Bibel: Führe mich (nicht) in Versuchung

Es ist erstaunlich, vielleicht sogar irritierend für viele landläufige Vorstellungen von Gott, wie diese bekannte Geschichte beginnt: Jesus wurde vom Geist – notabene vom Geist Gottes! – in die Wüste geführt, um versucht zu werden.

(Lesezeit: 8 Minuten)

(Bild:  Silvia auf Pixabay)

Gott ist doch ein Gott des Lebens, der Liebe, der Güte. Aber hier führt der Geist von Gott Jesus in die Wüste, an einen lebensfeindlichen Ort. Unwirtlich und öde, ohne Nahrungsmittel, nur Steine links und rechts. So sieht es aus, wenn man das südliche Jordantal einige Kilometer nach Osten oder Westen verlässt: trockene Hügel und Berge mit kärglicher Vegetation, wirklich eine Steinwüste.

Doch schauen wir vorerst auf den Text in Matthäus 4,1-4:

1 Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden.

2 Vierzig Tage und vierzig Nächte fastete er, danach hungerte ihn.

3 Da trat der Versucher an ihn heran und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sag, dass diese Steine zu Brot werden sollen.

4 Er entgegnete: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.

 

Der Geist führt in die Wüste

Oft beten wir, dass Gott uns hilft, uns aus Sorgen und Problemen befreit, von Krankheit heilt, den Weg in die Zukunft ebnet und weist. Wir haben vielleicht Sätze und Bilder aus Psalm 23 im Ohr: Der Herr ist mein Hirte. … Er weidet mich auf grünen Auen und führet mich zum frischen Wasser.

Aber hier wirkt der Geist von Gott anders: Er führt in die Wüste, nicht aus ihr heraus! Hat so ein Gott Platz in meinem Leben? Oder bin ich versucht zu denken und zu sagen, wenn ich in einem Wüstenabschnitt meines Lebens bin: «Gott hat mich verlassen. Ich kann ihn nicht spüren. Hier ist nur noch ‘tote Hose’ und kein lebendiger Gott.»

Dann folgt noch das Tüpfchen aufs i in der Geschichte: Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. Es macht wohl keinen grossen Unterschied, ob Gott selber versucht, oder ob er den Teufel versuchen lässt. In der Wüste, wohin der Geist Gottes führt, ist Versuchung angesagt, Test, Prüfung, Examen.

Wiederum: Kann ich, will ich an so einen Gott glauben, der nicht nur tröstet, sondern auch testet? Der mich nicht nur bestätigt, sondern mir auch Fragen stellt, mich herausfordert, Grenzerfahrungen machen lässt? Das ist jedenfalls ein anderer Gott als der harmlose Weihnachtsmann oder das Klischee des lieben Gottes im Himmel mit dem langen weissen Bart. Gott ist anders.

 

Der Ansatzpunkt der Versuchung

Vierzig Tage und vierzig Nächte fastete Jesus, danach hungerte ihn. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sag, dass diese Steine zu Brot werden sollen.

Der Ansatzpunkt dieser ersten Versuchung ist ein normales menschliches Bedürfnis: Hunger. Wenn Jesus so lange fastet, dann ist es klar, dass er Hunger bekommt. Auch wenn das bekannte Hungergefühl nach etwa drei Tagen Fasten zurückgeht, mit der Zeit sind die Reserven des Körpers aufgebraucht, und es macht sich Schwäche breit. So ist der Mensch geschaffen. Wir müssen essen, zumindest mittelfristig. Sonst sterben wir.

Mit Versuchung verbinden wir häufig etwas moralisch Zweifelhaftes: Wir sind versucht zu lügen. Wir sind in Versuchung, hintenherum etwas Negatives über andere zu sagen. Das dritte Glas Wein lacht uns an, obwohl wir noch Auto fahren müssen. Die Pornoseite ist nur einen Klick entfernt, auch wenn wir genau wissen, dass die Bilder unserem Liebesleben und unserer Liebesfähigkeit eher schaden als nützen.

Worin besteht denn hier die Versuchung? Es ist ja nichts Schlechtes, dass Jesus Hunger hat. Es ist doch nicht moralisch verwerflich, wenn Jesus seinen Hunger stillt. Es ist doch angemessen, dass Jesus sein Fasten einmal abschliesst und wieder zu essen beginnt. Der Versucher setzt bei einer Gegebenheit der guten Schöpfung von Gott an, nämlich beim Hunger und beim Essen. Anders als wir es mit unseren moralischen Vorstellungen von Versuchung wohl erwarten. Der Versucher sagt: «Du hast ein Recht darauf, deine Bedürfnisse zu stillen. Gott hat sicher nichts dagegen, wenn du tust, was in deinen Möglichkeiten liegt.» Sag, dass diese Steine zu Brot werden sollen. «Für dich, Jesus, ist das ja kein Problem. Du musst doch nicht hungern. Gott befriedigt deine Bedürfnisse.»

Vielleicht wird auch erst durch die Entgegnung von Jesus deutlich, worin denn die Versuchung besteht und wie anders Gott ist, als wir ihn uns oft vorstellen.

 

Die Entgegnung

Jesus entgegnete: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.

Dadurch, dass Jesus entgegnet, wird der Versucher entlarvt. Er ist nicht ein wohlmeinender Freund. Sein Impuls führt nicht zum Leben und zum Glück. Jesus durchschaut den vermeintlich harmlosen Rat, den natürlichen Gedanken: «Still dein Bedürfnis. Hilf dir selbst. Du kannst es ja.»

Jesus entgegnet so: Es steht geschrieben. Er antwortet mit dem Wort Gottes. Es steht natürlich viel geschrieben in diesem dicken Buch der Bibel. Schon mancher Unfug wurde mit diesem Satz «Es steht geschrieben» begründet. Aber Jesus lässt sich vom Geist Gottes nicht nur in die Wüste, sondern auch zu einem Vers im 5. Mose (8,3) führen: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. Der Anfang dieses Satzes, den Jesus sicher aus den Lesungen in der Synagoge kannte, lautet: Gott speiste dich dann mit Manna, das du und deine Vorfahren nicht gekannt hatten, um dir zu zeigen, dass der Mensch nicht allein vom Brot lebt.

Es ist eine Erinnerung an die Geschichte, als das Volk Israel von Ägypten durch die Wüste hindurch Richtung Kanaan unterwegs war. Sie murrten, weil das Menu in der Sklaverei in Ägypten vielfältiger gewesen war als die Eintönigkeit, Kargheit und der Hunger in der Wüste. Da schenkte Gott ihnen Wachteln zum Nachtessen und Manna, das Brot des Himmels, mit dem Tau am Morgen zum Frühstück1.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, das er sich selber erwirbt und erschafft. Seine Grundbedürfnisse muss er nicht krampfhaft und auf sich allein gestellt stillen. Gott speiste dich mit Manna. Gott ist letztlich der Geber, der uns das Leben erhält. Auch wenn wir tun, was wir können, sollen wir das nicht vergessen. Wir sollen nicht der Versuchung erliegen, dass wir selber uns das Leben geben und erhalten, dass wir selber uns das Brot erschaffen, vielleicht sogar so wundersam wie aus Steinen.

Es ist eine Versuchung zu meinen, wir Menschen könnten autonom, selbstgenügsam, gott-los leben. Auch wenn wir arbeiten, lehrt Jesus uns zum himmlischen Vater beten: Unser tägliches Brot gib uns heute2. Es ist eine Versuchung zu denken: «Ich habe ja einen Fünfliber im Sack und kann mir das Brot selber kaufen. Gott hat nichts damit zu tun.»

Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt. So entgegnet Jesus dem Versucher. «Natürlich habe ich jetzt Hunger und ist es ein natürliches Bedürfnis, dies zu stillen. Aber Gott sorgt umfassender und ganzheitlicher für mich: Mit Brot und mit seinem Wort. Für meinen Leib und meine Seele.»

Es ist eine weitere Versuchung zu meinen: Mit Materiellem allein werde ich glücklich. Wenn ich das habe – eine Karrierestufe erreicht, eine Partnerin oder einen Partner gewonnen, ein Haus gebaut, … – dann habe ich meine Bedürfnisse gestillt. Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er braucht auch das Wort aus Gottes Mund. Das Wort, das Zuversicht und Hoffnung für die Zukunft gibt, gerade in der heutigen Zeit mit all den schrecklichen Nachrichten und düsteren Zukunftsszenarien. Das Wort aus Gottes Mund für die Vergangenheit, mit dem er Schuld vergibt und auch heute jede und jeden annimmt, bedingungslos, als Söhne und Töchter adoptiert, ein Zuhause schenkt.

 

1 vergleiche 2. Mose 16

2 Matthäus 6,11

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