Landwirtschaft: Gelingt in der Agrarpolitik ein ganzheitlicher Ansatz? 

Das Bundesamt für Landwirtschaft ist daran, die Elemente der Agrarpolitik 2030+ zu erarbeiten. Dabei prüft es unter anderem Lenkungsabgaben auf Pflanzenschutzmittel und Indikatoren für ökologische Ziele. Es geht darum, die Agrarpolitik zielorientierter auszugestalten und detaillierte Produktionsvorschriften zu streichen. Im ersten Quartal 2026 sollen die Ideen dem Bundesrat vorgelegt werden. Danach wird sich zeigen, ob so eine zweckmässige Basis für eine nachhaltige Landwirtschaft gelegt werden kann. 

(Lesezeit: 9 Minuten)

Mit der Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) konnte der Bundesrat im Februar 2020 keine Mehrheit finden. Im März hat der Nationalrat als Zweitrat die AP22+ sistiert. Die Abstimmungen über die Pestizidfrei-, die Trinkwasser-Initiative im Juni 2021 und über die Massentierhaltungsinitiative im September 2022 haben die Fronten in der agrarpolitischen Diskussion zusätzlich verhärtet. 

Zusammen mit der gesamten Branche sucht das Bundesamt für Landwirtschaft Massnahmen, um Landwirtschaft und Konsum nachhaltiger zu machen. (Quelle: LID)

Strategische Stossrichtungen sind festgelegt

Die zuständige Ständeratskommission hatte den Bundesrat jedoch schon im August 2020 aufgefordert, in der Agrarpolitik einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen. Darauf hat der Bundesrat im Juni 2022 den Bericht «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik»1 verabschiedet. Darin hat er vier strategische Stossrichtungen festgelegt:

- eine resiliente Lebensmittelversorgung sicherstellen

- eine klima-, umwelt- und tierfreundliche Lebensmittelproduktion fördern

- eine nachhaltige Wertschöpfung stärken

- einen nachhaltigen Konsum begünstigen.

Gleichzeitig hat der Bundesrat vorgeschlagen, diese Strategie in drei Etappen umzusetzen. Schon im Juni 2021 hatte das Parlament seine eigene Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren»2 verabschiedet. In der zweiten Etappe wurden die unbestrittenen Elemente der AP22+ umgesetzt. Zurzeit ist die dritte Etappe in Arbeit: Nach einer Auslegeordnung in den Jahren 2025/26 soll in einer weiterführenden Reform der Fokus verstärkt auf das gesamte Ernährungssystem gerichtet werden. Diese weiterführende Reform hat die Bezeichnung Agrarpolitik 2030+ (AP30+) erhalten; sie soll 2030 in Kraft treten.

Um diese Auslegeordnung zu erarbeiten, hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) verschiedene Forschungsaufträge vergeben und eine breit abgestützte Begleitgruppe eingesetzt, in der Hoffnung, die verhärtete Situation aufzulösen. «Wir stehen in einem engen Austausch und entwickeln diese Agrarpolitik gemeinsam», sagte BLW-Direktor Christian Hofer Mitte April in einem ausführlichen Interview mit der «Bauernzeitung»3. Berücksichtigen solle die AP30+ die Bedürfnisse der Schweizer Bäuerinnen und Bauern von heute wie auch von morgen und diejenigen der Gesellschaft. 

 

Die Eckwerte der Agrarpolitik 2030+

Die strategischen Stossrichtungen hat das Bundesamt für Landwirtschaft in vier inhaltlichen Eckwerten konkretisiert:

- Ernährungssicherheit stärken

- ökologischen Fussabdruck verringern

- wirtschaftliche und soziale Perspektiven schaffen

- vereinfachen.

Um die Ernährungssicherheit zu verbessern, sollen die Schweizer Bäuerinnen und Bauern ressourceneffizienter produzieren, das heisst: mehr Lebensmittel mit weniger Input und weniger Emissionen produzieren. Mit Input sind vor allem Dünger, Kraftfutter, Pflanzenschutzmittel und Energie gemeint.

Der ökologische Fussabdruck soll verringert werden – vom Feld bis auf den Teller. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sich Menschen nicht vorschreiben lassen wollen, was sie essen und trinken.

Ob ein Betrieb wirtschaftlich ist, ohne die beteiligten Personen zu überfordern, hängt stark von der Fähigkeit der Betriebsleitenden ab. Im Durchschnitt sind gut ausgebildete Personen wirtschaftlich erfolgreicher.

Vereinfacht werden sollen die Vorschriften für Direktzahlungen. Die Idee ist, dass die Vorgaben mehr zielorientiert und weniger massnahmenorientiert sind.

 

Zielvereinbarungen für einen nachhaltigeren Konsum

Um einen nachhaltigeren Konsum zu erreichen, lotet das BLW mit der Land- und Ernährungsbranche aus, ob Zielvereinbarungen realistisch sind. «Die Zielvereinbarungen sind ein Mittel, damit die ganze Wertschöpfungskette zu bestimmten Themen Abmachungen trifft und so an einem Strick zieht», sagte Hofer gegenüber der «Bauernzeitung». Der BLW-Direktor stellt dazu fest, dass die «landwirtschaftlichen Branchenakteure sehr interessiert» sind, während «der Detailhandel noch etwas zurückhaltender ist». Dabei beeinflusst der Detailhandel den Konsum sehr stark. An einer agrarpolitischen Tagung im November 2024 wurde als Beispiel für eine Zielvereinbarung genannt, dass mehr robuste Obstsorten angeboten werden. Dabei wurde festgehalten, dass es wenig nützt, wenn Landwirte robuste Sorten anbauen, wenn diese in den Läden nicht angeboten werden.

 

Weniger Massnahmen ja, aber wie?

Um die Vorschriften zu vereinfachen und Anreize für eine nachhaltigere Produktion zu schaffen, prüft das BLW unter anderem Lenkungsabgaben statt Produktionssystembeiträge und Indikatorensysteme.

Im Detail diskutiert werden Lenkungsabgaben auf Kraftfutter, Kunstdünger und Risiko-Pflanzenschutzmittel. Die Einnahmen aus diesen Abgaben würden vollumfänglich an die Bäuerinnen und Bauern rückerstattet. Das BLW sieht in den Lenkungsabgaben ein Potenzial, die Vorschriften zu vereinfachen und die Ressourceneffizienz mit einem marktwirtschaftlichen Ansatz zu stärken.

Das heutige Direktzahlungssystem zu überdenken, war ein Anliegen der bäuerlichen Seite. Die Lenkungsabgaben kommen beim Schweizer Bauernverband SBV jedoch nicht gut an. In der Medienmitteilung vom 28. August 20244 schreibt er: «Die Einführung von Lenkungsabgaben würde für die allermeisten Betriebe die Kosten erhöhen und das Einkommen reduzieren. Dies, weil sie die Mehrkosten nicht dem effektiven ‘Verursacher’, den Konsumentinnen und Konsumenten, weitergeben können. In der Folge verändert sich das Konsumverhalten auf der Nachfrageseite nicht. Damit verpufft die lenkende Wirkung und die Abgabe verkommt zu einer reinen Steuer.»

Das BLW verfolgt die Idee jedoch weiter und spricht neu von Ressourceneffizienz-Anreizen. Die grosse Krux ist, nach welchem Schlüssel die Einnahmen aus den Abgaben rückerstattet werden. So einfach wie bei der CO2-Abgabe, die über die Krankenkassen gleichmässig an alle verteilt wird, ist das bei den sehr unterschiedlichen Schweizer Bauernbetrieben nicht.

 

Interessanter Schulterschluss für ein Indikatorensystem

Für mögliche Indikatoren engagieren sich zwei Organisationen. Die gegensätzlich ausgerichteten branchenübergreifenden Organisationen Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor (SALS)5 und die IG Agrarstandort Schweiz (IGAS)6 haben im Februar 2025 ein gemeinsam erarbeitetes Indikatorensystem vorgestellt. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen, denn bezüglich Grenzschutz verfolgen SALS und IGAS entgegengesetzte Ziele.

Ob es gelingt, für die AP30+ mehrheitsfähige Instrumente vorzuschlagen, welche die Bedürfnisse der Schweizer Bäuerinnen und Bauern von heute wie auch von morgen und diejenigen der Gesellschaft berücksichtigen, wird sich spätestens zeigen, wenn in der zweiten Hälfte 2026 die Vernehmlassungsvorlage publiziert wird.

 

Rückblick: So kam es zur Agrarpolitik 2030

Februar 2020  

Der Bundesrat legt die Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+)7 vor.

August 2020

Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) reicht ein Kommissionspostulat ein, das den Bundesrat beauftragt, in der Agrarpolitik einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen8.

Dezember 2020

Der Ständerat beschliesst, die Vorlage zur Agrarpolitik ab 2022 zu sistieren9.

März 2021

Der Nationalrat schliesst sich dem Ständerat an. Die AP22+ wird sistiert. Der Bundesrat wird beauftragt, in einem Bericht eine Auslege-Ordnung zu machen. Dieser soll sich mit der Selbstversorgung, der nachhaltigen Lebensmittelproduktion und der Reduktion des administrativen Aufwandes für Betriebe befassen. Bis 2022 soll er vorliegen10.

Juni 2022

Der Bundesrat heisst den Bericht «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» gut11. Die Agrarpolitik 2030 ist ein Teil der Umsetzung.

 

1 https://www.news.admin.ch/de/nsb?id=89439

2 https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20190475

3 Ausgabe vom 11. April 2025

4 https://www.sbv-usp.ch/de/lenkungsabgabe-konzept-haelt-nicht-was-es-verspricht 

5 https://www.assaf-suisse.ch/de/offene-ohren-fuer-unsere-indikatoren/

6 https://www.igas-cisa.ch/unsere-indikatoren/

7 https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20200022

8 https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-wak-s-2020-08-21.aspx

9 https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20201214205702810194158159038_bsd184.aspx

10 https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20210316043037971194158159038_bsd015.aspx

11 https://www.news.admin.ch/de/nsb?id=89439

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