Während meinen Stilletagen bin ich jeweils tageweise unterwegs durch die Schweiz, derzeit von Basel nach Chiasso. Ich versuche, bei diesen rund vierstündigen Wanderungen achtsam zu sein, zu hören und zu sehen: nach oben, in mich hinein und auf meine Umgebung. Da kann sogar mal ein Tessiner Bänkli (Bild) zum Denkanstoss werden. Es gibt bei Bellinzona mehrere dieser Bänkli. Sie sind eigentlich gemacht für müde Wanderer. Aber sie sind höchstens eine Pseudo-Einladung. Unten, am Ticino, sind Bäume gepflanzt worden. Es gibt sogar Treppen, die vom Wanderweg aus hinunterführen. Dort unten gibt es aber leider keine Bänke. Es sind somit Abzweigungen, die nicht wirklich zu einem einladenden Ziel für müde Wanderer führen.
Dabei wäre es doch so einfach: Zu jedem Bänkli gehört ein Baum. Das habe ich anlässlich des Aufbaus unseres Mehrgenerationenplatzes in Oberdiessbach gelernt. Bei heissem Wetter wird sofort klar, warum das so ist: als Schutz für Kinder und ihre Eltern. Das wäre natürlich doppelt wichtig für den Tessin, die Sonnenstube der Schweiz. Und: Wie ist das eigentlich bei unseren Kirchen?
Ruhe mitten im Alltag
Sie unterschätzen oft ihre Aufgabe als schattiger Ort der Entspannung. Kirchen sind voluminöse und im Unterhalt sehr teure Gebäude. Bei kaltem Wetter müssten sie sogar geheizt werden. Sie haben aber einen starken Standort-Vorteil: Sie stehen oft mitten im Dorf oder im Stadtquartier. Und wären damit eigentlich ideale Inseln der Ruhe in unserer stressgeplagten Zeit.
Leider sind aber viele, vor allem reformierte Kirchen ausserhalb der offiziellen Gottesdienste geschlossen. Das Gebäude bleibt abweisend. Dabei müsste es doch eine Einladung sein zu einer Auszeit mitten im Alltag – zu einer Zeit der Begegnung mit dem menschgewordenen Gott, auf den das Kreuz auf dem Dach und die Osterkerze vor dem Taufstein hinweisen würden. Eine Kirchentüre, die man tagsüber öffnen kann, würde als Einladung reichen.
Ein fröhliches Ringen mit Gott
Vielleicht gelingt die Einladung sogar mit einer lärmerfüllten Kirche. So wie es laut der Nachrichtensendung «10 vor 10» vom 1. Mai1 die St.-Peter-Kirche im nordenglischen Shipley versucht hat. Sie war gemäss «Livenet» Gastgeberin von «Kingdom Wrestling», «einer christlichen Organisation für professionelles Wrestling, die Glauben und Unterhaltung verbindet. Die Veranstaltungen beinhalten Gebete, Lobpreis und persönliche Glaubenszeugnisse2.» Wrestling – englisch für «Ringen» – verbindet als Kampfsportart Show und Sport. Es geht darum, die Zuschauer mit dramatisch inszenierten Kämpfen zu unterhalten. Verletzungen des Gegners sind dabei nicht erwünscht. Tatsächlich zeigte «10 vor 10» Ausschnitte der Kurzpredigt einer Pfarrerin, gehalten mitten auf einer in der Kirche installierten Wrestling-Bühne, verbunden mit einem Segensgebet für alle Anwesenden. «Kingdom Wrestling» bietet in der Kirche ihres Gründers Gareth Thompson mehr als nur spektakuläre Unterhaltung. «Die Organisation engagiert sich auch in der Gemeinde, etwa durch Schulprogramme, Trainingskurse, Selbstverteidigungskurse für Frauen und eine Männergruppe für psychische Gesundheit3.» So dürfte die Kirche tatsächlich zur Einladung für manche werden, die sich «mühselig und beladen»4 fühlen.
Wo man singt, da lass dich ruhig nieder
Die Einladung kann aber auch einfacher gestrickt erfolgen: mit Singen. Seit Kurzem lädt die Kirchgemeinde Oberdiessbach zu Chorprojekten ein. Man verpflichtet sich dabei nicht für die wöchentlichen Proben eines Kirchenchors, sondern für ein Projekt mit etwa fünf Proben, gefolgt von der Möglichkeit, mit vier Liedern zum Beispiel den Ostergottesdienst zu bereichern. Die Proben beginnen bereits um 19 Uhr, dauern nur bis 20.30 Uhr und sind mit einem Angebot zur Kinderhüte ergänzt. So können ganze Familien mitsingen. Kinder lernen, allein hinzustehen und ein Solo zu singen oder ein Vater tut dies zusammen mit seiner Tochter5. Kurz und gut: Hier stimmt auch der Weg zum Angebot und macht es zu einer echten Einladung für drei Generationen.
Spaziergang in die Kirchengeschichte
Zurück zur Kirche als Gebäude: Die Kirche Oberdiessbach ist historisch gesehen noch älter als das Dorf, sie hat mit ihren Gottesdiensten wahrscheinlich zur Entstehung des Dorfes beigetragen. Die heutige spätgotische Kirche von 1498 war zu ihrer Zeit katholisch, wurde 1528 reformiert, brannte 1559 bei einem Dorfbrand teilweise ab, wurde 1560 wieder aufgebaut, 1938 verbreitert und erhielt vier Mal eine neue Orgel. Sie ist gefüllt mit vielen Geschichten. Wir sind zurzeit daran, diese lokale Kirchengeschichte in einer Broschüre zusammenzustellen – als Spaziergang durch die Kirche und über das Kirchengelände. Deshalb gilt auch für historisch Interessierte, zumindest für Oberdiessbach: Treten Sie ein und lassen Sie sich inspirieren! Die Türe ist offen, täglich von 08.00 bis 18.00 Uhr.
1 Nordengland: Wrestling in der Kirche - 10 vor 10; siehe: Play SRF
2 https://www.jesus.ch/news/gesellschaft/76505_kirche_veranstaltet_wwewrestlingevents_fuer_jesus
3 dito
4 Matthäus 11,28
5 https://www.youtube.com/live/CnFJHSeCo5E?feature=shared
(Liedteile des Chors gibt es ab Minute 25:33, 33:18, 58:25 und 1:32:50)
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