Medien: Wenn Journalismus motivierend wird

Niemand mag schlechte Nachrichten. Und doch sind die Medien voll damit. Der Vorwurf eines negativen Trends in der Medienberichterstattung wurde international in verschiedenen Studien bestätigt. Angesichts der ständig negativen Nachrichten macht sich ein neuer Trend breit: Er heisst «konstruktiver Journalismus». Er soll dagegen antreten, dass man vor lauter Problemen die Lösungen nicht mehr sieht. Im Vergleich zum internationalen Umfeld ist konstruktiver Journalismus in der Schweiz noch wenig verbreitet. 

(Lesezeit: 7 Minuten)

Seit Jahren werden wir mit negativen Nachrichten bedient: Früher waren es das Waldsterben, das Ozonloch oder AIDS. Heute sind es Artensterben, Klimakatastrophe oder Pandemien. Alles nach dem Motto: «Only bad news are good news» – nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, oder noch etwas drastischer: «If it bleeds, it leads» – wo Blut fliesst, da ist eine Schlagzeile.

Wer heute die «Tagesschau» im Schweizer Fernsehen oder die Tageszeitung konsumiert, könnte depressiv werden. «Es trifft zu, dass Negativismus ein dominanter Nachrichtenfaktor ist. (…) Es ist sicher richtig, dass Journalismus durch die favorisierte Thematisierung dessen, was negativ vom Gewohnten abweicht, die so genannte Realität verzerrt», erklärt Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Magazin «SRG Insider»1

(Bild: sam-mcghee-4siwRamtFAk-unsplash)

Verzicht auf schlechte Nachrichten

Kein Wunder, beschweren sich immer mehr Medienkonsumenten, dass alles viel zu negativ ist. Daher wenden sie sich immer mehr ab und sagen: Ich verzichte freiwillig auf den Nachrichtenkonsum, weil ich davon deprimiert werde.  Es gibt sogar Forschungsergebnisse, die zeigen, dass zu viel negativer Nachrichtenkonsum krank machen kann, wie zum Beispiel «Die Welt» berichtet2.

Die gehäuften negativen Nachrichten werden auch für den Rückgang der Leserzahlen von Zeitungen in Verbindung gebracht: Mit ihrer chronischen Schwarzmalerei hätten die Medien ihr Publikum in einen Zustand «erlernter Hilflosigkeit» versetzt, nun wende dieses sich verzweifelt vom Nachrichtengeschehen ab.

 

Es fängt bei uns selber an

Der Vorzug für negative Nachrichten vollzieht sich aber auch in unserem Alltag: In den sozialen Medien im Allgemeinen und auf Facebook im Besonderen kennen wir den «Shitstorm», wenn es etwas zu kritisieren gibt. Aber es gibt keinen «Praisestorm» (Lobes-Sturm).«Negativismus ist ein Aufmerksamkeitsfaktor erster Güte. Auch im Alltag erzählen sich Menschen eher Geschichten über das Irritierende; also Ereignisse, die vom Normalen, vom Gewohnten abweichen», erklärt Medienprofessor Vinzenz Wyss und weiter: «Die positiven Irritationen sind aber dünner gesät und die Tatsache, dass glücklicherweise jeden Tag die Sonne aufgeht, gibt in der Öffentlichkeit als Gesprächsstoff wenig her.»

 

Auf dem Smartphone werden am meisten Nachrichten konsumiert3.

Institut für konstruktiven Journalismus gegründet

In Bonn wurde ein Institut für konstruktiven Journalismus gegründet. Konstruktiver Journalismus basiert in der Berichterstattung auf lösungsorientierten statt negativen und konfliktbasierten Nachrichten. Geschäftsführerin Ellen Heinrichs sagt: «Es wäre sinnvoll, wenn der Journalismus konstruktiv würde, also lösungsorientierter, perspektivenreicher und auch proaktiver, wenn es darum geht, konstruktive Debatten anzuregen und zu moderieren.» Konsumenten erwarten von Medien heute, dass ihnen nicht nur die Probleme geschildert werden, von denen es ja nun wirklich genug gibt. Es sollen auch mögliche Lösungen aufgezeigt werden, um ihr Leben gut zu gestalten. Schon jetzt sieht man bei der Nutzungszeit: Je lösungsorientierter oder konstruktiver ein Inhalt ist, desto länger bleiben die Leute dabei. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass aus einer positiven Grundstimmung die Fähigkeit, kreativ Probleme zu lösen, deutlich höher ist als aus einer negativen Grundstimmung heraus.

 

Die Idee kommt an

Unübersehbar ist, dass die Idee des konstruktiven Journalismus ankommt. Vom ARD-Tagesschau-Chef Marcus Bornheim bis zum renommierten US-Journalismusprofessor Jay Rosen, von der «Leipziger Volkszeitung» bis zur «Rheinischen Post», von der Akademie der Deutschen Welle bis zum konsequent konstruktiven Onlinemagazin «Perspective Daily» und Newsletter «Future Crunch»4 reicht die Liste derer, die dem Journalismus seine Negativität austreiben wollen. Im Schweizer Fernsehen «10vor10» gibt es jeden Freitag das Format «Die Idee» als Beitrag für konstruktiven Journalismus, wie eine Übersichtsseite zeigt5.

 

Positiv für Befindlichkeiten

Bemerkenswerterweise hat sich die Forderung, «lösungsorientiert» zu berichten, auch im Kontext aktueller Grosskrisen wie Pandemie, Klimakatastrophe und Krieg nicht erledigt. Sie gewinnt angesichts solcher Bedrohungen sogar an Konjunktur. Ein Beispiel ist das Schweizer Online-Magazin «Republik». Es hat sich vorgenommen, zuversichtlichen Klimajournalismus zu machen6. Gerade dem Weltuntergang, könnte man polemisieren, muss man erbauliche Tipps entgegensetzen, damit die Leser nicht gleich kapitulieren.

Spannend ist auch eine aktuelle Untersuchung des ARD-Forschungsdienstes7: «Forschende kommen in ihren Studien zu der Erkenntnis, dass sich konstruktiver Journalismus insbesondere positiv auf die emotionalen Reaktionen und Befindlichkeiten der Nutzerinnen und Nutzer auswirkt und damit zu deren Resilienz beitragen kann.» Auch von einem «Effekt der emotionalen Entlastung» und des «Empowerments auch für junge Zielgruppen» ist die Rede.

 

Zum Beispiel: Dienstagsmail

Übrigens: Das Dienstagsmail wurde kürzlich 15 Jahre alt. Es steht für konstruktiven, ja positiven Journalismus. Es beleuchtet, wie säkulare Medien gut über Kirchen und ihr Bodenpersonal berichten. Diese positiven Beispiele und Erfolgsgeschichten sollen andere inspirieren und ermutigen.

 

1 https://www.srginsider.ch/meinungen/2015/01/05/gibt-es-zu-viele-bad-news-in-den-schweizer-medien/

2 https://www.welt.de/wissenschaft/article240721451/Nachrichtensucht-Medienkonsum-wirkt-sich-negativ-auf-Psyche-und-Koerper-aus.html

3 Quelle: Reuters Institute Digital News Report 2022 (https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/2022-06/Digital_News-Report_2022.pdf Seite 106/107)

4 https://futurecrun.ch

5 https://www.srf.ch/sendungen/10vor10/die-idee-2

6 https://www.republik.ch/2023/08/31/acht-learnings-aus-dem-klimalabor

7 https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2022/2212_ARD-Forschungsdienst.pdf

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