Naturwissenschaften: Was den Menschen vom Tier unterscheidet 

Was ist das Besondere am Menschen und worin unterscheidet er sich vom Tier? Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen seit Jahrhunderten (1). Bis vor einigen Jahren war die verbreitete Lehrmeinung, dass die Fähigkeit des Menschen, Wissen anzusammeln und weiterzuentwickeln, massgeblich dafür verantwortlich sei. Durch Lehren und Lernen, Nachahmungseffekte und Vererbung würden Menschen ihr Wissen an die nachfolgenden Generationen weitergeben. Dadurch bleibe der Schatz an Wissen und Kompetenzen langfristig erhalten und könne sich zugleich über die Generationen hinweg weiterentwickeln. Neue Erkenntnisse über das Verhalten von Tieren stellen diese Vorstellung jedoch zunehmend infrage.

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Auch bei Tieren gibt es Elemente von sich entwickelnder Kultur. So entwickeln sich zum Beispiel die Gesänge von Savannensperlingen oder Buckelwalen weiter. Sie verbreiten sich zwischen verschiedenen Gruppen und werden mit der Zeit komplexer. Das ist ein mit der menschlichen Sprache vergleichbares Phänomen. Ein anderes Beispiel sind Schimpansen, die ihrem Nachwuchs das Knacken von Nüssen mit der Hilfe von Werkzeugen beibringen. Durch diese Nachahmung des Verhaltens entstehen lokale «Werkzeugkulturen» unter diesen Schimpansen. Es sieht zunehmend danach aus, als sei die Kumulation von Wissen und Kompetenzen kein rein menschliches Phänomen.

 

(Bild von thara58 auf Pixabay)

Begrenztes Vorstellungsvermögen

Vor knapp einem Jahr schlugen zwei amerikanische Wissenschaftler einen neuen Ansatz vor2. Dieser basiert auf einem Vergleich menschlicher und tierischer Kulturen sowie bisherigen Erklärungsansätzen für deren Unterschiede. Dabei stellten sie fest, dass die kulturelle Akkumulation bei Tieren früher oder später an eine Grenze stösst. Tiere können sich deshalb nur in einem begrenzten Mass Wissen und Kompetenzen aneignen und  dann weitergeben. Die beiden Wissenschaftler führen dieses Phänomen darauf zurück, dass Tiere sich aufwändige Handlungssequenzen weniger gut vorstellen können. Sie sind auch nicht in der Lage, diese in Teilziele herunterzubrechen. Die Grenze scheint somit im Vorstellungsvermögen von Tieren zu liegen.

Beim Menschen ist es ganz anders. Die neurologischen Strukturen des menschlichen Gehirns ermöglichen es, selbst höchst komplizierte Abfolgen von Anweisungen zu durchschauen und zu behalten. Menschen sind dadurch auch in der Lage, diese in Teilziele herunterzubrechen. Dadurch ist der Mensch in der Lage, eine nahezu beliebige Sequenz von Handlungen auszuführen. Die beiden Forscher nennen das «open-ended». Sollte ihre Theorie stimmen, hätte die kulturelle Akkumulation bei Menschen damit keine Grenzen.

Aus theologischer Sicht ist die naturwissenschaftliche Erkenntnis, dass der Mensch ein schier unbegrenztes kulturelles Entwicklungspotenzial besitzt und sich darin vom Tier unterscheidet, nicht überraschend. Gemäss 1. Mose 1,27 ist der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen. Das beinhaltet, dass Gott ihn mit besonderen geistigen, geistlichen, kreativen und moralischen Fähigkeiten ausgestattet hat. Also mit jenen Fähigkeiten, die den Menschen zur Gestaltung dieser Welt befähigen.

 

Würde bringt Bürde

Aus rein naturwissenschaftlicher Sicht könnte der Mensch mit diesen Fähigkeiten jetzt machen, was er will. Als vermeintliche Krone der Schöpfung könnte er die Welt dominieren. Biblisch betrachtet ist das jedoch keine Option. Ganz im Gegenteil: Adel verpflichtet. Die Sonderstellung des Menschen als Ebenbild Gottes beinhaltet nämlich einen Auftrag. Die Freiheit und Gestaltungskraft, die Gott ihm verliehen hat, sind kein Selbstzweck. Der Mensch ist ein Verantwortungsträger, denn Gott vertraut ihm diese Welt an3. Der Mensch unterscheidet sich also nicht nur in seiner Beschaffenheit vom Tier. Er unterscheidet sich auch durch die Beauftragung zur Fürsorge zugunsten seiner Mitgeschöpfe.

Leider zeigen die Herausforderungen der Gegenwart, dass der Mensch diesem Auftrag mehr schlecht als recht nachkommt. Der Gedanke, dass der Mensch als das von Gott zuletzt geschaffene Wesen die Krone der Schöpfung ist, scheint zu verlockend. Und damit auch die Überzeugung, dass die Instrumentalisierung und Ausbeutung der Mitgeschöpfe erlaubt ist.

Hier ist ein Perspektivenwechsel angebracht. Der Mensch ist laut Psalm 8 etwas Besonderes. Er ist – wie oben festgehalten – das Ebenbild Gottes. Gleichzeitig ist er aber auch nur ein Geschöpf. Und als Geschöpf ist er in eine grössere Geschichte eingebettet. Die Vollendung der Schöpfung geschieht nämlich nicht mit der Erschaffung des Menschen, sondern mit dem Ruhen Gottes am siebten Tag. Es ist diese Ruhe Gottes, die in der Bibel die Krone der Schöpfung ist4. Sie lässt sich mit dem göttlichen Shalom identifizieren. Es ist ein Ausblick auf das kommende Friedensreich, das in Jesaja 11 bereits vorgezeichnet wird. Die Krone der Schöpfung, das Ziel der Schöpfung ist das Friedensreich Gottes. Dafür sollen und wollen wir uns bereits heute einsetzen5. Gott hat uns Menschen dazu beauftragt und uns in besonderer Weise befähigt, diese Aufgabe wahrzunehmen.

 

1 Für einen Überblick dazu siehe: Priest, E. (2023). «Human uniqueness: debates in science and theology.» Zygon, 58(2), 384–404.

2 Vgl. Morgan, T. J. H. & Feldman, M. W. (2025). «Human culture is uniquely open-ended rather than uniquely cumulative.» Nature Human Behaviour, 9(1), 28–42.

3 1. Mose 1,28; 1. Mose 2,15

4 Siehe hierzu: Christensen, J. (2022). «Was meint Schöpfung? Eine ökologische Re-Lektüre von Genesis 1+2 und weiterer Schöpfungstexte.» In: R. Gütter, G. Hofmeister, C. Maier & W. Schürger (Hrsg.), «Zukunft angesichts der ökologischen Krise? Theologie neu denken.» (S. 87–105), Evangelische Verlagsanstalt.

5 Matthäus 6,33

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