Bildungsdiskussion: Die eigene Schulzeit ist wichtiger als die Wissenschaft 

Der neue US-Präsident Donald Trump plant, das Bildungsministerium abzuschaffen. Dieses wurde 1979 von Präsident Jimmy Carter und dem Kongress eingerichtet. Begründet wird die Abschaffung von der Trump-Administration mit der «Beseitigung der bürokratischen Aufblähung» und «zügellosen Bürokraten, die diese Programme und Gelder unterstützen». Damit will Trump die Bildung wieder den einzelnen Staaten überlassen (1). Bereits wurden viele Zuschüsse und Verträge im Zusammenhang mit Forschung und Lehrerqualität gestrichen. Allerdings wäre für die vollständige Auflösung des Ministeriums eine Mehrheit von 60 Stimmen im Senat erforderlich, da die wichtigsten Programme, die das Ministerium verwaltet, gesetzlich verankert sind. Wie sieht das eigentlich in der Schweiz aus?

(Lesezeit: 7 Minuten)

Aufgrund dieser Massnahme der Trump-Regierung könnten wir einmal mehr in die gewohnte Polemik gegenüber dem «Bullshitter»2 aus den USA verfallen. Aber eigentlich wäre es doch viel nützlicher, uns zu fragen, wo das Schweizer Bildungssystem, insbesondere unsere Volksschule, steht. 

(Bild: Bayu Zkn auf Pixabay)

Harmonisierung ohne Bildungsdepartement

Zwar hat die Schweiz bekanntlich kein Bildungsdepartement. Trotzdem haben die Kantone in den letzten Jahren im Zuge des Lehrplans 21 grosse Fortschritte punkto Harmonisierung erzielt. Verschiedene Konkordate regeln die noch engere Zusammenarbeit in einer Region oder Sparte. Zum Beispiel gibt es ein Konkordat für Sonderpädagogik, das Qualitätsvorgaben für Anbieter und Standards für Abklärungsverfahren festlegt. Der grosse Massstab, der in der obligatorischen Volksschule angelegt wird bzw. werden sollte, ist sogar in Artikel 11 der Bundesverfassung verankert: «Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung.»

 

Bildungsthemen – aus dem Bauch heraus diskutiert

Diese Ausgangslage hindert die Politiker und Politikerinnen in den Kantonen nicht daran, hochemotionale Debatten darüber zu führen, was gute Volksschulbildung sei. Dabei wird man den Verdacht nicht los, dass sie sich dabei vor allem auf ihre eigene Bildungskarriere oder diejenige ihrer Kinder beziehen, meist ohne dabei auch aktuelle Forschungsergebnisse zu berücksichtigen. FDP und SVP fordern in ihren neusten Bildungspapieren, dass Rezepte aus dem 19. Jahrhundert wieder hervorgeholt werden: Während FDP-Präsident Thierry Burkart den Satz «Die integrative Schule ist gescheitert»3 geprägt hat, erschien kürzlich – wiederum in den Tages Anzeiger-Medien – unter dem Titel «Unsere Volksschule befindet sich im Niedergang» ein ganzseitiges Interview mit SVP-Nationalrat Benjamin Fischer, in dem dieser Spezialklassen für fremdsprachige Kinder fordert, damit «der Unterricht weiterhin gewährleistet werden kann»4. In Foren zu Bildungsthemen wird immer wieder moniert, dass sich «starke» Kinder in integrativen Schulen nicht entfalten könnten, respektive die Lehrpersonen mit den grossen Unterschieden in der Klasse – der Heterogenität – überfordert seien.

 

Studien zeigen eine mittelmässige Volksschulbildung

Die Bildungsforschung zeichnet hingegen ein anderes Bild: Separation führt zu frühzeitiger Aussortierung statt zu massgeschneiderter Förderung der Jugendlichen. Forschungsergebnisse wie die Pisa-Studien zeigen auf, dass die Schweizer Volksschule gegenüber anderen Ländern eher mittelmässig dasteht.

 

Ein Viertel der Schülerinnen und Schüler, die hierzulande die obligatorische Schule absolviert haben, verfügen über ungenügende Kompetenzen in Lesen und Mathematik. Überdurchschnittlich häufig kommen die Betroffenen aus bildungsfernen Familien, in denen Eltern ihren Kindern bei den Hausaufgaben nicht helfen konnten. Das müsste auch in der Schweiz nicht so sein: In den Ländern, die gegenüber der Schweiz die Nase vorn haben, ist der Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und familiärem Hintergrund sehr viel geringer, wie Katharina Maag Merki, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaft der Uni Zürich, sagt5. Zusammen mit anderen Wissenschaftern ihres Fachs führt sie diesen Zusammenhang auf die frühe Einteilung der Kinder nach der 6. Klasse in Leistungszüge zurück, sowie auf den damit verbundenen Aufwand für Kinder, Eltern und Lehrpersonen. Maag Merki, die ursprünglich als Primarlehrerin arbeitete, sagt dazu: «Diejenigen Länder, die bei Pisa besser dastehen als die Schweiz, zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Selektionszeitpunkt erst auf die 8. oder 9. Klasse legen.»

 

Umgang mit Heterogenität als didaktische Aufgabe

Aber was wäre mit den «starken» Kindern, wenn man die Gliederung in der Oberstufe abschaffen würde? Kämen sie dadurch nicht zu kurz? Alle Befunde zeigten, so Maag Merki, dass die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler nicht darunter litten. Es ergebe sich keine Nivellierung nach unten, wie das jeweils befürchtet werde. «Es ist aber eine andere Art des Unterrichtens nötig», betont die Erziehungswissenschafterin. Es sei in erster Linie eine didaktische Aufgabe, die in diesem Fall gelöst werden müsse. Schülerinnen und Schüler arbeiteten in einer heterogenen Oberstufe vermehrt an ihren eigenen Zielen in ihrem eigenen Tempo, wie das in der Schweiz zum Beispiel in den Mosaik-Sekundarschulen6 bereits umgesetzt werde.

 

Hartnäckiger Mythos von der Notwendigkeit homogener Klassen

Damit die Selektion auch in der Schweiz hinausgeschoben werden kann, braucht es aber auch eine politische Diskussion, da die Gliederung der Oberstufe in den meisten Kantonen gesetzlich verankert ist. Aktuell werden in den Kantonen Bern und Zürich erstmals Unterschriften für die Abschaffung der Selektion in der Volksschule gesammelt. Wie die Begleitdiskussionen dazu zeigen, braucht es für das Anliegen noch viel Überzeugungsarbeit. Der Mythos, dass es in der Oberstufe möglichst homogene Klassen brauche, damit sich insbesondere die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler auf ihre berufliche Laufbahn entsprechend vorbereiten können, hält sich hartnäckig.

Was hätte Jesus in dieser Situation getan? Er hätte gerade diese Jugendlichen, die in unserem aktuellen Schulsystem unter dem Radar sind, zu sich gerufen und ihnen ihre Würde zurückgegeben. Bleiben wir dran!

 

1 US-Bildungsministerium: Trump plant Auflösung, 20 Minuten

2 Wochenkommentar Archive: matthiaszehnder.ch 

3 FDP-Chef Thierry Burkart: «Die integrative Schule ist gescheitert», Tages-Anzeiger (Abo)

4 Benjamin Fischer: SVP will weitreichende Schulreformen, Der Bund (Abo)

5 Episode 16 – Bildungsbenachteiligungen im Schweizer Bildungssystem – Kompetent?! Ein Bildungspodcast Podcast

6 https://www.mosaik-sekundarschulen.ch

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