Energie: Strompreise im Dilemma zwischen ökonomischen und moralischen Anreizen 

Dynamische Strompreise schwanken je nachdem, wieviel Strom gerade produziert und konsumiert wird. Sie sind in der Schweiz noch kaum verbreitet, könnten jedoch einen Beitrag  zur Energiewende leisten. Denn momentan besteht kein ökonomischer Anreiz für Konsumenten, den Strom dann zu brauchen, wenn er in Fülle verfügbar ist.

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Handeln aus ökonomischer Überzeugung

In der Politik dreht sich alles um die Frage, wie wir unser gesellschaftliches Zusammenleben organisieren wollen. Adam Smith prägte das Konzept des Marktes als unsichtbare Hand, welche dafür sorgt, dass die Nutzensmaximierung des Individuums oder einer Firma automatisch den Gesamtnutzen der Gemeinschaft maximiert. 

Dass das nicht uneingeschränkt gilt, ist offensichtlich: der Klimawandel, die Finanzkrisen oder die Ausbeutung von Menschen sind kaum optimale Ergebnisse unseres Wirtschaftens. Es braucht also gewisse Regeln in einer Gesellschaft. Und dann – so die Hoffnung – führt egoistisches Handeln im besten Fall dazu, das es allen besser geht.

(Bild: Susana Cipriano auf Pixabay)

Handeln aus christlicher Überzeugung

Aus christlicher Sicht ist egoistisches Handeln jedoch ziemlich das Gegenteil von dem, was die Welt braucht. Nächstenliebe, Demut, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Gottesfurcht und Schöpfungsverantwortung sind zentrale Prinzipien, an denen sich Christen – und alle anderen Menschen guten Willens  – orientieren. Und die Hoffnung ist, dass, wenn jeder sich so verhält, ein Stück Himmel schon hier auf Erden möglich ist.

 

Wertfrei wirtschaften geht nicht

Genauso wie man nicht «nicht kommunizieren» kann, kann man auch nicht politisieren, ohne damit ein Menschen- und Weltbild zum Ausdruck zu bringen. Die Frage ist also nicht, ob Werte in unserem Wirtschaften zum Ausdruck kommen, sondern welchen Werten wir dabei folgen.  Ich würde daher argumentieren, dass die Abkehr von fossilen Energien und von Kernkraft Nächstenliebe und Schöpfungsverantwortung zum Ausdruck bringt und sich Christen deshalb für diese Themen stark machen sollten.

 

Was hat nun Vorrang?

Wenn jede wirtschaftliche Entscheidung auch eine moralische Dimension hat, ergibt sich ein Dilemma: Soll ich das wirtschaftlich (für mich) Optimale machen oder das moralisch Richtige? Das sollte kein Entweder-Oder sein: Wir sollten unser Wirtschaftssystem so organisieren, dass moralisches Verhalten von Firmen und Individuen auch ökonomisch sinnvoll ist. Anders gesagt: Es sollte ein wirtschaftlicher Anreiz bestehen, sich moralisch richtig  zu verhalten. 

 

Wo entsteht das Dilemma konkret?

Bis zu 40% unserer Stromproduktion sollen zukünftig aus Wind- oder Sonnenenergie stammen. Damit wird die Produktion dynamischer, denn das Wetter richtet sich nicht nach dem Verbrauch der Konsumenten. Moralisch geboten wäre, den Strom zunehmend dann zu verbrauchen, wenn viel Wind weht, die Sonne scheint, also typischerweise um die Mittagszeit. Natürlich lässt sich nicht der ganze Stromverbrauch eines Haushalts in diese Zeit verschieben, aber Schätzungen zufolge verbrauchen wir ca. 30% und mehr des Stroms unabhängig von der Tageszeit.  

Wer jetzt einwendet, dass man kaum vom Endverbraucher erwarten kann, dass er täglich Wind- und Solarprognosen studiert, der sei beruhigt: Dank smarten Wärmepumpen, Boiler oder E-Auto Aufladesystemen funktioniert das Verschieben des Verbrauchs ganz ohne unser Zutun. Wir müssen also nur noch die entsprechenden Systeme installieren. Ein finanzieller Anreiz zu diesem Verhalten besteht jedoch nicht, da der Strom während des Tages  immer gleich teuer ist.

Die Verbraucherseite ist jedoch nur die halbe Geschichte. Der zahlenmässig überwiegende Teil der Solaranlagen befindet sich in der Schweiz als Klein(st)anlanlagen auf Dächern von Privaten. Die Strom-Produktion wird ins lokale Netz eingespeist und mit einem Tarif vergütet, der ebenfalls nicht von der Tageszeit abhängt. Das kann zur paradoxen Situation führen, dass mit der Einspeisung von Solarstrom Geld verdient wird, während an der Strombörse der Preis im selben Moment negativ ist. Wenn Solarenergie ungebremst ins Netz eingespiesen wird, kann es schlimmstenfalls zu einem Blackout kommen.

Moralisch ist der Fall daher klar: Sobald die Systemstabilität durch PV-Einspeisung bedroht ist, sollte niemand mehr einspeisen. Die einfachste technische Lösung zur Stutzung solcher Einspeise-Spitzen wäre es, die Einspeisung bei zum Beispiel 70% der Leistung der Anlage zu deckeln. Natürlich ginge es noch schlauer, etwa mit Heim-Batterien oder mit einer Steuerung der zulässigen Einspeiseleistung durch die Netzbetreiber.

 

Wege aus dem Dilemma

Aus ökonomischer Sicht können Angebot und Nachfrage am einfachsten in Einklang gebracht werden, wenn das Gut, in diesem Fall Strom, umso teurer ist, je weniger davon vorhanden ist. Minimal- und Maximalpreise für eingespeisten Strom könnten dem Konsumenten die Sicherheit geben, dass er nie den extremsten Schwankungen der Börse ausgesetzt wäre.

Um dynamische Strompreise zu ermöglichen, ist eine Messung und Abrechnung des Verbrauchs (und der Produktion) in hoher zeitlicher Auflösung nötig, d.h. viertelstündlich statt monatlich. Die dafür notwendigen Smart-Meter sind aber in der Schweiz noch nicht flächendeckend installiert. Selbst dort, wo sie installiert sind, haben Kunden kaum Möglichkeiten, auf dynamische Preismodelle umzusteigen, weil ihr Energieversorger diese Möglichkeit nicht anbietet.

Womit wir bei einem weiteren Anreizproblem wären: Der fehlende Anreiz von Energieversorgern, dynamische Preise anzubieten. Während jeder selber entscheiden kann, ob er bei Swisscom oder Salt ein Handy-Abo abschliessen will, gibt es in der Schweiz beim Strom keine Wahlfreiheit. Energieversorger wie die Elektrizitätswerke von Zürich oder Bern haben eine Monopolstellung in ihrem Einzugsgebiet und somit wenig Anreiz zur Innovation.

Im Zuge der Marktliberalisierung in der EU haben innovative Firmen wie Octopus Energy oder 1KOMMA5° gezeigt, dass dynamische Stromtarife kombiniert mit der intelligenten Steuerung von eigener Solaranlage, Wärmepumpe oder Elektroauto-Ladestation unter dem Strich zu deutlich tieferen oder sogar negativen Stromkosten für den Endkunden führen. Eine Marktliberalisierung in der Schweiz ist mit dem neuen Stromabkommen, welches die Schweiz mit der EU ausgehandelt hat, in Griffnähe. Jeder könnte aber selber entscheiden, ob er weiterhin in der Grundversorgung bleiben oder seinen Energieversorger wechseln will.

Wie Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, wechselt nur ein kleiner Teil der Kunden den Energieversorger nach einer Marktliberalisierung.  Man könnte daher wie in Deutschland die Energieversorger dazu zwingen, ein dynamisches Preismodell anzubieten, um dieser Lösung zum Durchbruch zu verhelfen.

 

Idealisten bleiben wichtig

In vielen Bereichen lässt sich mit dem moralisch Sinnvollen schon heute Geld sparen, etwa bei energieeffizienten Haushaltsgeräten, nicht-fossilen Heizsystemen, bei der Gebäudeisolation oder durch die Anschaffung eines Elektroautos.

Ein perfektes finanzielles Anreiz-System werden wir nie haben. Daher spielen Idealisten eine entscheidende Rolle bei Veränderungsprozessen wie der Energiewende, insbesondere am Anfang. Sie bringen sich in politische Prozesse ein und gehen auch in ihren eigenen Gestaltungsräumen mit gutem Beispiel voran.

Christen sollten ein Teil dieser Gruppe sein, indem sie sich den Auswirkungen ihres Handelns auf andere und die Schöpfung bewusst sind, auch mal auf den eigenen Vorteil verzichten und mutig vorwärtsgehen. Stemmen können Idealisten die Energiewende nicht alleine – den Weg dafür ebnen jedoch schon.

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