Nord-Süd: Kirchliche Entwicklungszusammenarbeit und ihre Herausforderungen

Das westafrikanische Togo am Golf von Guinea war einer der ersten Staaten, der sich vom Kolonialismus befreien konnte. Die politischen Reformen und das stabile Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre haben sich bislang aber nur wenig auf den Lebensalltag der Bevölkerung ausgewirkt. Etwa die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner Togos lebt in extremer Armut. Peter Seeberger hat anfangs Februar mit Pastor Kao Agnondom, Präsident der Eglise Apostolique du Togo und Leiter der Bewegung Cent Mille Fleurs gesprochen. Diese Organisation hat sich der Verbreitung eines ganzheitlichen Ansatzes des Evangeliums verschrieben, mit dem Ziel, die Armut in den Kirchen und durch die Kirche in der Gesellschaft zu bekämpfen.

(Lesezeit: 10 Minuten)

Pastor Kao Agnondom ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder (zwei Knaben und ein Mädchen). Er wohnt in Kmpalime, einer togolesischen Provinzhauptstadt mit 90’000 Einwohnern nahe der Grenze zu Ghana. Er hat trotz allem Hoffnung für sein Land.

Pasteur Kao Agnondom, Präsident der Eglise Apostolique in Togo (Bild: Peter Seeberger)

Wie beschreiben Sie die politische, wirtschaftliche und soziale Situation in Togo?

KA: Es stehen Regionalwahlen an, dies sind immer spannungsvolle Zeiten. Im Norden leidet die Bevölkerung unter den Attacken der Dschihadisten. Wirtschaftlich kommt das Land nicht vom Fleck und zahlreiche soziale Probleme belasten die Menschen in unserem Land.

Positive Entwicklungen kann ich in den Bereichen Bildung erkennen, insbesondere die Berufsausbildung mit Diplomabschluss wurde von der Regierung gefördert. Schwierig sind hingegen die zunehmenden administrativen Hürden, um Bewilligungen zu erhalten, etwa um eine Firma zu gründen.

Wie sieht es denn konkret mit der sozialen Entwicklung des Landes aus – hat sie sich in den letzten zehn Jahren verbessert?

KA: Die Regierung spricht von grossen sozialen Fortschritten und präsentiert eindrückliche Statistiken, aber die Menschen sehen nichts davon in ihren Tellern. Der Mindestlohn wurde zwar angehoben, aber die Kaufkraft hat sich dadurch nicht verbessert. Wir hatten verschiedene Krisen wie die Corona-Pandemie und kriegerische Auseinandersetzungen. Das alles hat die Inflation angeheizt.

Dann hat sich die Kaufkraft in den letzten Jahren eher verringert?

KA: Genau – ein 50-Kilo-Sack Getreide zum Beispiel kostete vor einem Jahr 16'000 CFA1. Nun muss man schon 26'000 CFA hinblättern. Ein Sack Reis stieg in der gleichen Zeitspanne von 20'000 auf 30'000 CFA! Das Baumaterial wurde teurer, ebenso auch Hygieneartikel oder Gewürze.

Wenn wir nun den Blick auf die geistliche Entwicklung im Lande richten, was fällt da auf?

KA: Im Gegensatz zu früher arbeiten die Kirchen viel stärker zusammen. Wir führen gemeinsame Pastorenkonferenzen durch – das ist sehr positiv. Andererseits schiessen allerlei Sekten wie Pilze aus dem Boden. Aus Nigeria kam die Bewegung «Christianisme Celeste»2 zu uns, aber auch der Animismus – der Glaube an eine beseelte Natur – hat Aufwind.

Eine besondere Herausforderung für die Kirchen ist die fortschreitende Islamisierung des Landes. Die Initianten haben sich zum Ziel gesetzt, alle fünf Kilometer eine Moschee zu bauen. Diese Entwicklung wurde besonders von Libyen zu Zeiten Gaddafis gefördert. Die Islamisten nutzen die Armut der Menschen aus, verteilen Kleider und graben Brunnen. So machen sie die Menschen von sich abhängig. Dieser Entwicklung können wir als Kirchen nur etwas entgegenhalten, wenn wir zusammenspannen, sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene.

Was müsste die Kirche tun, um angemessen auf die Armut der Menschen im Land zu reagieren?

KA: Wir haben verstanden, dass sich die Kirche um das geistige, seelische und materielle Wohl der Menschen kümmern muss. Das Evangelium hat nicht nur eine geistliche Dimension, sondern auch eine soziale und physische. Alle diese Dimensionen müssen in ausgewogener Weise betont werden.  Wir müssen unsere Mitglieder befähigen, für ihre Bedürfnisse zu sorgen, selber anzupacken und nicht nur die hohle Hand zu machen.

Die Kirche ist für die soziale und materielle Entwicklung ihrer Mitglieder auf partnerschaftliche Unterstützung angewiesen – wo setzen Sie da die Akzente?

KA: Wir gehören zu einer internationalen Bewegung von apostolischen Kirchen3, die sich gegenseitig unterstützen, insbesondere hier in Westafrika. So hat uns die Apostolische Kirche im Benin mit dem Bau von Gotteshäusern geholfen, und wir haben unsere Schwestergemeinden in der Elfenbeinküste unterstützt. Wir verfolgen eine Strategie der Süd-Süd-Unterstützung und setzen nicht nur auf Partnerschaften mit Kirchen aus dem globalen Norden. Wir kennen unsere Probleme und wollen Lösungen entwickeln.

Wenn eine Kirche über Kompetenzen verfügt, welche eine andere nicht hat, stellen wir einander diese Ressourcen zur Verfügung. Es gibt eine Zusammenarbeit mit Kirchen aus ganz Westafrika mit Programmen für Kleinprojekte zugunsten unserer Mitglieder. Wir überlegen uns auch eine Bank zur Finanzierung kirchlicher Entwicklung zu gründen. Dafür braucht es aber Partnerschaften mit Investoren auch aus westlichen Ländern, um Grossprojekte langfristig finanzieren zu können.

Ich habe gehört, dass Sie eine Organisation für Mikrokredite in Ihre Stadt holen wollen. Was erwarten Sie von dieser Zusammenarbeit?

KA: Die Zusammenarbeit mit einem professionell aufgestellten Mikrofinanzinstitut wird uns helfen, die wachsende Nachfrage nach Kleinkrediten zu decken und diese Finanzen gut zu verwalten. Wir möchten nicht, dass die Kirche in die privaten Finanzangelegenheiten ihrer Mitglieder verstrickt ist. Wir hoffen auf finanzielle Investitionen seitens westlicher Partner, um die Kapazität dieser Mikrofinanzinstitute zu erhöhen.

Welche Erwartungen haben Sie an westliche Kirchen, betreffend eine sinnvolle Unterstützung der Kirche in Afrika?

KA: Die Kirchen in Europa und Amerika haben viel für die Kirche in Afrika geleistet – dafür bin ich sehr dankbar. Mein Wunsch für eine künftige Zusammenarbeit ist erstens, dass man uns zuhört. Wir möchten nicht, dass man uns sagt, was wir tun sollen.

Zweitens wünschen wir uns Unterstützung durch Technologie und Experten, welche uns in modernen Produktionsmethoden unterrichten können. Wir möchten zum Beispiel in der Lage sein, Solarmodule hier in Togo zu produzieren. Wir brauchen auch bessere landwirtschaftliche Methoden. Statt dass wir Brandrodung betreiben und Pestizide versprühen, brauchen wir besseres Grundlagenwissen durch Bildung. Besonders die junge Generation möchte sich emanzipieren. Sie möchte sagen, was sie braucht, sich neue Technologien aneignen und ihre Zukunft eigenständig gestalten. Wir müssen uns lösen von kurzfristigen Hilfeleistungen durch westliche Länder und die Grundlage für langfristige Veränderungen legen.

Es braucht ein Umdenken in der Entwicklungszusammenarbeit. Manchmal schickt man uns Dinge, um die wir nie gebeten haben. Da wir nicht wissen, wozu diese Dinge taugen, kommen sie nie zur Anwendung. Wir möchten auch keine Projekte mehr, die nicht einem von uns erkannten Bedürfnis entsprechen. Solche Projekte machen uns nur abhängig von den Gebern.

Mein Wunsch ist es, dass wir Projekte verwirklichen können, die unsere Eigenständigkeit stärkt. Vielleicht träume ich, aber ich glaube an eine Zukunft für unsere Kinder hier in Afrika. Ich weiss, dass der Wohlstand in Europa das Resultat harter Arbeit ist. Ich bin aber überzeugt, dass auch bei uns, wenn die Jugend Zugang zu einer besseren Bildung bekommt, eine bessere Zukunft möglich ist.

 

Kommentar: Der lange Atem hilft weiter

(PSe) Die Solidarität unter den Kirchen wird von Kao Agnondom aus meiner Sicht etwas idealisiert. Es gibt immer noch viele Eigeninteressen, die einem effizienten Miteinander im Wege stehen. Pastor Kao ist allerdings ein erfolgreicher Brückenbauer, der es geschafft hat, die in drei Fraktionen gespaltene Gemeindebewegung wieder zu einen.

Erstaunlich ist seine Betonung von langfristigen Lösungen. Diese Denkweise ist atypisch für Afrikaner. Meistens denken sie kurzfristig und leben mehr im Hier und Heute. Pastor Kao lebt den Gedanken der integralen Mission von ganzem Herzen. Nebst Evangelisation und geistlichen Angeboten unterstreicht er die Notwendigkeit, sich als Kirche um die Armen zu kümmern, Einkommensmöglichkeiten durch Bildung zu verbessern und Partnerschaften zu schmieden, die auf gegenseitigem Respekt und Eigenständigkeit beruhen. Er hat Schulen, Sanitätsstationen, Kinderheime und Berufsbildungszentren gegründet.

 

1 Der CFA-Franc ist die Währung der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion UEMOA, also von Benin, Burkina Faso, der Elfenbeinküste, Guinea-Bissau, Mali, Niger, Senegal und Togo. 1000 CFA entsprechen etwa CHF 1.50; das monatliche Anfangssalär eines Primarschullehrers beträgt ca. 200‘000 CFA also knapp CHF 300.–

2 Die Bewegung wurde 1947 von einem beninischen Zimmermann gegründet und vermischt biblische Elemente mit animistischen Glaubensformen.

3 Die Apostolische Kirche ist eine evangelisch-pfingstliche Freikirche und hat ihren Ursprung in der Erweckung von Wales (1904).

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