Betriebswirtschaft: Woran fehlt es beim Mangel an Fachkräften?

Es gibt ein Thema, das derzeit viele Führungskräfte an der Zukunftsfähigkeit ihrer Organisation zweifeln lässt: Der Mangel an geeignetem Personal. Die Babyboomer gehen in Rente und hinterlassen eine wachsende Lücke, die offenbar schwierig zu füllen ist. In der Schweiz sank die Arbeitslosigkeit letztes Jahr auf ein 20-Jahres-Tief. Und dies, obwohl Unternehmen gleichzeitig Zehntausende von Menschen im Ausland rekrutiert haben. 

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Dazu kommt, dass die Generation Z, die jetzt auf dem Arbeitsmarkt erscheint, im Ruf steht, besonders hohe Ansprüche zu haben. Sie sei, was ihre Home-Office- und Teilzeitarbeitsansprüche angeht, äusserst unflexibel. 

Böse Zungen sagen sogar, es handle sich bei ihnen allesamt um Schneeflöckchen, die gefühlt drei Mal pro Tag ein Kompliment und im Stundentakt eine Kaffeepause benötigen, damit sie kein Burn-out erleiden würden. Und die gleichzeitig auch noch völlig überrissene Lohnforderungen stellen würden. 

(Bild: Dirk Wouters auf Pixabay)

Unpassende Suche nach den Passenden

Was also tun, um passende Frauen und Männer für den Job zu finden? Als erstes darf man die Klagen über den ach so ausgetrockneten Arbeitsmarkt auch einmal kritisch hinterfragen. In der Schweiz sind viel mehr Menschen auf Stellensuche als die offiziellen Zahlen vermuten lassen.

Es ist bloss eine Frage der Definition: Verwendet man die Kennzahl der Internationalen Arbeitsorganisation, die sogenannte Erwerbslosenquote, verdoppelt sich die Zahl jener Menschen, die arbeiten wollen, aber nicht können, wundersam. Die Schweiz zählt nämlich nur jene zu den Arbeitslosen, die bei der Regionalen Arbeitsvermittlung (RAV) gemeldet sind. Dass es auch (Hoch-)Schulabsolventen oder Ausgesteuerte gibt, die eine Stelle suchen, wird dabei ausgeblendet.

Und ausgesteuert werden bei uns nicht nur Menschen, die fachlich abgehängt sind oder persönliche Probleme haben. Es gibt glaubwürdige Berichte über gut qualifizierte, leistungsbereite Personen, die trotz hunderten von Bewerbungen keinen Job mehr finden. Dies, weil sie zu alt sind, einen exotischen Werdegang haben oder weil ihr Profil für den Geschmack der Unternehmen zu wenig scharf ist. Dieser Eindruck kann zum Beispiel entstehen, wenn man in verschiedenen Funktionen oder Branchen gearbeitet hat. Auch nicht hilfreich für solche Stellensuchende ist, dass Arbeitgeber die Vorselektion von Kandidaten zunehmend Algorithmen überlassen. 

 

Mehr Mut zum Risiko

Personalexperten geben zu, dass die Bereitschaft der Unternehmen, von ihren Anforderungsprofilen abzuweichen, in der Schweiz äusserst gering ist. Das scheint besonders absurd, wo ja unsere liberalen Arbeitsgesetze es erlauben würden, einen Arbeitnehmer, der sich nicht bewährt, relativ einfach wieder auf die Strasse zu stellen – auch nach der Probezeit.

Das sollte Arbeitgeber eigentlich risikobereiter machen: Sie haben wenig zu verlieren, wenn sie einer ungewöhnlichen Kandidatin eine Chance geben. Und überhaupt: Vor der Einführung der Personenfreizügigkeit mit der EU galt es noch als durchaus normal, dass Unternehmen in Menschen investierten, die grundsätzlich zu einem Profil passten, aber noch nicht alle erforderlichen Kenntnisse hatten. Der On-the-Job-Ausbildungsgedanke liegt ja auch unserem System dualer Berufsbildung zugrunde.

Chefs, die ein anderes Beuteschema haben, denen zum Beispiel Charaktereigenschaften, Motivation und Werte von Menschen wichtiger sind als ein glasklares Anforderungsprofil und ein schnörkelloser Werdegang, können sich diese unflexible Seite des Schweizer Arbeitsmarktes gezielt zunutze machen.

 

Jesus hat es vorgemacht

Jemanden auf eine künftige Rolle vorzubereiten, dem er oder sie heute noch nicht gewachsen ist, kann man durchaus als biblisches Prinzip sehen. Jesus baute seine Kirche mit zwölf Männern, die zuvor eine Art Berufslehre bei ihm durchlaufen hatten. Waren die Jungs, die der Heiland damals um sich scharte, besonders gefragte Kandidaten auf dem Arbeitsmarkt? Möglicherweise ja, hätte Jesus einen Binnenfischerei-Betrieb starten wollen.

Für intellektuell anspruchsvollere Tätigkeiten wie etwa das Etablieren einer Weltreligion waren die Zwölf dann doch etwas dürftig qualifiziert. Die Bewerbung von Simon, Johannes oder Jakobus auf ein Praktikum beim örtlichen Bischofssitz wäre wohl bereits ein paar Jahrhunderte später von der Assistentin des Personalverantwortlichen aussortiert und im Papierkorb entsorgt worden.

Jesus aber, der auch Reiche und Intellektuelle in seinen Bann zog, setzte auf Vertreter der galiläischen Unterschicht. Natürlich brauchte er in einer späteren Phase auch den weltläufigen Paulus alias Saulus. Dann nämlich, als es darum ging, dem Glauben eine theologisch haltbare Form zu geben und das Christentum aus dem jüdischen Ghetto zu befreien.

Paulus war die gezielte Rekrutierung eines anerkannten Talentes auf dem Arbeitsmarkt. Aber machte es Sinn, den CEO-Posten des Gemeindebaus wirklich jemandem anzuvertrauen, dessen Leidenschaft es war, gerade diese Gemeinde zu zerstören? Eher nein. Jesus jedoch, der Zeit seines irdischen Lebens Ärger mit den religiösen Extremisten aus der Pharisäer-Kaste gehabt hatte, wählte für diese Schlüsselstelle ausgerechnet den Fanatiker Saulus.  

 

Bitte mehr Einfallsreichtum!

Sich mit guten Leuten zu umgeben, ist das Erfolgsrezept für jede Unternehmerin oder jeden Projekt-Owner. Deshalb sollte die Personalplanung und Rekrutierung selbst in grösseren Organisationen von den Verantwortungsträgern mitgedacht werden. Bei einer so zentralen Sache lohnt es sich zudem, vorausausschauend zu handeln: Einige visionäre Firmen haben zum Beispiel begonnen, Kontakte zu möglichen Kandidaten zu knüpfen, noch bevor es überhaupt eine offene Stelle zu besetzen gibt. Ihre Personalabteilungen sind damit beauftragt, eine Pipeline an möglichen Kandidaten aufzubauen und im Kontakt mit diesen Menschen zu bleiben. Diese Unternehmen nutzen zudem auch das Netzwerk ihrer Mitarbeiter zur Rekrutierung neuer Leute.  

Kurz: Der Fachkräftemangel ist zwar real, aber weniger schlimm als viele glauben. Und der Mangel an Voraussicht und Einfallsreichtum bei den Arbeitgebern scheint mindestens so gravierend zu sein. 

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