Welche Rolle hat die Kirche in der Bekämpfung der Armut?
Ich sehe die Kirche in der Rolle einer Aufklärerin. Die Menschen brauchen vorerst ein Bewusstsein und eine Sicht dafür, wie sie von Armut betroffen sind und welche Auswirkungen die Armut auf ihr Leben hat. Dann kann die Kirche Möglichkeiten schaffen, dass Menschen eine berufliche Ausbildung erhalten und so ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Die Kirche sollte sich über die staatlichen Angebote und Programme zur Armutsbekämpfung informieren und ihre Mitglieder darauf aufmerksam machen.
Aber sind arme, meist wenig gebildete Menschen überhaupt in der Lage, den Anforderungen von staatlichen Unterstützungsprogrammen zu genügen?
Der Staat ist sich dieser Problematik sehr wohl bewusst und passt die Anforderungen an die unterschiedlichen sozialen Schichten an. Dies gilt besonders für den Zugang zum Mikrofinanz-Programm. Einige Frauen aus meiner Nachbarschaft konnte ich mit einem solchen Programm in Verbindung bringen. Das hat ihnen geholfen, ein kleines Geschäft aufzubauen und finanziell unabhängig zu werden.
Nimmt die Kirche denn diese Aufgabe der Information ihrer Mitglieder über staatliche Unterstützungsprogramme wahr?
Kirchliche Leitungspersonen haben eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen und tatsächlich steht die Information ihrer Mitglieder zu staatlichen Programmen nicht zuoberst auf ihrer Prioritätenliste. Einige Kirchen haben Personen mit der Aufgabe betraut, sich über Rahmenbedingungen für staatliche Unterstützungsprogramme zu informieren.
Gibt es in Ihrer Kirche einen Aktionsplan, wie armen Mitgliedern geholfen werden kann?
Es besteht innerhalb unseres Kirchenverbandes ein nationaler 5-Jahres-Aktionsplan. Darauf aufbauend haben wir in meiner lokalen Kirche einen Aktionsplan bis 2030 entwickelt. Es ist auch wichtig, die Wirkung der Massnahmen zu messen. Dazu bestimmen wir Indikatoren, die über die Wirksamkeit eines Programms Auskunft geben.
Aber sind diese recht technischen Paramater einer solchen Wirkungsanalyse nicht eine zu hohe Hürde für die Leute?
Diese Aufgabe wird von Kirchenmitgliedern mit einer entsprechenden Ausbildung ausgeführt. Ein Pastor ist für solch technisch anspruchsvolle Projektplanungsaufgaben meist nicht qualifiziert. Er kann und sollte nicht alles tun. Auch ich kann nicht gleichzeitig Weizen und Mühle sein. Darum habe ich in meiner Lokalkirche ein Departement eingerichtet und mit Leuten besetzt, die etwas von Projektanträgen verstehen. Nebst meiner Aufgabe als nationaler Finanzchef leite ich noch eine Kirchgemeinde als Laienpastor. Ohne gut funktionierende Teams in der Kommunikation, im Sekretariat, bei den geistlichen Diensten u.a. könnte ich das alles gar nicht bestreiten.
Der Pastor spielt eine zentrale Rolle beim Bekämpfen von Armut in seiner Kirche. Wenn er selber aber arm ist, und das ist bei vielen der Fall, dann sind seine diesbezüglichen Anstrengungen wenig glaubwürdig. Was tut die nationale Kirche, um für die materiellen Bedürfnisse ihrer Pastoren zu sorgen?
Es gibt Bemühungen, die finanzielle Absicherung von Pastoren zu verbessern, insbesondere auch nach der Pensionierung. Sie bekommen eine kleine Rente, die aber ungenügend ist. Das führt leider dazu, dass einige in den Kollektentopf greifen, bevor das gesammelte Geld an die Buchhaltung weitergeleitet wird. Dieses Geld fehlt dann wiederum für andere wichtige Bedürfnisse der Gemeinde. Die nationale Kirche kann das Problem der Armut unter den Pastoren aber auch nicht allein lösen. Pastoren sollten daher einer Aktivität nachgehen, die einen Nebenverdienst ermöglicht. Um sie zu motivieren, suchen wir nach funktionierenden Modellen bei anderen Kirchen. Wir hoffen auf einen Mentalitätswandel besonders bei den jungen Pastoren – sie können die Wende herbeiführen.
Die Kirche sollte in Fragen der Entwicklung des Landes an vorderster Front dabei sein, sagen Sie. Unterstützt denn die nationale Kirche ein solches Engagement?
Die Kirche ermutigt verschiedene Gruppen wie zum Beispiel die Jugendbewegung innerhalb der Kirche. Diese führt Jugendcamps durch, welche genutzt werden, um Themen wie Bildung und Unternehmertum anzusprechen. Manchmal besuchen auch Fachleute aus verschiedenen Sektoren die Gemeinden und teilen ihr Wissen. Wichtige Impulse kommen auch von Organisationen wie den Geschäftsleuten für das volle Evangelium, wo ich selber Mitglied war. Ich habe Treffen organisiert, weil ich von der positiven Wirkung eines christlich basierten Unternehmertums für unser Land überzeugt bin. Geschäftsleute mit einer christlichen Motivation können eine Schlüsselrolle in der Armutsbekämpfung spielen.
Dann sollten die Kirchen auch die Unternehmen von Mitgliedern besonders berücksichtigen?
Unbedingt! Anlässlich unserer letzten nationalen Konferenz wurde das Essen durch Caterer der Kirche geliefert. Unsere Bewegung zählt rund 120'000 Mitglieder, ein Markt mit viel Potenzial! Wenn Kirchenmitglieder ein Geschäft eröffnen, können sie auf diesen Markt aufbauen. Natürlich muss die Qualität der Produkte und Dienstleistungen stimmen. Und da gibt es noch viel zu verbessern.
Der Staat unterstützt die Landwirtschaft, vergibt Stipendien oder fördert Mikrokredit-Programme. Wie kann die Kirche davon profitieren, respektive mit dem Staat in eine Form von Partnerschaft zur Entwicklung des Landes treten?
Als Kirche müssen wir aufzeigen, welche Kompetenzen wir haben: Qualitäten, die den Staat interessieren. Die katholische Kirche etwa ist bekannt für die Qualität ihrer Schulen. Entsprechend sind Banken bereit zu investieren und der Staat unterstützt diese Bildungsstätten ebenfalls. Die Kirche hat keinen Bonus bei staatlichen Förderprogrammen, weil sie Kirche ist. Sie muss sich wie alle anderen auch auszeichnen durch überzeugende Angebote und gute Resultate. Gegenüber ausländischen Investoren und Entwicklungsprogrammen nimmt der Staat eine wichtige Vermittlerrolle ein und kann als Garant für die Qualität und Verlässlichkeit kirchlicher Institutionen auftreten.
Ein wichtiger erster Schritt, um von staatlichen Förderprogrammen zu profitieren, ist ein überzeugender Projektantrag. Viele Kirchenmitglieder und auch unsere Pastoren sind damit überfordert. Wir haben aber Experten für Projektmanagement innerhalb der Kirche, die beim Verfassen von anspruchsvollen Projektanträgen helfen, die dann zum Beispiel beim «Fonds National de Développement Agricole» eingereicht werden können.
Trotz allen Anstrengungen machen viele afrikanische Staaten kaum Fortschritte in der Armutsbekämpfung. Hat das einen kulturellen Hintergrund oder ist es eine Mentalitätsfrage?
Es gibt Leute, die schreiben ihre Misere einem Fluch zu. Sie sind pessimistisch und glauben nicht daran, bei öffentlichen Ausschreibungen berücksichtigt zu werden. Oder sie sind überzeugt, dass die Resultate von Prüfungen durch Zauberei zu ihren Ungunsten manipuliert worden sind. Dieser Fatalismus hindert sie daran, aktiv an ihrer Zukunft zu arbeiten. Der Mangel an Vertrauen in Gott und sich selbst ist ein grosses Problem. Leider sind auch Christen von dieser Haltung betroffen. Die Gemeinden mit dem grössten Zulauf im Land sind jene, welche Gebete gegen Zauberei anbieten oder ein Wohlstandsevangelium verkünden.
Herrscht in Ihrer Kirche die Meinung, dass Entwicklung nur durch die Unterstützung westlicher Geberländer oder durch die Kirchen gelingt?
In unserer Kirche ist diese Denkweise nicht vorherrschend. Wir haben uns ohne die Hilfe westlicher Missionare entwickelt. Wir investieren selber. In meinem Distrikt zum Beispiel gibt es in den Jahresbudgets immer einen Posten für diverse Investitionen. Die Kirchenmitglieder tragen dazu mit Spenden bei, oder aber wir generieren Finanzen durch wirtschaftliche Aktivitäten. Wir kaufen auch Landparzellen, die von der Kirche genutzt werden können.
Ein grosses Hindernis für die Entwicklung eines Landes ist die Korruption. Wie ist es möglich, als Christ nicht der Versuchung zu erliegen, in einer einflussreichen Position in die eigene Tasche zu wirtschaften?
Es brauchte Anpassungen im Prozess der Finanzvergabe an Dienstleister und Bauunternehmer. Heute besteht kein direkter Kontakt mehr zwischen Beamten und Begünstigten. Ich unterstütze diese Reformen und habe durch meine rigorose Haltung auch das Interesse von Nachbarstaaten geweckt, die mich eingeladen haben, zum Thema der Korruptionsbekämpfung Seminare durchzuführen. Für meine Bemühungen erhielt ich 2024 die Auszeichnung «bester Staatsbeamter des Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen».
Die Grundlage für meine Haltung habe ich in meiner Erziehung und später durch das Evangelium erhalten. Ich bin der Überzeugung, dass alles, was sich der Mensch auf unlautere Weise aneignet, wieder zwischen seinen Fingern zerrinnt. Alles aber, was ein Mensch Gutes getan und auf ehrliche Weise erlangt hat, wird wie ein unverwüstlicher Schatz sein. Hier spielt der Glaube eine wichtige Rolle. Er formt eine Sicht auf das Leben und eine Zukunft, die sich an biblischen Werten ausrichtet und überzeugt ist, dass wir eines Tages vor Gott Rechenschaft ablegen müssen. Jesus hat für uns gebetet, nicht dass wir aus der Welt herausgenommen werden, sondern dass wir vom Bösen bewahrt bleiben1. Jesus lehrte uns zu beten «Führe uns nicht in Versuchung». Dementsprechend bete auch ich. Wenn ich heikle Entscheide treffen muss, wird alles verschriftlicht, so, dass im Fall einer Kontrolle, entsprechende Belege vorgewiesen werden können.
Somit spielen der christliche Glaube und seine Werte eine entscheidende Rolle dabei, das Leben erfolgreich zu gestalten?
Ganz genau! Mein Vater war mir darin ein grosses Vorbild. Er fragte mich einmal: «Hast du jemals Leute bei uns vorbeikommen gesehen, die von mir eine Schuld eintreiben wollten? Oder hast du mich je in zweifelhafter Gesellschaft gesehen …?»
Mit Blick in die Zukunft, was macht Ihnen Sorge, und was ermutigt Sie für Ihr Land?
Grundsätzlich schaue ich zuversichtlich in die Zukunft, auch weil ich mit Gottes gütigem Handeln rechne. Für mein Land, den Benin, bin ich zuversichtlich, weil der aktuelle Präsident einige wichtige Reformen zur Korruptionsbekämpfung angepackt und auch einige ambitionierte Projekte auf den Weg gebracht hat. Darin will ich ihm als Chef für die öffentlichen Finanzen folgen.
Was macht Ihnen Sorge im Blick auf den afrikanischen Kontinent?
Die Mentalität der Führungseliten: Sie wollen ihre Machtposition zementieren durch die Anpassung der Verfassung zu ihren Gunsten. Sie wollen nicht von der Macht lassen, und dies auf Kosten einer zunehmend leidenden Bevölkerung. Das provoziert Aufstände und Staatsstreiche. Ich kann nicht verstehen, wie man eine Führungsposition auf höchster Ebene länger als 10 Jahre ausüben kann. Will man die Aufgabe richtig machen, ist sie enorm anstrengend. Das erlebe ich bereits auf meinem Niveau. Ich sehe auch Tendenzen, welche die Demokratie bedrohen. Ich frage mich allerdings, ob die Demokratie unserer Kultur entspricht. Eine Monarchie entspricht eher unserer Mentalität. Aber es müsste eine verbesserte Form von Monarchie sein, mit einem König, der das Wohl des Volkes sucht. Auch hier ruht meine Hoffnung auf Jesus Christus: Er ist der König der Könige!
1 Johannes 17,15
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