Warum ich (k)ein Israel-Fan bin

Ich gebe es zu: Ich bin kein Fan der Israel-Fahnen schwingenden Freaks in der christlichen Szene. Sie stehen bei mir unter dem Verdacht, nicht genau hinzusehen, was im Nahen Osten derzeit geschieht. Das aber ist nötig, gerade auch aus christlicher Sicht. Der Nahe Osten beschäftigt wieder einmal die ganze Welt, spätestens seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023. Ich wurde von mehreren Seiten aufgefordert, zum Gaza-Krieg einen Beitrag zu verfassen. Es gibt einfachere Themen für ein Editorial. Trotzdem versuche eine Annäherung an dieses brisante Geschehen, wenn auch ohne Israel-Fahnen.

(Lesezeit: 20 Minuten)

Ich ärgere mich tagtäglich über den derzeitigen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu angesichts seines menschenverachtenden Kreuzzuges gegen die Hamas, auch wenn ich dafür einen Rest an Verständnis aufbringen kann. Zugleich beschäftigen mich die islamischen Staaten, die diesen Konflikt am Köcheln halten. Beides vergleiche ich mit den biblischen Verheissungen für die Region Palästina. Im Hintergrund läuft da möglicherweise gerade Entscheidendes ab. 

Masada am Toten Meer (Bild von Nivaldo Martins auf Pixabay)

Warum ich ein Israel-Fan bin

1) Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten

«Die Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – mit Ausnahme von all den anderen Regierungsformen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.» So sagte es Winston Churchill (1874-1965). Die Demokratie ist auch von einem christlichen Weltbild her gesehen die bestmögliche Art, die von Gott gegebene Menschenwürde und Freiheit des Menschen politisch lebbar zu machen1. Benjamin Netanjahu kann seine drohende Verurteilung wegen Bestechung, Betrugs und Vertrauensbruchs durch die Immunität während seiner Regierungstätigkeit zumindest vorübergehend abwenden. Mit dem Krieg gegen die Hamas kann er die extremeren Partner seiner Regierung bei der Stange halten. Das sind Ungereimtheiten in der derzeitigen politischen Situation. Dass die Israelis dagegen friedlich protestieren können, ohne verhaftet zu werden, zeigt aber, dass die Demokratie in Israel lebt. Ganz im Gegensatz zu den Autokratien im übrigen Nahen Osten. Da stehe ich ganz auf der Seite Israels.

2) Gott ist ein Israel-Fan

Der wichtigste Punkt ist aber ein anderer: Der Gott der Bibel selber ist ein Israel-Fan. Er sagt über dieses schwierige Volk in Jesaja 44,1-62:

1 Jetzt aber höre, Jakob, mein Knecht, Israel, den ich erwählt habe.

2 So spricht der HERR, dein Schöpfer, der dich im Mutterleib geformt hat, der dir hilft: Fürchte dich nicht, Jakob, mein Knecht, du, Jeschurun3, den ich erwählt habe!

3 Denn ich giesse Wasser auf den dürstenden Boden, rieselnde Bäche auf das trockene Land. Ich giesse meinen Geist über deine Nachkommen aus und meinen Segen über deine Sprösslinge.

4 Dann sprossen sie auf zwischen dem Gras, wie Weidenbäume an Wassergräben. Der eine sagt: Ich gehöre dem HERRN. Ein anderer benennt sich mit dem Namen Jakobs.

5 Einer schreibt auf seine Hand: Für den HERRN. Ein anderer wird ehrenvoll mit dem Namen Israel benannt.

6 So spricht der HERR, Israels König, sein Erlöser, der HERR der Heerscharen: Ich bin der Erste, ich bin der Letzte, ausser mir gibt es keinen Gott.

Mit anderen Worten: Gott selber ist ein Fan von Israel, auch wenn er sich immer wieder über dieses Volk und seine Auflehnung gegen ihn ärgert. Eine Folge dieser Auflehnung ist die siebzigjährige babylonische Gefangenschaft, in die dieses Wort spricht. Aber auch die jahrhundertelange Zerstreuung in alle Welt nach der der Zerstörung des Tempels durch die Römer 70 nach Christus. Bis nach unzähligen Verfolgungen mit dem Tiefpunkt der Schoa, dem nationalsozialistischen Zerstörungsfeldzug gegen die Juden, 1948 der neue Staat Israel gegründet wurde. Diese territoriale Wiederherstellung eines Volkes und einer Nation ist in der Geschichte einmalig.

Von daher könnte sagen: Israel ist die einzige Nation, die einen Gott gegebenen Nationalismus pflegen kann und darf. Das gilt für kein anderes Land dieser Welt. Auch nicht für die USA, deren Gründungsväter sich zumindest teilweise als das neue Israel sahen, weil das alte ihrer Meinung nach ja von Gott verworfen worden war. Dem war und ist aber nicht so, wie die Geschichte gezeigt hat. Gott ist und bleibt ein Israel-Fan. Da kann und will ich nichts dagegen sagen.

3) Jesus ist ein Israel-Fan


Als Christ bin ich durch den Glauben und mein Handeln mit Jesus Christus verbunden. Er ist nicht nur der – von vielen verkannte – Messias der Juden, sondern auch mein Messias, der von Gott berufene Erlöser der Menschen. Jesus wurde von einer jüdischen Mutter geboren und gehört deshalb zum Volk Israel. Er hat aber schon zu seinen irdischen Lebzeiten das jüdisch-nationalistische Denken durchbrochen. Sein Tod an Karfreitag, von seinem Vater im Himmel beglaubigt durch die Auferstehung, befreite alle von ihren Sünden, nicht nur die Juden. Jesus machte alle, die diese (Er)Lösung für sich in Anspruch nahmen, zu Menschen, die dank ihm zu Gerechten werden.

Der Segen, der laut der erwähnten Jesaja-Passage den Stammvätern Israels gegeben wurde, geht laut Vers 5 weiter – über das Volk Israel hinaus. Der reformierte Theologe und evangelische Alttestamentler Walther Theodor Zimmerli kommentierte diesen Vers so: «Hier beruht der Vorgang des Hinzutretens zu Jahwe und des Sichzählens zu Jakob-Israel auf dem freien Entschluss erwachsener Menschen und ihrer bekenntnismässigen Zuwendung4.» Das Volk Israel wird somit erweitert. Seit Jesus gehören auch die Christen dazu. Sie werden in diesen von Gott gepflanzten Baum eingepfropft5.

Trotz seiner Zuwendung zu allen Völkern und allen Menschen distanzierte sich Jesus nie von seiner jüdischen Herkunft. Er ist offensichtlich wie sein Vater ein unerschütterlicher Israel-Fan. Da muss ich mich als Christ wohl anschliessen. Und komme so in den Genuss des Segens, der dank Abraham und seinem Unterwegssein mit Gott auf alle Völker übergeht6.

4) Gott verbindet das Ergehen Israels mit seiner Ehre

In Vers 6 der erwähnten Jesaja-Passage wird deutlich, dass die Geschichte zwischen Gott und dem ursprünglichen (wie auch dem erweiterten) Israel weitergeht. Er hat nicht nur am Anfang (Alpha), sondern bis zum Schluss (Omega) der Weltgeschichte etwas vor mit diesem Land im Nahen Osten wie auch mit der christlichen Gemeinde.

In einem Referat diesen Sommer in Darmstadt7 sprach der arabische Christ8 und Israel-Experte Marcel Rebiai von drei Leidenschaften Gottes. Gott will alle Menschen retten, er will seine Braut – die christliche Kirche –, und er will sein Volk – Israel – wiederherstellen. Der Grund für Letzteres sind nicht besondere Verdienste dieses Volkes. Er könnte auch ein anderes Volk für seine Pläne ausgewählt haben. Schliesslich liebt er alle Völker. Es war sein Entscheid, ausgerechnet Israel auszuwählen. Und er will mit Israel bis zum Schluss der Weltgeschichte weiterfahren. Denn es geht um seine Glaubwürdigkeit.

Das macht auch der Prophet Hesekiel deutlich. Er wird von Gott beauftragt, folgende Worte an sein störrisches Volk zu richten9:

«Ich sah, wie meine Ehre auf dem Spiel stand, denn die Israeliten brachten mich bei den anderen Völkern in Verruf. Darum richte ihnen diese Botschaft aus: Was ich für euch tun werde, geschieht nicht um euretwillen. Meine Ehre will ich retten, die ihr vor den Augen anderer Völker in den Schmutz gezogen habt. Ja, weil viele Völker mich verachten, will ich ihnen meine Macht und Herrlichkeit zeigen. Dann sollen sie erkennen, dass ich der Herr bin. Alle werden meine Heiligkeit sehen, wenn ich euch helfe. Das verspreche ich.»

Das ist noch Zukunftsmusik. Aber offensichtlich arbeitet Gott unermüdlich auf dieses globale Erkennen des dreieinen Gottes hin. Und das hängt auch mit der durch ihn gewirkten Wiederherstellung Israels zusammen. Wer bin ich, dass ich mich diesem Geschehen entziehen will und kann?

 

Warum ich kein Israel-Fan bin

Heisst das also: Fröhlich Israelfahnen schwingen und die Augen vor dem verschliessen, was in Israel und in Gaza geschieht?

Nein. Gott selber ist ein scharfer Kritiker seines Volkes. Und die Briefe des neuen Testamentes zeigen, dass er auch gegenüber der christlichen Gemeinde kein Blatt vor den Mund nimmt. Dasselbe gilt auch für alle andern Menschen. Die göttliche Ethik der zehn Gebote und die Ethik seines Sohnes Jesus, die er in der Bergpredigt und mit dem Dreifachgebot der Liebe verkündet hat, ist ein globaler Handlungsrahmen für alle, ganz egal wie sie zum dreieinen Gott stehen10.

Darum darf und soll alles, was Gottes Willen widerspricht, kritisiert werden: in Israel, bei den Palästinensern und bei dem, was zwischen diesen beiden Völkern geschah und geschieht. Das gilt auch für unsere oft oberflächlichen Verlautbarungen und Demonstrationen.

Dass die Hamas am 7. Oktober einen terroristischen Angriff auf Israel gestartet hat, steht unter dem Zorn Gottes. Darüber dürfen und sollen auch wir wütend sein. Dasselbe gilt aber auch im Blick auf Gaza, das zwei Jahre später in Schutt und Asche liegt, und angesichts von – vorsichtig geschätzt – mehr als 60'000 Kindern, Frauen und Mädchen, die in dieser Zeit getötet wurden. Auch hier leidet Gott mit und möchte uns helfen, angemessen und hilfreich darauf zu reagieren.

Diese Wut muss aber eine Grenze haben. Sie ist im Schlagwort «From the River to the Sea» auf den Punkt gebracht. Menschen, die die Parole verwenden, beziehen sich damit auf das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer, zu dem neben Israel auch das Westjordanland und der Gazastreifen gehören. Leute, die sich in dieser Weise auf die Seite Palästinas stellen, fordern damit faktisch die Ausradierung Israels. Das gilt aber auch für die andere Seite. Netanjahu und seine siedlerfreundlichen MItstreiter wollen nicht nur die Hamas zerstören, sondern auch ganz Palästina unterwerfen.

Bei dem, was zur Zeit zwischen Israel und Palästina geschieht, ist zu beachten, dass beide Völker unter einem Vertreibungstrauma leiden. Die Geschichte der Vertreibungen Israels kennen wir. Aber auch die Palästinenser haben mit der Nakba ein Vertreibungstrauma. Im Zuge der israelischen Staatsgründung 1947 wurden schätzungsweise 700'000 Pästinenserinnen und Palästinenser vertrieben. Die Bilder in unseren Medien geben uns eine Ahnung, wie tägliche Vertreibungen heutzutage aussehen können. Unerträglich!

 

Aus den oben genannten Gründen habe ich keine Angst, dass Israel untergehen wird. Falls sich die israelischen Extremisten durchsetzen werden, besteht aber die echte Gefahr, dass vermutlich nicht die Hamas, aber Palästina als Staat ausradiert wird. Ob das im Willen des jüdisch-christlichen Gottes und seines Sohnes Jesus Christus ist? Wohl kaum.

Der Haager Gerichtshof stellt mit seinem Haftbefehl gegen Benjamin Netanyahu wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf die gleiche Stufe wie die einstigen Führer der Hamas, gegen die ebenfalls Haft angeordnet wurde.

Kurz und ungut: Ich bin weder Fan von Israels derzeitiger Regierungspolitik noch vom Vorgehen der Hamas, die ihr eigenes Volk opfert.

 

Was können wir in der aktuellen Situation tun?

Vor allem Eines: Wir sollten genauer hinsehen. Shukri al-Rayyan, Sohn eines palästinensischen Flüchtlings und Autor, der den derzeitigen Konflikt kritisch beobachtet, sagt11: «Nicht die Israelis sind unser ärgster Feind, sondern wir selbst.» Er fordert eine schonungslose Selbstkritik. Die Palästinenser müssten sich fragen, was sie zur Eskalation beigetragen haben. Dabei gehe es um Machtstrukturen im gesamten arabischen Raum und um die Rolle der islamistischen Organisationen. «Unseren Führern fehlte es immer schon an demokratischer Legitimation.» Das sei auch der Grund gewesen für den Aufstieg der Hamas. Aus seiner Sicht gibt es in der israelischen Regierung Monster. «Aber Hamas, das sind unsere Kriminellen, unsere Mörder und damit unsere Verantwortung.» Die Hamas sei genau der Feind, den Israel wolle. Man sollte sie nicht mit Waffen, sondern mit Ideen bekämpfen.

Aus der Sicht des Nahost-Spezialisten Marcel Rebiai sind die Palästinenser Kanonenfutter der Islamisten. Die islamische Welt brauche Palästina als Druckmittel, um ihre Ziele durchzubringen. Er kenne viele Palästinenser, die mit den Juden zusammenleben wollen. Doch dieser Wunsch werde nicht ernstgenommen.

Selbstkritik ist aber auch auf israelischer Seite notwendig. Und daran fehlt es nicht, dank demokratischer Verhältnisse! Deshalb hier nur ein Beispiel. Israels Oppositionsführer Jair Lapid wirft Natanyahu vor, für die wachsende internationale Isolation des Landes verantwortlich zu sein. Interessant ist seine Bemerkung, dass dies nicht eine höhere Macht verursacht habe, vielmehr sei der Ministerpräsident selber dafür verantwortlich. Der Ex-Ministerpräsident wirft ihm unter anderem vor, er habe zu extremistischen Äusserungen seiner Minister zum Gazastreifen geschwiegen. Ausserdem gebe es bei Netanyahu keine klare politische Linie. «Niemand auf der Welt versteht, was Israel will12.»  

 

Der Nahe Osten braucht Heilung

Religion darf keinen Einfluss auf den Staat haben, sagt der Historiker Volker Reinhardt. Er glaubt an die Vernunft, die sich irgendwann in unseren weltweiten Konflikten durchsetzen wird13.

Etwas kritischer ist der Schweizer Regisseur Milo Rau. Er analysiert die Lage in den USA mit ihrer Sehnsucht nach Erlöser-Gestalten wie Donald Trump. Auch er fragt sich, warum Menschen einem «Herrn» folgen, dessen einzige Ideologie hohler Triumphalismus ist. Und verweist auf den Philosophen Friedrich Nietzsche, der im Nachgang zur Aufklärung das Ende der christlichen Metaphysik voraussagte. «Wir haben Gott getötet!», heisse es in der «Fröhlichen Wissenschaft» von Nietzsche. Rau weist hin auf das daraus folgende Problem14: «Nach diesem Mord geschah nichts. Danach kam der organisierte Nihilismus: Faschismus, Kommunismus, dann der Neoliberalismus und schliesslich der Tech-Faschismus.» Und damit eine Welt ohne geistiges Fundament mit einem Staat, der das letzte Versprechen auf Ewigkeit, auf Sinn ist. Eine gefährliche Entwicklung.

Deshalb tun wir gut daran, den transzendenten Fragen nicht aus dem Weg zu gehen. Ganz im Sinne von Marcel Rebiai. Der Nahostkonflikt sei nicht primär ein politischer oder ethnischer Konflikt, sondern ein Konflikt um Erwählung und Identität, sagt er. Rebiai verbindet die Identitätsfrage mit den beiden Brüdern Esau und Jakob und zieht die folgende Linie: Esau habe sein Erbe verkauft15 und sich für das Schwert entschieden. Der Koran gehe davon aus, dass der Islam die von Gott erwählte Gemeinschaft sei, Gott habe die Juden und Christen verworfen. Der Islam habe die ganze jüdisch-christliche Heilsgeschichte bis Adam zurückislamisiert. Ziel sei es, den Islam über die ganze Welt zu bringen. Aus Sicht des Islams habe Israel mit seiner Staatgründung 1948 heiliges islamisches Land übernommen.

Als arabischer Christ (und ehemaliger Moslem) betont Rebiai bei Jakob die andere Identität, die durch das verliehene Erbe entstanden sei. Israel sei Gottes Augapfel. Wer das Volk Gottes bedrohe, greife letztlich den jüdisch-christlichen Gott an und werde zur Rechenschaft gezogen.

Rebiai sieht aber auch eine positive biblische Vision für den Nahen Osten und verweist auf Jesaja 19, 23-25:

23 Zu der Zeit wird eine Strasse sein von Ägypten nach Assyrien, dass die Assyrer nach Ägypten und die Ägypter nach Assyrien kommen, und die Ägypter samt den Assyrern werden dem Herrn dienen. 

24 Zu der Zeit wird Israel der Dritte sein mit Ägypten und Assyrien, ein Segen mitten auf Erden; 

25 denn der HERR Zebaoth wird sie segnen und sprechen: Gesegnet bist du, Ägypten, mein Volk, und du, Assur, meiner Hände Werk, und du, Israel, mein Erbe! 

Gott selber werde die Familie Abrahams – Jakob und Esau – zusammenbringen. Esau hat laut der biblischen Erzählung eine arabische Mutter und einen jüdischen Vater. Zuerst müsse Ägypten gereinigt werden, Versöhnung miteinander geschehen und dann würden die Völker zum Segen für alle werden.

Der Schlüssel zu dieser Versöhnung ist der Messias der Juden und Christen – und der ganzen Welt, auch der Moslems. Bei Jesus hört jeder Kampf um die Identität auf. Paulus sagt es so16: Da ist nicht mehr Grieche oder Jude, Beschnittener oder Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Sklave, Freier, sondern alles und in allen Christus.

Es geht also nicht mehr um die Eroberung von Land, sondern um die Eroberung von Herzen. Es geht um Menschen, die in einer freien Entscheidung dem dreieinen Gott, Schöpfer, Erlöser und Begleiter von uns Menschen von Herzen dienen. Da möchte ich gerne dazu gehören und andere einladen, dasselbe zu tun.

 

Zeichen der Hoffnung

Ich habe deshalb Hoffnung, auch für den Nahen Osten. Hoffnung geben mir Menschen wie Marcel Rebiai und seine Mitstreiter, die im Rahmen des jüdischen Forums «Gesher» (Brücke)17 in Israel messianische Juden – Juden, die an Jesus glauben und bewusst Juden bleiben wollen –, mit arabischen Christen zusammenbringen und das gemeinsame Hören auf Gott und aufeinander einüben.

Hoffnung machen mir Menschen wie der Israeli Rami Elhanan und der Palästinenser Bassam Arami. Beide haben im Nahostkonflikt ein Kind verloren. Trotzdem setzen sich beide in der Friedensarbeit zwischen den Völkern vor Ort ein18.

Mich begeistert das jahrelange Wirken der Täufer (Mennoniten) in Israel/Palästina durch das Hilfswerk Mennonite Central Commitee (MCC). Es engagiert sich in der Region seit Jahren für einen gerechten Frieden und arbeitet sowohl mit palästinensischen als auch mit israelischen Partnern zusammen. Es hilft Familien bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, bietet Unterstützung bei der Verarbeitung von Traumata und verbessert die wirtschaftliche Situation der Menschen. So sollen Wege zur Versöhnung geebnet werden19.

Hoffnung machen mir die vielen Moslems, die Christen werden. Das ist eigentlich verboten und passt nicht ins Bild ihrer moslemischen Umwelt. Trotzdem halten sie am Messias für die ganze Welt fest und folgen einer anderen politischen und zwischenmenschlichen Agenda.

Und Hoffnung machen mir Christen bei uns, die bewusst zwischen die Fronten treten, argumentativ und wo möglich auch praktisch. Bis der dreieine Gott die Dinge endgültig zum Guten wendet, haben wir Einiges zu tun. Und das beginnt mit unserm Gebet für die Menschen im Nahen Osten.

 

1 Siehe etwa mein Buch «Wenn die Bevölkerung das Dorf entdeckt», S. 197ff

2 in der Einheits-Übersetzung von 2016

3 Israel wird hier erstaunlicherweise als «rechtschaffen», als gerecht, als richtig bezeichnet, trotz seiner Auflehnung gegen Gott.

4 W. Zimmerli in «Der Prophet Jesaja», zitiert von Dieter Schneider in der Wuppertaler Studienbibel, 1993, S. 104

5 siehe Römer 11

6 1. Mose 12,3

7 https://www.youtube.com/watch?v=i4SN1MtZdyQ

8 Marcel Rebiai meint dazu: In Israel gelte ich nicht als arabischer Christ, auch wenn ich in Algerien geboren wurde. Die Araber sehen mich weniger als einer der ihren, weil ich Ältester in einer messianischen Gemeinde bin. Für alle bin ich sicher ein in Algerien geborener Schweizer, zu dem alle Zugang haben, weil ich mich zu beiden Seiten halte.

9 Hesekiel 36,21ff

10 Römer 1,18-20 (Gute Nachricht, 2028)

11 «Der Bund» vom 6.9.25

12 «Der Bund» vom 17.9.25

13 «Der Bund» vom 10.9.25

14 «Der Bund» vom 12.9.25

15 1. Mose 25ff

16 Kolosser 3,11 (Luther) 

17 https://juedischesforum.ch

18 https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/freundschaft-unter-feinden-wie-ein-israeli-und-ein-palaestinenser-fuer-frieden-kaempfen

19 Reisebericht einer Learningtour, die von MCC im Frühjahr dieses Jahres organisiert wurde: https://www.menno.ch/de/wir-weigern-uns-feinde-zu-sein/

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Kommentare

Felix Ruther schreibt
am 2. Oktober 2025
Lieber Hanspeter
Ja, kein einfaches Thema für ein Editorial. Doch du hast es gut gemeistert: ausgewogen und hilfreich. Gott ist nicht nur auf der Seite Israels, sonder ganz sicher auf der Seite der Flüchtlinge, der Vertriebenen und Leidenden beider Völker. Menschen sind ihm am Herz und nicht menschliche Grenzziehungen.
Paul schreibt
am 1. Oktober 2025
Lieber Hanspeter
Danke für die differenzierte Betrachtung des Nahost-konflikts.
Wenn wir uns als Geschöpf der Göttlichen Schaffung betrachten und damit auch zugeben müssten, dass Gott in seiner Souveränität ein "kleines und geringes Volk" als sein Volk ausgewählt hat, wird jegliche Argumentation in dem Zusammenhang obsolet.
Ich verstehe auch nicht, weshalb Israel so handelt. Trotzdem ist weder Jesus noch Gott ein "Fan" von seinem Volk. Da ist eine ganz andere, viel tiefere Verbindung. Sie sind seine Nachkommen auf Erden. Seine Töchter, Söhne, Enkel, Grosskinder, ur- und urur- Urgrosskinder.
René Müller schreibt
am 1. Oktober 2025
Lieber Hanspeter,
Das ist wohltuende Lektüre. Herzlichen Dank für Deine tiefgründige analytische Stellungnahme. Ich stimme voll mit Dir überein, wäre aber nie in der Lage gewesen, dies so zu bündeln.
RM