Unabhängig vom Alter wünschen die meisten Menschen mit einer subjektiv empfundenen, zumindest einigermassen guten Lebensqualität, möglichst lange leben zu können. In den letzten Jahren konnten denn auch bedeutende Fortschritte erzielt werden, um die Lebenserwartung zu steigern.
Fast monatlich finden sich beispielsweise in der Onkologie immer bessere Therapieansätze, um bei kurativen – aus schulmedizinischer Sicht heilbaren – Situationen das Rückfallrisiko zu senken oder bei palliativen – aus schulmedizinischer Sicht nicht heilbaren – Erkrankungen die Lebenszeit und die Lebensqualität deutlich zu verbessern. Die prophylaktischen – vorbeugenden – Massnahmen werden immer besser, um dem Risiko einer lebensbedrohlichen Erkrankung entgegenzuwirken.
Der Blick auf unsere Gene
In der genetischen Beratung ist die Frage nach der Länge des menschlichen Lebens zentral. Die Diskussion fokussiert auf die effektiven prophylaktischen Massnahmen, welche auch im Falle eines fehlerhaften Gens eine lange Lebenserwartung wahrscheinlich machen. Die unglaubliche Menge an genetischem Material kann mit der Angabe illustriert werden, dass alle Chromosomen eines einzelnen Menschen aneinandergereiht je nach Schätzung zweihundert bis 130’000 mal die Entfernung zur Sonne und zurück zur Erde ergeben würde. Die Desoxyribonukleinsäure (DNA) aufgereiht aus einer einzelnen Körperzelle mit Zellkern beträgt etwa zwei Meter: Jeder Mensch hat schätzungsweise 10 Billionen Zellen mit Zellkern! Spannend ist sicher der Umstand, dass in unserm Körper alle Zellen mit Zellkern die gesamte Erbinformation beinhalten, unabhängig davon, ob es sich um eine Muskelzelle im kleinen Zehen oder um eine Zelle der Aderhaut im Auge handelt.
Bei der Beratung geht es um die Frage, ob ein Gen, ein sogenanntes Tumorsuppressorgen wie beispielsweise BRCA1 oder 2, fehlerhaft ist und das daraus entstandene fehlerhafte Eiweiss die Bildung einer Tumor-Zelle nicht erkennt und deshalb nicht vernichtet. Die Erbinformation bleibt im Wesentlichen während des ganzen Lebens unverändert. Daher geht es hier um ein Identitätsmerkmal – vergleichbar mit dem Geschlecht, der Hautfarbe, der Haarfarbe oder der Augenfarbe –, und die betroffene Person muss für die Analyse, mittels einer simplen Blutentnahme, eine Einverständniserklärung unterschreiben.
Die Möglichkeiten im Bereich der Keimbahngenetik nehmen in atemberaubender Geschwindigkeit zu. So wurde die Nukleinsäure im Jahr 1869 und die Doppelhelixstruktur der DNA im Jahr 1953 beschrieben und das BRCA 1 Gen als erstes Tumorsuppressorgen im Jahr 1994 definitiv sequenziert.
Eingriffe ins Immunsystem
Heute sind Therapien, die einen Eingriff ins Immunsystem oder die Genetik vornehmen, in der Medizin nicht mehr wegzudenken. Und es laufen Versuche mit teilweise bereits sehr guten Erfolgen, Erbkrankheiten mittels DNA-Repair auszumerzen. Am besten bekannt ist CRISPR: Mit dieser Methode wurden erste sehr erfolgsversprechende Resultate zur Therapie der beiden Erbkrankheiten der Sichelzellanämie und der beta-Thalassämie erzielt und publiziert2. Es darf davon ausgegangen werden, dass zukünftig auch Versuche unternommen werden, um Fehler in Tumorsuppressorgenen reparieren zu können.
International wird man diese Entwicklung weder stoppen noch umkehren können, auch wenn diese eine ausführliche ethische Diskussion benötigt. Hier nützt auch die Gesetzgebung der Schweiz, welche einen direkten Eingriff in die DNA noch verbietet, angesichts des internationalen Umfelds nichts.
Bauen wir einen neuen Turm Babel?
Neben den sehr erfreulichen Aussichten, Erbkrankheiten erfolgreich zu behandeln, gibt es grosse ethische Bedenken. Wird es in Zukunft zunehmend eine Selektion geben, so dass nur die genetisch perfekten Föten zu Menschen heranwachsen dürfen? Werden bereits intrauterin – innerhalb der Gebärmutter – mögliche genetische Fehler direkt therapiert? Und wird es bald möglich sein, das Leben eines sehr wohlhabenden und wichtigen Menschen zu verlängern, wie dies von Xi Jinping und Putin als Tatsache angenommen wurde? Und schliesslich: Wer entscheidet darüber, welcher Mensch lebenswert ist und welcher nicht?
Angesichts dieser äusserst schnellen, fantastischen und gleichzeitig auch sehr beängstigenden Aussichten betreffend Eingriffen in die DNA, den Code des Menschen, stellt sich die Frage nach Regulation, Sicherheit und Halt.
Im ersten Buch der Bibel ist die Geschichte vom Turmbau zu Babel festgehalten. Die Bewohner von Babel wollten dabei selber etwas Grossartiges erschaffen, indem sie die Gesetze Gottes missachteten und sich über Gott erhoben. Gott stieg herab, um sich die Stadt und den Turm anzusehen. Und er intervenierte mit dem bekannten Sprachengewirr.
Nach der Sintflut wurde die Zeitspanne eines Menschen auf 120 Jahre festgelegt. Seit Mose erreichte niemand mehr zweifelsfrei dieses Alter. Darf nicht angenommen werden, dass Gott erneut auf die Erde hinuntersteigt, um sich die neusten Techniken in der Genetik anzuschauen und dann zu intervenieren? Gerade weil Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat: Wird er nicht sicherstellen, dass er auch weiterhin alleine den Code und damit die DNA versteht, und die Diskussion über ein ewiges Leben auf dieser Erde leeres Geschwätz bleiben wird?
2 Quelle: N Engl J Med 2021;384:252-260
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