF geht mir derzeit des Öfteren durch den Kopf. Vieles, was bis vor Kurzem noch sicher war oder was uns Sicherheit vermitteln konnte, ist nach all den Ereignissen der letzten Jahre in Frage gestellt. Zuerst die Pandemie. Dann der bis kurz vor dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine für unmöglich gehaltene Krieg; die seither völlig veränderte geopolitische Situation, die Energiekrise, die Wirtschafts- und die Klimakrise – unsere Welt ist nicht mehr so, wie sie einmal war. Oder zumindest nicht mehr so, wie wir sie uns einmal vorgestellt haben.

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Wir leben in einer aussergewöhnlichen Zeit. Wir sind mit vielen Herausforderungen konfrontiert, die den meisten von uns bisher völlig unbekannt waren. Als menschliche Individuen orientieren wir uns eigentlich gerne an sicheren Strukturen. Aktuell sind wir jedoch weit davon entfernt, uns an gegebenen Ordnungen orientieren zu können. Als Gesellschaft tendieren wir derzeit eher in eine andere Richtung.

Auch wenn Menschen anderswo mit viel existenzielleren Herausforderungen konfrontiert sind: Auch wir fragen uns, was uns in solchen Zeiten Halt geben kann. Im Gegensatz zu heute war früher das gesellschaftliche Leben wesentlich stärker geordnet. In unserer pluralisierten und individualisierten Welt mangelt es manchen von uns am Gefühl einer gewissen Ordnung, welche Halt und Sicherheit vermitteln könnte. Dies gilt umso mehr in Zeiten wie diesen.

(Bild: congerdesign auf Pixabay)

Rituale geben uns eine Struktur

Auch losgelöst von einer spirituellen Komponente bieten uns Rituale als solche eine gewisse Struktur und ermöglichen uns ein Gefühl von Sicherheit in unserem Alltag. Wie wir aufstehen, wie wir uns ins gemeinsame Essen einstimmen, wie wir uns bei Begegnungen grüssen, wie wir den Tag abschliessen: Ganz viele Momente unseres alltäglichen Lebens sind von Ritualen geprägt. Die Zeit – sowohl die Zeit eines einzelnen Tages wie auch im ganz Grossen unsere gesamte Lebenszeit – lässt sich mit praktizierten Ritualen besser strukturieren.

 

Reduktion zum Maximum

Auch im geistlichen Leben können uns Rituale zu mehr Ordnung und zu mehr Struktur verhelfen. Religiöse Formen wie die Stille Zeit, das regelmässige Gebet – sei es im stillen Kämmerlein oder auch als Gebetsgruppe – wie auch gemeinsame Treffen an Hauskreisabenden oder im Gottesdienst sind für die persönliche Spiritualität anregend. Mit ihrer zeitlichen und räumlichen Strukturierung können regelmässig praktizierte geistliche Rituale auch dank ihres Inhaltes ebenso dazu dienen, uns von einem frommen Aktivismus und wenn nötig auch von einem ungesunden religiösen Eifer fernzuhalten.

Praktizierte Rituale, die einen transzendenten Bezug haben, können auch im Zusammenhang mit einem drohenden geistlichen Stress oder bei einer frommen Rastlosigkeit eine befreiende Wirkung haben. Rituale können dazu dienen, dass wir uns besser auf ihren bedenkenswerten Inhalt konzentrieren und uns durch deren schlichte Form einfacher auf das Wesentliche fokussieren können. In diesem Sinne erhält die gängige neudeutsche Redewendung «reduce to the max» eine ganz neue – geistliche – Bedeutung. Mit Ritualen, die vom Heiligen Geist inspiriert sind, können wir uns vor der Überreizung der Sinne in unserer westlichen Welt schützen und gleichzeitig auch der zeitlichen Beliebigkeit in unserer Gesellschaft etwas entgegensetzen.

 

Geistliche Kontemplation

Ein Freund von mir übt sich jeden Tag frühmorgens während einer knappen Stunde in geistlicher Kontemplation1. Es ist mir bewusst, dass vielen nicht die entsprechenden zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stehen. Und auch wenn ich mir derzeit nicht vorstellen kann, mich in einer vergleichbaren geistlichen Praxis zu üben, bin ich begeistert und ebenso beeindruckt von seinem Elan und seiner grossen Hingabe. Kontemplation ist meines Erachtens ein sehr gutes Beispiel für ein praktiziertes geistliches Ritual.

Rituale helfen der eigenen Verortung und der Einordnung in ein grösseres Ganzes. Sie können dazu dienen, die eigene Bedeutung in dieser Welt besser oder in einem anderen Licht wahrzunehmen. Zugleich kann damit auch der Beliebigkeit unserer postmodernen Welt auf eine unkonventionelle Art und Weise begegnet werden. Mit der Folge, dass wir uns etwas mehr Ordnung inmitten der Unordnung unserer Zeit verschaffen können.

 

1 mehr darüber finden Sie hier: https://www.insist-consulting.ch/forum-integriertes-christsein/22-12-5-praxis-was-ist-kontemplation.html

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