Landwirtschaft: Agrarökologie – ein ganzheitlicher Ansatz

In den letzten Monaten protestierten auch in der Schweiz Bäuerinnen und Bauern, um auf ihre unbefriedigende Situation aufmerksam zu machen. Weshalb gingen sie mit Traktoren auf die Strasse, wo sie doch in der Politik so stark vertreten sind und von staatlicher Förderung profitieren? Und wie könnte eine zukunftsfähige Landwirtschaft aussehen?

(Lesezeit: 7 Minuten)

Die Bauernproteste in Deutschland und Frankreich sind im Februar auf die Schweiz übergeschwappt. Die Reaktionen in der Schweiz waren gemischt. Die «20-Minuten-Community» betitelte die Schweizer Bäuerinnen und Bauern als «verwöhnte Schmarotzer», in der Politik überdurchschnittlich vertreten und vom Staat mit viel Geld subventioniert1. In der «Neuen Zürcher Zeitung» schrieb Kommentator Matthias Benz, die Situation sei selber verschuldet. «Der Ausweg heisst mehr Unabhängigkeit2.» Robert Finger, der an der ETH Zürich zu Agrarpolitik forscht, nannte gegenüber SRF-News verschiedene Gründe für die Proteste in der Schweiz: «Einerseits ist die wirtschaftliche Situation für manche Betriebe schwierig, andererseits steigen die Anforderungen für die Landwirtschaft3

(Bild: Bauernverband, kuco_7-eine-kuh-schaut-zu-sylvia-michel-neftenbach_37127059782_o)

Der Staat entlöhnt einen Teil der Leistungen

Dass die wirtschaftliche Situation der Schweizer Bäuerinnen und Bauern schwierig ist, mag schwer nachvollziehbar sein, wenn man weiss, dass der Bund 2022 der Landwirtschaft 2,8 Milliarden Franken in Form von Direktzahlungen bezahlt hat. Das waren rund 48'000 Franken pro Betrieb, beziehungsweise rund 18'700 Franken pro Arbeitskraft4. Damit entschädigt der Bund die gemeinwirtschaftliche Leistung der Landwirtschaft, zum Beispiel das Schaffen unserer vielfältigen Kulturlandschaft, die eine wichtige Basis für den Tourismus ist. Bis 1993 wurde das Einkommen der Bäuerinnen und Bauern über staatlich festgelegte Preise für Milch, Brotgetreide und Eier gesichert, was in einigen Bereichen zu Überproduktion und zu Umweltproblemen geführt hat. Mit der Einkommenssicherung über Direktzahlungen und mit tieferen Preisen für die Produkte wollte man dieses Problem lösen. Daraus ergaben sich aber neue Schwierigkeiten.

 

Mikromanagement durch den Staat

Die Kehrseite der staatlichen Unterstützung sind eine ausufernde Bürokratie und detaillierte Vorgaben, wie die Bäuerinnen und Bauern ihre Äcker bestellen und ihre Tiere halten müssen. Wer die Vorgaben verletzt, wird sanktioniert. Weil der Staat Geld gibt, will er auch mitreden. Die starke bäuerliche Lobby im Parlament schaffte es zwar bisher, Kürzungen bei den Direktzahlungen zu verhindern, die genannten Grundprobleme werden damit aber nicht gelöst.

Zudem blieb das Einkommen aus der Arbeit auf dem Hof tief. 2022 verdiente eine Familienarbeitskraft im Durchschnitt 56'100 Franken pro Jahr5, das sind bei 13 Monatslöhnen 4'315 Franken pro Monat. Im Talgebiet betrug der Monatslohn im Schnitt zwar 5'654 Franken, im Berggebiet jedoch nur 3'085 Franken. Familienarbeitskräfte arbeiten meist selbständig, haben also keinen Anspruch auf eine 42-Stunden-Woche, freie Wochenenden und vier Wochen bezahlte Ferien. Im Agrarbericht 2022 heisst es dazu6: «Zwei Drittel der Landwirte arbeiteten 50 und mehr Stunden pro Woche, bei den Bäuerinnen ein Viertel. Die durchschnittliche Arbeitszeit lag dabei zwischen 35 (Bäuerinnen) und 54 (Landwirte) Stunden pro Woche. Bei den Gewerbetreibenden waren es 42 Stunden (Männer) bzw. 28 Stunden (Frauen) wöchentlich.» 

 

Über Marktmacht und Initiativen die Landwirtschaft bestimmen

Zudem ist die Marktmacht in der Landwirtschaft sehr unterschiedlich verteilt. Die beiden grossen orangen Detailhändler vermarkten rund 75 Prozent der Lebensmittel. Sie haben einen entsprechend grossen Einfluss auf die Produktionsvorschriften und die Preise. Ausserdem sind die Spiesse ungleich lang. Für den Lebensmitteldetailhandel gilt die Handels- und Gewerbefreiheit. Hier können die Preise und Leistungen nach eigenem Gutdünken festgelegt werden. Die Bäuerinnen und Bauern dagegen sind an ökologische Vorschriften gebunden.

Und diese Vorschriften werden laufend verschärft. Zum einen wird die Direktzahlungsverordnung mit den Agrarpaketen jährlich angepasst, zum andern kamen in den letzten Jahren verschiedene Initiativen zur Abstimmung, welche die Anforderungen für die Schweizer Bäuerinnen und Bauern drastisch verschärfen wollten. Sie wurden zwar alle abgelehnt, beeinflussten aber die Gesetzgebung. Und weitere Initiativen zu landwirtschaftlichen Themen werden folgen.

Auf diesem Weg ist es jedoch nicht möglich, das Wohlwollen der Bäuerinnen und Bauern für die berechtigten Anliegen zu gewinnen. Im Gegenteil: Die Fronten haben sich verhärtet. Die Landwirtschaft kann nur ökologischer und sozial verträglicher werden, wenn die Menschen in den Industrieländern bereit sind, ihre Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Gleichzeitig müssen auch die ökonomischen Verhältnisse der Bauern berücksichtigt werden. Auch das ist Teil von nachhaltigen Lösungen.  

 

Miteinander statt gegeneinander

Einen solchen ganzheitlichen Ansatz verfolgt die Agrarökologie7. «Die dreizehn Prinzipien der Agrarökologie decken alle Gesellschaftsbereiche ab (ökologische, sozial-kulturelle, politische und wirtschaftliche Dimension). Ihre Umsetzung tangiert unterschiedliche Ebenen, vom Hof über das Ernährungssystem bis zur gesamten Gesellschaft», schreibt das Schweizer Netzwerk «Agroecology works!» auf seiner Website8. «Die Menschen, welche die Lebensmittel anbauen, verarbeiten, handeln und essen, sollen im Mittelpunkt stehen – nicht die Profite einzelner mächtiger Akteure im Ernährungssystem.» Auf dieser Basis hat das Schweizer Netzwerk Empfehlungen für die Politik ausgearbeitet, die laufend ergänzt werden.

Letztlich müssen die politischen Rahmenbedingungen so sein, dass sich der ökologische Anbau lohnt und dass es für alle Beteiligten Sinn macht, Produkte zu kaufen, die schöpfungs- und menschengerecht produziert worden sind. 

 

1 https://www.20min.ch/story/bauernproteste-verwoehnte-schmarotzer-bauern-erklaeren-wieso-sie-protestieren-1030542312

2 https://www.nzz.ch/meinung/unzufriedenheit-der-bauern-ist-selbstverschuldet-sie-sollten-mehr-freiheit-wagen-ld.1821695

3 https://www.srf.ch/news/schweiz/bauernproteste-in-der-schweiz-darin-unterscheiden-sich-die-proteste-in-der-schweiz-und-der-eu

4 https://www.agrarbericht.ch/de/politik/direktzahlungen/finanzielle-mittel-fuer-direktzahlungen

5 https://www.agrarbericht.ch/de/betrieb/wirtschaftliche-situation/einzelbetriebe

6 https://2022.agrarbericht.ch/de/mensch/bauernfamilie/arbeits-und-lebensbedingungen

7 https://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichts/agraroekologie.html

8 https://agroecologyworks.ch/de/ueber-uns/agraroekologie

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