Der Bundesrat geht mit seinem Projekt über den vom Parlament 2022 erhaltenen Auftrag hinaus, schliesslich will er ja zeitgemäss sein. Den bundesrätlichen Wünschen und Aussagen hatte die von ihm ernannte Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin NEK schon 2022 den Weg geebnet: in einer über 30-seitigen Stellungnahme zur Eizellspende. Etwa 20 mal nahm die NEK dort den Begriff «Kindeswohl» in den Mund – und den Zusammenhang zwischen dem Zivilstand der Eltern und dem Kindeswohl hielt sie für nicht mehr zeitgemäss.
Über die letzten Jahre hinweg gesehen werde ich den Eindruck nicht los, dass die Sorge um das Kindeswohl trotz gegenteiliger Beteuerungen nie Priorität hatte und hat. Es scheint, dass es immer nur als flankierende Massnahme beim Legitimieren neuer, «zeitgemässer» Beziehungsmodelle und Fortpflanzungsmethoden ins Feld geführt wurde.
Das oberste Prinzip
In einem «Faktenblatt» zur Begleitung des aktuellen bundesrätlichen Vorhabens schreibt das Bundesamt für Gesundheit BAG über das entsprechende Gesetz: «Oberstes Prinzip ist der Schutz des Kindeswohls. Zu diesem Zweck regelt das Gesetz unter anderem, wer Zugang zu den Fortpflanzungsverfahren hat, welche Verfahren erlaubt sind und welche Auskünfte ein durch Samenspende erzeugtes Kind über seine Herkunft erhalten kann.» Das «oberste Prinzip» ist aber klar der Legitimierung künstlicher Fortpflanzung untergeordnet. Und nach welchen Kriterien diese geschehen darf, wird laufend zeitgemäss neu definiert und Stück für Stück in politischen Entscheiden umgesetzt.
Nebenbei bemerkt: Während in anderen politischen Sachgebieten umfassende Gesetzespakete zur Abstimmung gebracht werden und so halt manchmal scheitern, wird beim Regeln von Beziehungsmodellen und künstlicher Fortpflanzung häppchenweise umdefiniert – zeitgemäss –, und das gerade genügend verdaulich auch für die noch zögernden Bürger.
Eizellspende im Ausland: bewährt oder gefährlich?
Die NEK und jetzt auch der Bundesrat plädieren für die Eizellspende im Inland, weil sonst potenzielle Empfängerinnen ins Ausland gehen würden. Dort könne aber der Schutz der Eizellenspenderinnen und das Kindeswohl nicht garantiert werden. Da wirkt die folgende NEK-Behauptung, mit der sie generell für die Eizellspende wirbt, wiederum fast grotesk: «Die Eizellenspende ist eine im Ausland häufig praktizierte und bewährte Behandlungsmethode.»
Was daran bewährt sei, muss angesichts eines NEK-Eingeständnisses noch in derselben Stellungnahme hinterfragt werden. Sie räumt nämlich ein: «Dennoch ist bekannt, dass Frauen, die nach einer Eizellenspende schwanger werden, zusätzlich zu den üblichen Risiken der assistierten Reproduktion (IVF/ICSI)1 erhöhte Risiken aufweisen, welche die Gesundheit des Kindes beeinträchtigen können. Dazu gehören z.B. geburtshilfliche Notfälle oder Frühgeburten. Ebenso zeigt sich, dass Kinder, die mithilfe einer Eizellenspende gezeugt wurden, ein signifikant niedrigeres Geburtsgewicht aufweisen.» Das Argument des Kindeswohls umgeht die NEK dann mit der Ausführung, Gegner müssten überzeugend darlegen können, dass es für das Kind besser sei, gar nicht erst geboren zu werden. Damit hält die NEK die Tür für Eizellspenden weit offen. Eine solche Darlegung kann ja niemand mit letzter Gewissheit erbringen – und ich glaube, dass sich Befürworter von Eizellspenden davon wohl auch kaum überzeugen liessen.
Noch eine weitere «höchste Priorität»
Das BAG betont im «Faktenblatt» noch eine weitere «höchste Priorität»: nämlich den Schutz der Eizellen-Spenderinnen. Doch wovor müssen diese denn geschützt werden? Das BAG sagt es gleich selber: «Die Behandlung bis zur Entnahme von Eizellen bedeutet eine grosse Belastung. Die Frauen müssen während einiger Wochen Hormone einnehmen, damit gleichzeitig mehrere Eizellen heranreifen. Dies kann mit unangenehmen Nebenwirkungen verbunden sein. Im schlimmsten Fall führt die Hormonbehandlung zu einer gefährlichen Überstimulation. Die Eizellenentnahme erfolgt unter örtlicher Betäubung oder Kurznarkose.»
Wie will das BAG diese Frauen schützen? Durch die vorangehende Aufklärung «über alle Aspekte und Risiken des Eingriffs» – was die Frauen zwar warnt, aber meines Erachtens nicht schützt – und – man staune – auch noch mit einer weitergehenden Massnahme: «Spenderinnen sollen für ihre Eizellenspende kein Geld, sondern lediglich eine Aufwandsentschädigung erhalten.» Kein Wunder erwartet das BAG, «dass in der Schweiz nicht genügend Eizellen gespendet werden». Es schliesst denn auch einen geregelten Import nicht aus. Bedingung des BAG ist: «Wird der Import zugelassen, muss sichergestellt werden, dass Eizellen nur aus Staaten importiert werden, die einen vergleichbaren Schutz der Spenderinnen kennen wie die Schweiz.» Na ja, beim vorgesehenen Schweizer Schutz ist die Hürde nicht hoch angelegt. Aber das kennen wir ja bereits beim Schutz des Kindeswohls.
Fazit
Verfahren künstlicher Fortpflanzung werden auf immer neue Beziehungsformen und Techniken ausgeweitet. Der Grundtenor: Wer ein Kind haben will, soll es bekommen können. Konstant bleibt, dass die Stichworte Kindeswohl und Schutz der benutzten Frauen als Feigenblätter benutzt werden. Was das Wohl der Kinder und den Schutz der Frauen ausmacht, das sollte aber vertiefter diskutiert werden.
1 IVF: In-vitro-Fertilisation, also Befruchtung im Reagenzglas. ICSI: Intrazytoplasmatische Spermieninjektion, ebenfalls Befruchtung im Reagenzglas, aber mit künstlicher Einführung eines Spermiums direkt in die Eizelle.
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