Christlicher Nationalismus ist eine schädliche politische Ideologie. Sie liegt vor, wenn ein Nationalstaat oder eine politische Partei mit dem christlichen Glauben gleichgesetzt oder verwechselt werden. Der «König» darf nicht zu Gott werden, sonst wird Nationalismus zum Götzendienst.
Diese Dynamik ist gefährlich. Wenn religiöse Überzeugungen zur Legitimation politischer Machtansprüche missbraucht werden, entsteht ein Nährboden für Extremismus. Im schlimmsten Fall kann dies zur Infragestellung demokratischer Prozesse führen, wie das der Sturm auf das Kapitol in Washington DC im Januar 2021 auf schockierende Weise zeigte. Viele Beteiligte verstanden ihre Aktion als «heiligen Krieg». Glaube wurde zum Instrument politischer Gewalt.
Das Mandat zur Herrschaft statt der Auftrag zum Dienst
Auch jenseits offener Gewalt zeigt sich die Vermischung von Glauben und Herrschaft in neuen, oft theologisch verdeckten Formen. Eine der einflussreichsten Ideen in diesem Zusammenhang ist das neu interpretierte «Seven Mountains Mandate».
Das Konzept der «Sieben Berge», das in den 1970er-Jahren von den christlichen Leitern Bill Bright und Loren Cunningham entwickelt wurde, hatte ursprünglich eine positive und biblische Motivation. Es war eine wichtige Reaktion auf einen damals verbreiteten Rückzug von Christen aus der Gesellschaft. Statt sich in religiösen Enklaven zu verschanzen, war es ein Aufruf, gemäss dem Gebot aus Jeremia 29,7 «Suchet der Stadt Bestes!» in allen sieben gesellschaftlichen Bereichen «Salz und Licht» zu sein.
In Teilen der heutigen Bewegung hat sich der Sinn dieses Mandats jedoch verschoben. Aus dem Auftrag zur Mitgestaltung ist ein Anspruch auf Kontrolle geworden: der so genannte «Dominionismus». Führende Vertreter dieser Strömung deuten den Gedanken der christlichen Verantwortung in Richtung Herrschaft um und propagieren eine Strategie, die auf die Übernahme zentraler gesellschaftlicher Bereiche – von Regierung über Bildung bis zu den Medien – abzielt.
Diese Entwicklung zeigt sich exemplarisch im Strategiepapier «Project 2025» der «Heritage Foundation». Obwohl offiziell als Reform präsentiert, erkennen Kritiker darin klare dominionistische Züge. Der Kern ist die theonome Überzeugung: Menschliche Gesetze sollen durch «Gottes Gesetz» ersetzt werden, sobald sie mit der christlich-nationalistischen Moral in Konflikt geraten. Diese Grundhaltung ist eine direkte Herausforderung an die Grundlagen des säkularen Rechtsstaats und eine gefährliche Verschiebung vom Auftrag zum Dienst hin zum Anspruch auf Herrschaft.
Die Gefahr für Rechtsstaat und übergeordnete Loyalität
Der christliche Nationalismus steht damit im Widerspruch zur Idee einer pluralistischen Demokratie. Er fordert die Privilegierung des Christentums durch den Staat. Doch eine Regierung sollte allen Menschen dienen. Der Theologe Thomas K. Johnson erinnert daran, dass Kirche und Staat auf unterschiedliche Weise funktionieren sollten. Die Einsicht, dass Gott allen Menschen gute Ideen schenkt, verlangt von uns Demut. Wer dies vergisst, ersetzt Demut durch einen triumphalistischen Anspruch auf moralische Überlegenheit.
Unsere höchste Loyalität gilt Christus und seinem Reich, das «nicht von dieser Welt» ist. Die Kirche, die aus Menschen aller Nationen und Völker besteht, steht ebenfalls im Widerspruch zum christlichen Nationalismus. Auch in der Schweiz begegnen wir diesen Phänomenen zusehends und es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Ideologien politischer Bewegungen sorgfältig in Treue zu Christus geprüft werden. Nur so können wir verhindern, dass gefährliche Tendenzen unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat unterwandern.
(Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in «EVP-Akzente» Nr. 4, November 2025)

Schreiben Sie einen Kommentar