Wie Donald Trump die Demokratie zertrampelt

Seit dem 20. Januar sitzt in den USA ein offensichtlicher Narzisst auf dem Thron, der nach dem Motto «Trump First» regiert und sein Land als Spielball für seine Machtspiele missbraucht. Und das in einem Staat, in dem sich 62% der Bevölkerung als Christen bezeichnen. Welche Show läuft hier gerade ab? Und was können wir daraus lernen?

(Lesezeit: 14 Minuten)

Eigentlich war die US-Bevölkerung nach der ersten Amtszeit von Donald Trump gewarnt, spätestens nach seiner Weigerung, seine Nicht-Wiederwahl zu akzeptieren. Und seine Ankündigungen vor seiner nun gelungenen Wiederwahl hätten eigentlich stutzig machen müssen. Dabei setzt Trump nur das um, was er versprochen hat. Er hat dafür «ausschliesslich Loyalisten um sich geschart, niemand denkt mehr quer oder stellt etwas infrage. Ihr Idol sieht sich selbst von Gott für seine Aufgabe auserwählt. Was soll da noch schiefgehen1

(Bild: Pete Linforth auf Pixabay)

Macht statt Ethik

Der Blick in die Medien zeigt: Da geht aber fast täglich etwas schief. Wer versucht, die politischen Checks und Balances der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative auszutricksen, mag ein guter Spieler sein, er verliert aber früher oder später das Spiel um eine gelebte Demokratie. Und das in einem Land, das mal als Leuchtturm dieser komplizierten, aber menschenfreundlichen Staatsform gegolten hat.

Wer Politik als Befriedigung der eigenen Machtgelüste missbraucht, ist gefährlich. Trumps Wirtschaftspolitik hat laut dem deutsch-amerikanischen Ökonom Rüdiger Bachmann «sadomasochistische Züge»: «Er geniesst die Macht, am Parlament vorbei Zölle erheben zu können und diese Zölle nach persönlichem Gutdünken für bestimmte Firmen und Branchen auch wieder auszusetzen2.» Und zerstört damit «die moderne, hocharbeitsteilige und international verflochtene Wirtschaft». Die historisch vor allem auch christlich geprägten Menschenrechte gelten als ethische Grundlage der westlichen Welt. Dazu gehört etwa der Schutz des Schwächeren. «Forget it», sagt Trump. Ich bestimme selber, was recht und was unrecht ist, wem geholfen und wer verfolgt oder geschützt werden soll.

Es mag in den USA eine überbordende Bürokratie geben, der eine sorgfältig durchdachte und juristisch korrekt umgesetzte Verschlankungskur gut tun würde. Ja, die Demokraten haben mit ihrem Gender-Gugus nach dem Motto «Wer erfindet das nächste Geschlecht?» wohl übertrieben. Auch wer sinnvollerweise von zwei Geschlechtern, Mann und Frau, ausgeht, muss deshalb aber noch lange nicht auf Menschen mit Identitätskrisen losgehen. Laut Thomas Dummermuth war das Genderthema für die Demokraten eigentlich immer ein untergeordnetes Thema, mehr so im Sinn: Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen sich selber sein dürfen. Und: Ja, Abtreibung à gogo geht definitiv nicht. Sie verletzt die Menschenrechte von werdenden Menschen. Vielleicht haben die Demokraten die Bedürfnisse der einfachen Menschen tatsächlich zu wenig ernst genommen. Aber: Genügt das, um einen verfassungsmässig eigentlich gut gegründeten Staat aus den Angeln zu heben?

 

Es braucht Aufmerksamkeit, seelische Wachheit und geistliche Klarheit

Wir haben dazu den heutigen US-Theologen Thomas Dummermuth befragt. Er ist im Emmental aufgewachsen und ist Pfarrer der Eastridge Presbyterian Church in Lincoln im US-Bundesstaat Nebraska. Seine Leidenschaft gilt dem Gespräch zwischen Kulturen, Konfessionen und Generationen – und dem Versuch, mitten im Umbruch geistlich klar zu bleiben.

 

1. Aus unserer europäischen Sicht haben wir den Eindruck, dass Donald Trump derzeit die Demokratie in den USA zerlegt. Wie würdest du die Entwicklungen seit dem 20. Januar aus deiner Wahrnehmung beschreiben?

Vorweg: Ich bin kein Politologe, sondern Theologe, Pfarrer und Seelsorger. Aber ja, «zerlegt» trifft tatsächlich mein eigenes Empfinden. Ich beobachte besonders seit der Wiederwahl Trumps eine zum Teil radikale Infragestellung von Prinzipien, die für Demokratien zentral sind: Gewaltenteilung, Respekt vor unabhängigen Institutionen, ein Mindestmass an Wahrhaftigkeit im politischen Diskurs. Es erschüttert mich, mit welcher Energie die Abrissbirne geschwungen wird. Manchmal erscheint es mir, als würde dieser Staat wie ein marodes Unternehmen übernommen, in Einzelteile zerlegt und weiterverkauft – quasi als Ressource für Spezialinteressen Einzelner.

Dazu kommt die ständige Erzeugung von Krisen – rhetorisch wie real – die zu Erschöpfung führt. Viele Menschen, auch in meinem Umfeld, fühlen sich überfordert, machtlos, abgelenkt. Das erschwert nicht nur politischen Widerstand, sondern trifft uns auch emotional und geistig. Widerstand unter diesen Bedingungen ist nicht nur eine politische, sondern auch eine spirituelle Aufgabe. Es braucht Aufmerksamkeit, seelische Wachheit, geistliche Klarheit.

 

2. Für viele war die Wiederwahl Trumps eine Überraschung. War es das auch für dich? Oder müsste man sagen: Die Demokraten haben ihre Niederlage selber verschuldet, weil sie die Anliegen der breiten Bevölkerung zu wenig ernst genommen haben?

Ich war eher ernüchtert als überrascht. Die Dynamiken, die zu Trumps Wiederwahl geführt haben, waren seit Jahren spürbar: Polarisierung, Misstrauen gegen Institutionen, soziale Verunsicherung – nicht zuletzt verstärkt durch die Nachwehen der Pandemie.

Man kann sicher kritisch fragen, ob die Demokraten genügend auf existenzielle Probleme eingegangen sind – etwa Inflation, Abstiegsängste, strukturelle Benachteiligung im ländlichen Raum oder auch die gesellschaftliche Verunsicherung im Zuge zunehmender Migration. Aber das erklärt nicht alles. Entscheidender scheint mir die bewusste Bewirtschaftung von gesellschaftlichen Ressentiments, die durch soziale Medien zusätzlich befeuert wird.

Reale Sorgen wurden nicht gelöst, sondern kulturell umgedeutet: Der gesellschaftliche Mainstream wurde als moralisch verdorben, urban, elitär dargestellt. Daraus entstand ein Kulturkampf-Narrativ: «Wir gegen die anderen.» Die Spaltung wurde nicht nur in Kauf genommen, sondern aktiv betrieben.

Soziale Medien haben diese Prozesse radikalisiert. Algorithmen begünstigen Empörung, vereinfachen komplexe Realitäten und schaffen Echokammern. Im Ergebnis entsteht eine politische Arena, die eher auf Identität und Affekt reagiert als auf Fakten.

In diesem Sinn sehe ich in der Wiederwahl Trumps keinen Betriebsunfall, sondern den Ausdruck eines tiefen gesellschaftlichen Risses, der weit über Parteipolitik hinausgeht.

 

3. Offensichtlich wurde Trump auch von evangelikalen Christen, welche die Bibel ernst nehmen wollen, breit unterstützt. Wie kann es sein, dass sie einem selbstverliebten notorischen Lügner und Verächter der Menschenrechte mit ihren Stimmen zum Durchbruch verholfen haben?

Diese Frage beschäftigt mich sehr. Meiner Meinung nach hat vieles mit dem bereits erwähnten Kulturkampf-Narrativ zu tun. Viele Evangelikale haben in den letzten Jahren miterlebt, wie ihre kulturelle Deutungshoheit schwindet. Das erzeugt Angst, Empörung – und die Sehnsucht nach einem starken Führer.

Begriffe wie «Religionsfreiheit» werden dabei oft als Schlagworte gebraucht – gemeint ist aber häufig nicht die Freiheit aller Religionen, sondern die Verteidigung christlicher Privilegien. Ebenso wird «Lebensschutz» oft verkürzt auf die Abtreibungsfrage, ohne soziale Fragen, Armut oder Waffengewalt mitzudenken.

Trump hat es verstanden, diese Themen politisch zu instrumentalisieren und sich als Bollwerk gegen gesellschaftliche Liberalisierung zu inszenieren. Viele haben das als «Schutz des Glaubens» verstanden – nicht trotz, sondern gerade wegen seines rücksichtslosen Auftretens.

Er präsentiert sich also als Kämpfer für bedrängte Christinnen und Christen. Und gerade darin liegt die bittere Ironie: Seine Trump-Politik schadet vielen davon. Zum Beispiel Geflüchteten, die vor religiöser Verfolgung geflohen sind und als «Schmarotzer» verunglimpft werden. Oder kirchlichen Hilfswerken, die sich für diese Menschen einsetzen und unter Generalverdacht gestellt werden – als wären sie Betrugssysteme oder Verschwendungsapparate. Ein Schlag ins Gesicht all jener, die ihren Glauben durch solidarisches Handeln leben.

Um diese Diskrepanz zu erklären, wird oft auf den Perserkönig Kyros verwiesen: ein «Werkzeug Gottes» trotz unheiligem Lebenswandel. Die Historikerin Kristin Kobes Du Mez hat darüber viel geforscht. In ihrem Buch «Jesus and John Wayne» zeigt sie schlüssig auf, wie sich in evangelikalen Kreisen ein Jesusbild durchgesetzt hat, das an amerikanische Männlichkeitsmythen angelehnt ist: durchsetzungsstark, militärisch, «männlich». Dieses Bild passt erschreckend gut zu Trump.

Ich habe aber noch eine andere Theorie. Ich frage mich, ob die Theologie vieler Evangelikaler Jesus fast ausschliesslich auf seinen erlösenden Sühnetod und damit verbunden den Glauben auf ein rein individuelles Heil reduziert hat. Anders ausgedrückt: Die Lebenspraxis Jesu – seine Feindesliebe, seine Zuwendung zu Ausgegrenzten, seine Kritik an religiösem Machtmissbrauch – tritt in den Hintergrund.

 

4. In den USA gibt es auch linksevangelikale Kräfte wie etwa die Sojourners. Warum hört man so wenig von ihnen?

Diese Bewegungen gibt es durchaus – nicht nur die Sojourners, sondern auch Red Letter Christians, Faith in Public Life, The Poor People's Campaign und viele andere. Sie engagieren sich für soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Antirassismus und Friedensethik. Aber sie sind im öffentlichen Diskurs weniger sichtbar.

Das hat mehrere Gründe: Erstens setzen sie nicht auf Empörung, sondern auf Dialog und Gemeinwesenarbeit. Das ist weniger «medientauglich». Zweitens fehlt ihnen oft die mediale Infrastruktur: Sie haben keine eigenen TV-Sender und sind in Mega-Churches oder politischen Thinktanks wenig vertreten. Drittens haben sich viele progressive Christinnen und Christen in den letzten Jahrzehnten aus dem öffentlichen Raum zurückgezogen – aus Abgrenzung zum politisch missbrauchten Glauben.

Ich finde, es ist an der Zeit, dass auch im deutschsprachigen Raum deutlicher wird: Glaube und gesellschaftliche Verantwortung schliessen einander nicht aus. Im Gegenteil: Sie finden in der Nachfolge Jesu eine gemeinsame Quelle.

 

5. Was müsste getan werden, damit Trump gestoppt werden kann?

Zunächst: Es gibt keinen simplen Hebel, keinen einzelnen Ausweg. Der Weg aus der gegenwärtigen Gefahr, dass die Vereinigten Staaten vollends in einen autoritären Modus kippen, ist lang. Um ihn zu gehen, braucht es die ganze Zivilgesellschaft. Dazu gehören gewaltfreie Proteste, die Teilnahme an Town Halls3, das Gespräch mit Nachbarn und das Kontaktieren von gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten. Demokratie lebt vom Mitmachen – oder sie wird ausgehöhlt.

Gleichzeitig sehe ich die Gefahr, dass der Widerstand, wenn er aus Angst oder Empörung gespeist ist, selbst in einen Modus der Verhärtung kippt. Und dass wir die Fähigkeit verlieren, zuzuhören. Dass wir uns selbstgerecht auf die «richtige Seite» schlagen und damit am Ende genau das reproduzieren, was wir eigentlich bekämpfen wollen.

Gerade deshalb ist der spirituelle Aspekt für mich unverzichtbar. Unsere Aufmerksamkeit ist unser kostbarstes Gut: sie muss gepflegt, geschützt und immer wieder neu ausgerichtet werden. Nicht auf den nächsten Skandal, nicht auf die nächste Panikwelle, sondern auf das, was trägt: Würde. Wahrheit. Mitgefühl.

Resilienz ist keine private Leistung – sie ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Ich erlebe das ganz konkret in einem kirchlichen Netzwerk hier vor Ort, dem 24 Gemeinden angehören. Jedes Jahr führen wir sogenannte Listening Sessions durch – Gesprächsabende, bei denen gefragt wird: «Was hält dich nachts wach?» Aus diesen Erzählungen entstehen Themen, gemeinsames Engagement, neue Netzwerke. Das mag klein wirken. Aber ich glaube: Veränderung beginnt genau dort. Wenn Menschen sich gegenseitig ernst nehmen, sich organisieren, ihre Aufmerksamkeit bündeln und ihre Kraft teilen.

Trump kann – und muss – politisch gestoppt werden. Aber es braucht mehr als juristische Verfahren oder Wahlstrategien. Es braucht eine Kultur, die sich nicht von Angst und Zynismus bestimmen lässt. Und es braucht eine erneuerte Vorstellungskraft von dem, was möglich ist, wenn Menschen sich nicht im Misstrauen verlieren, sondern füreinander einstehen. Von Gemeinschaften, die einander tragen. Von einer Gesellschaft, in der Gerechtigkeit nicht abstrakt bleibt, sondern im Alltag erfahrbar wird.

Diese Hoffnung ist kein naiver Optimismus. Sie ist eine Entscheidung – gespeist aus Glaube, Erinnerung, Begegnung. Und sie beginnt dort, wo Menschen zusammenkommen, zuhören und sich nicht voneinander trennen lassen.

 

1 Christof Münger in «Der Bund» vom 26. März

2 «Der Bund», 24. März

3 Die Town Hall basiert auf dem politischen Verständnis der US-Demokratie, wonach (zumindest theoretisch!) Amtsträger nicht ihre eigene Meinung repräsentieren sollen, sondern die der Bürgerinnen und Bürger, die sie vertreten. Insofern spielen die Town Halls (wie auch Briefe und Anrufe an Abgeordnete) eine wichtige Rolle.  Ein «Town Hall Meeting» ist ein ein öffentliches Treffen, bei dem Politikerinnen und Politiker mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. Ziel ist es, Fragen zu beantworten, Sorgen anzuhören und über aktuelle Themen zu sprechen.

 

Bücherrundschau

500 Jahre Täufertum in der Schweiz

Wir haben bereits im letzten Editorial auf das diesjährige Täuferjubiläum hingewiesen. Kürzlich ist nun ein weiteres Buch zu diesem Anlass erschienen.

Ein Autorenteam, u.a. auch vom mennonitischen Zentrum Bienenberg, hat in einem aufwändig gestalteten Buch die 500-jährige Geschichte und das entsprechende Erbe der Schweizer Täufer sorgfältig in Text und Bild dokumentiert, eingebettet in die europäischen und globalen Zusammenhänge. Aufgegriffen werden die Anfänge im Zürcher Gebiet und in der Nordostschweiz, das wenig bekannte Bündner Täufertum im 16. Jh., das Basler Täufertum und das Berner Täufertum, das bekanntlich direkte lokale Bezüge bis in die heutige Zeit aufweist. Der täuferischen Friedensethik und ihrer Bedeutung für unser Jahrhundert wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Ein hoch informatives und gut verständliches zukünftiges Standardwerk. Als einziger Wermutstropfen wäre die viel zu kleine Schrift des Lauftextes zu nennen.

Oliver Dürr, Urs B. Leu, Hanspeter Jecker, Tobias Jammerthal, Astrid von Schlachta, Jan Andrea Bernhard und Fernando Enns. «Kinder des Friedens – 500 Jahre Täufertum in der Schweiz.» 2025, Zürich, TVZ. Gebunden, 224 Seiten, CHF 38.90, ISBN 978-3-290-18687-6

Schreiben Sie einen Kommentar