Wie wir grosszügiger werden können

Die 31-jährige Erbin Marlene Engelhorn stellt 25 Millionen Euro aus ihrem Vermögen zur Verfügung und lässt einen Bürgerrat entscheiden, an wen dieses Geld rückverteilt werden soll. Das Gedankengut dahinter ist bemerkenswert. Es sollte wegweisend sein, auch für uns als Normalbürger mit weniger Reichtum. Für Menschen mit einem christlichen Weltbild müsste Grosszügigkeit aber eigentlich etwas Selbstverständliches sein.

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Die deutsch-österreichische Aktivistin und Publizistin Marlene Engelhorn hat die Initiative «Taxmenow» mitbegründet. Sie engagiert sich in Österreich für soziale Gerechtigkeit, eine Reform der Steuerpolitik und für Erbschaftssteuern. Zumindest Letzteres hat die Evangelische Volkspartei (EVP) im Zusammenhang mit der Finanzierung der 13. AHV-Rente in der Schweiz ins Spiel gebracht. Und das ist kein Zufall.

(Bild: Nattanan Kanchanaprat auf Pixabay)

Anders über unsern Reichtum denken lernen

Bleiben wir aber vorerst bei der grosszügigen Doppelbürgerin. Ihr Geld stammt aus einer Übertragung ihrer Grossmutter. Diese «stammt aus einer reichen Industriellenfamilie, die das Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim in den 1990er-Jahren an den Schweizer Konzern Roche verkaufte»1. Womit wir auch schon eine Spur in die reiche Schweiz gefunden haben. Dieser Verkauf «brachte den Anteilseignern elf Milliarden US-Dollar ein»2. Dank einer «Holding-Konstruktion auf den Bermudas blieb diese Transaktion in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf legale Weise steuerfrei». Auch das kommt uns irgendwie bekannt vor. Die erwähnte Grossmutter hatte vor ihrem Tod ein Vermögen, das auf mehr als 4,2 Milliarden Dollar geschätzt wird.

Die Enkelin entwickelte eine andere Denke. Laut der New York Times gehört sie zu einer wachsenden Bewegung «junger, politisch links eingestellter Millionäre, die sich für eine stärkere Besteuerung vererbter Vermögen einsetzen». Allerdings sei es nicht demokratisch, «wenn Vermögende gemäss ihrer persönlichen Präferenzen und Interessen geerbtes Vermögen verteilten». Diese Art von Philantrophie diene nur dazu, die Machtverhältnisse zu zementieren – und damit unsere gesellschaftlichen Ungleichheiten.

Die Enkelin setzte deshalb zur Verteilung der erwähnten 25 Millionen einen Bürgerrat ein – 50 repräsentativ ausgewählte Leute aus 1500 Interessierten ab 16 Jahren, sodass Menschen aus allen Altersgruppen, Einkommensschichten, Bildungsstufen und Regionen von Österreich vertreten sind. Der Rat kann frei über die Verteilung des Geldes entscheiden, ohne Einfluss der Erbin. Allerdings mit ein paar Einschränkungen: «Die Millionen dürfen nicht für 'verfassungsfeindliche, lebensfeindliche oder menschenverachtende' Zwecke eingesetzt werden... Auch Investitionen in profitorientierte Firmen und in die eigene Tasche der Ratsmitglieder sind tabu.» So sollen nötige strukturelle Veränderungen vorangebracht werden.

 

Wem gehört die Erde?

Das hat schon fast prophetische Züge. Auch wenn über den allfälligen Glauben von Marlene Engelhorn nichts bekannt ist, erinnert ihre Haltung an das Alte Testament. Auch dort gab es reiche Menschen. Aber sie wussten, wem das Land – die Grundlage ihres Reichtums – gehörte. Laut Psalm 24,1 gilt: «Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen.» Diese Überzeugung wird im Neuen Testament in 1. Korinther 10,26 aufgenommen. Dort geht es um Grosszügigkeit im Zusammenhang mit Essensregeln.

Gemäss dieser Glaubensüberzeugung gibt es also einen Gott, der das ganze Universum geschaffen hat, darunter auch die Menschen und ihre Umwelt. Dieser Gott gibt das, was er geschaffen hat, mit dem bekannten Kulturbefehl3 in die Hände der Menschen: «Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: 'Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.'» Ein grosszügiges Geschenk! Da schwingt natürlich auch die Erwartung mit, dass dieses Geschenk im Sinne des Gebers verwendet wird. Es soll weder gehortet, egoistisch für sich selber verwendet noch verschwendet oder gar ausgebeutet werden. Vielmehr soll es grosszügig auch für andere eingesetzt werden – ganz nach dem Vorbild des Gebers.

 

Welchen Werten gehorcht die Wertschöpfungskette?

Wie ein schöpfungsgemässer Umgang mit der Natur aussieht, wurde hier schon ausgiebig diskutiert. Das beginnt bei unserem Konsum, unserer Mobilität und umfasst auch den sorgfältigen Umgang mit dem Boden. Erlauben Sie mir, hier einige weitere Zusammenhänge aufzuzeigen.

Mich irritiert immer wieder die Haltung von Grosskonzernen – oft mit Sitz in der Schweiz – beim Umgang mit ihrer Wertschöpfungskette. Das beginnt schon ganz am Anfang. Da werden oft bedenkenlos natürliche Ressourcen ausgebeutet, oft im Weltsüden. Die verarbeiteten Produkte werden dann zu überhöhten Preisen verkauft, sogar in Krisenzeiten wie heute. Laut Public Eye4 erzielten Rohstoffhändler in unserer Zeit, «in denen Millionen von Menschen aufgrund steigender Nahrungsmittel- und Energiepreise Hunger leiden», übermässige Erträge. Die Sanktionen gegen Öl und Kohle aus Russland hatten Auswirkungen auf die Handelsströme und haben trotzdem die Gewinne gesteigert. «Die Unternehmen, welche die Minen betreiben, profitieren enorm von den steigenden Preisen und exportieren Braunkohle und Steinkohle über Zehntausende Kilometer nach Europa – ein echter Klimakiller. Hinzu kommen Probleme wie Landgrabbing5 sowie die Luft- und Wasserverschmutzung vor Ort.» Heute sind laut Public Eye acht der zehn umsatzstärksten Firmen in der Schweiz Rohstoffhändler. Dieser Sektor hat den Anteil am Transithandel6 2022 bereits auf 10% gesteigert und damit erstmals den Finanzplatz überholt. «Im Gegensatz zu Letzterem wacht aber keine Aufsichtsbehörde über die skandalträchtige Boombranche. Auch haben Parlament und Bundesrat jüngst eine Übergewinnsteuer auf Rekordprofite abgelehnt.»

Hier wäre zu fragen, ob wir wirklich von der ethisch unsauberen Wertschöpfungskette von Rohstofffirmen profitieren wollen. Oder ob es nicht sinnvoller wäre, konsequent Daten zu dieser Wertschöpfung mit ihren Warenflüssen zu erheben. Dies gilt natürlich auch für die Rohstoffe, die wir in unserer Hosentasche mit uns tragen. Laut einer Google-Suche7 heissen die in unseren Handys verbauten 12 wertvollsten Metalle, «berechnet nach anteiligem Gehalt im Smartphone und sortiert nach absteigendem anteiligem Wert: Gold, Palladium, Kupfer, Nickel, Silizium, Magnesium, Platin, Neodym, Aluminium, Tantal, Zinn und Eisen». Der Abbau dieser Rohstoffe ist immer ein Eingriff in den Boden.

Doch: Wem gehört eigentlich dieser Boden? «Die Erde ist des Herrn», haben wir gehört. Der Boden gehört also ihm. Er wurde von Gott ausgeliehen an die Menschen, die darauf wohnen. Somit gehört er leihweise der Bevölkerung des entsprechenden Landes, sicher aber nicht den korrupten einheimischen Eliten, die den Boden nicht im Sinne des Erfinders nutzen. Und ebenso wenig den Rohstoffkonzernen, welche die Bodenschätze dank billigen Arbeitskräften gewinnträchtig abbauen. Die Probleme des falschen Umgangs mit der von Gott geschenkten Schöpfung beginnen also bereits ganz am Anfang – und setzen sich dann entlang der Lieferkette fort.

Die richtige Haltung aber wäre Grosszügigkeit beim Umgang mit dem, was uns von Gott geschenkt worden ist. Das gibt genügend Raum für ein ökologisch sorgfältiges Vorgehen, faire Löhne für alle, die beim Abbau beteiligt sind und für Investitionen in eine gerechte Entwicklung der einheimischen Bevölkerung. Das wäre eine angemessene Grosszügigkeit im Sinne des Spenders. Ähnliche Überlegungen könnten wir entlang der ganzen Wertschöpfungskette machen.

Bekanntlich stehen wir als Konsumenten am Ende dieser Kette. Wir haben eine Mitsprachemöglichkeit über unser Konsumverhalten. Da es sich dabei um ein strukturelles Problem handelt, braucht es aber zusätzlich auch strukturelle Eingriffe, sprich: gesetzliche Massnahmen. Immerhin: Die EU-Mitgliedstaaten haben dem Konzernverantwortungsgesetz kürzlich zugestimmt. Wann zieht die Schweiz nach?

 

Grosszügig werden

Kann man denn Grosszügigkeit verordnen? Bevor wir dies tun, sollten wir selber entsprechend unterwegs sein. Schöpfungstheologisch gesehen haben wir alles von Gott erhalten: uns selbst mit unseren Begabungen und damit indirekt auch das, was wir damit erarbeiten. Was wir verdienen ist also streng genommen nicht ausschliesslich unser Verdienst. Dasselbe gilt natürlich auch für unser Vermögen. Es widerspiegelt nicht nur das, was wir selber vermögen, sondern auch das, was Gott uns zur Verfügung gestellt hat.

Vorerst dürfen wir dafür einfach mal dankbar sein. Auf dieser Grundlage kann dann auch Grosszügigkeit spriessen. Mit diesem Hintergedanken können wir uns dann fragen, wie wir diese Gaben zur Förderung des Reiches Gottes einsetzen können. Die bekannten 10% – der Zehnte – sind dabei nur ein Richtwert. Schliesslich gehört Gott alles, wir sind nur Nutzer davon. Für die einen gehört zur Grosszügigkeit, dass sie mehr als 10% von ihrem Einkommen für das Reich Gottes abzweigen, andere, die weniger zur Verfügung haben, dürften diesen symbolischen Beitrag nach unten anpassen. Zum Reich von Gott gehören aber nicht nur kirchliche Aufgaben.

Auch der Staat als Ordnungsmacht ist Teil der göttlichen Gesellschaftsordnung8. Von den Werten des Evangeliums her müssten wir sagen: Er sollte möglichst demokratisch aufgebaut sein. Zumindest hier ist die Schweiz kein schlechtes Vorbild. Somit hat auch die verordnete Grosszügigkeit via Steuern ihre Berechtigung, sei es bezüglich des Einkommens, des Vermögens oder einer Erbschaft. Ich finde, dass ich recht viel an Steuern bezahlen muss, schliesslich wohne ich im Kanton Bern. Trotzdem tue ich das grundsätzlich gerne. Auch Steuern sind bei uns ja das Resultat eines demokratischen Prozesses. Wenn das Geld dann noch reicht, nicht nur die eigenen Bedürfnisse, sondern auch diejenigen von sinnvollen Projekten und Institutionen ausserhalb der Kirche grosszügig zu unterstützen, umso besser.

 

Strukturelle Herausforderungen strukturell lösen

Man muss es nicht einmal theologisch begründen, es genügt der Blick auf die Realität: Erbschaften wurden nicht von uns verdient. Wir sollten deshalb nicht nur Gott sondern auch unseren Vorfahren dankbar sein, wenn sie uns Geld hinterlassen, zumindest wenn es ehrlich erworben wurde. Und dann entsprechend grosszügig damit umgehen.

Wie Marlene Engelhorn. Und weil strukturelle Herausforderungen wie die Finanzierung der 13. AHV-Rente auch strukturell gelöst werden müssen, macht eine (Teil-)Finanzierung durch eine entsprechende Erbschaftssteuer – und damit eine verordnete Grosszügigkeit – Sinn. Auch aus sozialen Gründen: Man nimmt von denen, die schon viel haben. Das hält auch einer biblischen Ethik im Sinne der Gerechtigkeit Stand. Darum passt der kürzliche Vorschlag der EVP zur Grundlage dieser Partei.

Vermutlich ist das Einüben von Grosszügigkeit ein lebenslanger Prozess, wie das meiste im Glaubensleben. Kurz und gut: Möge uns das Beispiel von Marlene Engelhorn zu einem Ansporn zu mehr Grosszügigkeit werden.

 

1 Der Bund, 18.3.24

2 Wikipedia, 18.3.24: https://de.wikipedia.org/wiki/Marlene_Engelhorn

3 1. Mose 1,28

4 Public Eye-Magazin vom Februar 2024

5 Illegitime oder illegale Aneignung von Boden durch wirtschaftlich oder politisch durchsetzungsstarke Akteure (Quelle: Wikipedia, 20.3.24).

6 Transithandel liegt im Aussenhandel vor, wenn Inländer von Ausländern Güter importieren, um sie an andere Ausländer zu exportieren (Wikipedia, 20.3.24).

7 Google-Suche, 18.3.24: Was für Edelmetalle sind im Handy?

8 Römer 13,2ff

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