Der Sieg Trumps war kein Erdrutschsieg, wie das von ihm heute gerne dargestellt wird. Trump hat «in den drei entscheidenden Swing-States des Nordens jeweils mit weniger als zwei Prozentpunkten Vorsprung gewonnen und die Popular Vote mit einem der geringsten Abstände der zurückliegenden 150 Jahre1». Aber es war ein Sieg, der deutlicher war als in den Umfragen vorausgesagt.
Und die Frommen haben kräftig dazu beigetragen: 63% der Protestanten und 58% der Katholiken unterstützten Trump, bei den weissen wiedergeborenen oder evangelikalen Christen waren es sogar 82%2. Albert Mohler, Präsident des «Southern Baptist Theological Seminary», begrüsste den Wahlsieg Trumps und meinte, Trump habe vor seinen Anhängern eine «freundliche und positive» Siegesrede gehalten. Seine Aufgabe sei es jetzt, dem Geist dieser Worte gerecht zu werden. Er warnte aber auch, Trump habe sich in der Vergangenheit «oft als sein eigener schlimmster Feind erwiesen»2.
Ein Gruselkabinett mit Risiken
Die Warnung dürfte einer weisen Ahnung entsprungen sein. Das zeigt nur schon der Blick auf das in drei Wochen gebildete Gruselkabinett des künftigen Präsidenten. «Bei Trumps Personalpolitik scheint die Kompetenz ein eher randständiger Faktor zu sein: Robert F. Kennedy Jr., ein Impfgegner als Gesundheitsminister. Tulsi Gabbard, eine Anhängerin von Kremlpropaganda an der Spitze des US-Geheimdienstes. Oder Lee Zeldin, ein ehemaliger Abgeordneter, der im Kongress regelmässig gegen Gesetze für sauberes Wasser und saubere Luft stimmte und künftig die Umweltschutzbehörde leiten soll. In diese Reihe gehört natürlich auch die Idee, den Fernsehmoderator Pete Hegseth zum Verteidigungsminister zu machen, obwohl er US-Soldaten, denen Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden, als 'Helden' bezeichnet hatte3.»
Trump hat in sein Kabinett Loyalisten und Schmeichler berufen, Kandidaten, die sich vor den Fernsehkameras gut geschlagen haben, konvertierte ehemalige Gegner wie sein Aussenminister Marco Rubio, die reuig zu ihm zurückgekehrt sind und schliesslich noch einige Hardliner, darunter Vizepräsident J.D. Vance und seinen Sohn Donald Trump Jr., zwar nicht als Minister aber vielleicht als Erbfolger, der wie ein Minister auftritt. Sie wollen Trumps Parole «Make America Great Again» ohne Rücksicht auf Verluste umsetzen, ohne Gespür, dass sich Maga in der Realität auch mal als Gaga herausstellen könnte. «Es sind Frauen und Männer mit teils völlig unterschiedlichen Charakteren, Überzeugungen und Biografien3.» Wie lange das gut gehen kann?
«Was man in seinem Kabinett praktisch vergeblich sucht, sind Spurenelemente der Republikanischen Partei im klassischen Sinne. Die Grand Old Party wurde von der relativ neuen Maga-Bewegung de facto geschluckt. Das Parteiestablishment, das sind jetzt hauptsächlich Trumps Familie, Trumps persönliche Anwälte, Trumps liebste Vasallen und Elon Musk, ... der dem gewählten Präsidenten seit dem 5. November nicht mehr von der Seite zu weichen scheint3.» Dass Musk den Präsidenten für die Verwirklichung seiner Allmachtsphantasien braucht, liegt auf der Hand. Aber was geschieht, wenn der Präsident ihn und andere Vasallen nicht mehr braucht? Wer wird sich im Kampf zwischen zwei Machtmenschen durchsetzen, wer wird seine Macht wirksamer einsetzen?
Nun, die Grand Old Party gibt es noch. Das zeigte sich mit John Thune. Er setzte sich bei einer geheimen Wahl als neuer Chef der Senate Republican Conference durch und wurde somit oberster Republikaner im Senat. Dies gilt als erste Niederlage Trumps seit seiner Wahl. Und brachte erste Probleme. Matt Gaetz sollte Justizminister und damit Chef einer Behörde werden, die zuletzt gegen ihn selber ermittelt hatte. Als er merkte, dass er für seine Bestätigung auch vom neuerdings republikanisch dominierten Senat möglicherweise nicht erhalten würde, zog er seine Kandidatur zurück. Wohl zurecht. John Thune dürfte die Macht des Senats nicht immer unter die Fuchtel des Präsidenten setzen. «Es hiesse, dass er die Macht des Senats bisweilen gegen das Weisse Haus richten würde4.»
Die Institutionen sind stärker als ihr Ruf
Hier setzt auch die Schweizer USA-Expertin Claudia Franziska Brühwiler an. Sie sagt: «Trump ist sicher ein Politiker ohne Achtung vor den Institutionen, deshalb muss man sehr genau hinsehen und wachsam sein, was er jetzt konkret macht und mit welchen Leuten er sich umgibt5.» Trotz seiner höchst gefährlichen Reaktion nach seiner gescheiterten Wiederwahl vor 4 Jahren, sagt die HSG-Professorin: «Das war tatsächlich schlimm. Aber es sollte uns nicht den Blick dafür vernebeln, wie stark in den USA die institutionellen Kräfte sind, die ein Abgleiten in die Diktatur verhindern können. Oder nehmen Sie die Tatsache, dass schon in Trumps erster Amtszeit viele republikanische Abgeordnete vor allem die Interessen ihrer Wahlkreise im Auge hatten. Das wird diesmal noch stärker so sein, weil Trump nur während einer Amtszeit regieren kann und deshalb von Anfang an eine 'lame duck' ist. In zwei Jahren gibt es dann ohnehin wieder Parlamentswahlen5.»
Und der kanadische Historiker Michael Ignatieff ergänzt: «Viele Menschen haben aus wirtschaftlichen Gründen für Donald Trump gestimmt. Die wollen nicht einen Autokraten an der Macht. Ja, es gibt bei Trump autokratische Tendenzen. Aber ... Panik ist nicht angebracht. Die amerikanischen Institutionen werden sich zur Wehr setzen6.» Er unterscheidet die Situation von Entwicklungen in Osteuropa: «Es ist viel einfacher für einen ungarischen Premierminister in einem Land mit 8 Millionen Einwohnern und nur 30 Jahren demokratischer Erfahrung, die Demokratie abzubauen, als in einem Land mit 350 Millionen Einwohnern, wo die Demokratie seit 200 Jahren etabliert ist6.»
Aufstand der Zivilgesellschaft
Und der Schweizer Historiker Jakob Tanner bringt neben den Institutionen noch eine weitere gesellschaftliche Gruppe ins Spiel: «Die institutionellen Sicherungen der amerikanischen Verfassung genügen ... nicht. Vielmehr ist auf die Resilienz der Zivilgesellschaft zu bauen. Hier zeigen sich in den USA bemerkenswerte Gegentendenzen – von Netzwerken gegenseitiger Hilfe über Antidiskriminierungsbewegungen bis hin zu einem Aufschwung der Gewerkschaften – und das gibt Anlass zur Hoffnung7.»
Diese Zivilgesellschaft und ihre Vordenker stehen nun auf. Der holländische Historiker und Autor Rutger Bregmann hat kürzlich das Buch «Moralische Ambition: Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt» veröffentlicht und dazu vor einem Jahr eine passende Organisation gegründet – die «School for Moral Ambition». Milliardäre wie Warren Buffett oder Bill Gates, die gerne mehr Steuern zahlen würden und höhere Erbschaftssteuern und Kapitalgewinnsteuern befürworten, sind auf dem richtigen Weg. Es brauche aber mehr: «Jetzt brauchen wir eine moralische Revolution, besonders unter den Privilegierten. Und Steuergerechtigkeit ist dabei ein brennendes Thema: Die Superreichen gefährden die Demokratie.» Bregmann weist darauf hin, dass ein Drittel der Wahlkampfgelder Trumps von Milliardären kamen, die sich Deregulierung wünschen. «Musk selbst will 2 Billionen des US-Haushalts streichen, also ein Drittel: ein beschämender Effort.»
Stattdessen brauche es Leute, die im Stillen eine langfristige Strategie verfolgen und am Ende Resultate vorweisen. Er verweist dabei auf historische Beispiele wie die Kämpfer gegen die Sklaverei. «Die Unternehmen und auch die Regierungen hatten damals kein – wirtschaftliches – Interesse daran, die Sklaverei abzuschaffen. Da brauchte es tapfere Menschenfreunde mit Geld.» Zusätzlich brauche es heute auch ganz gewöhnliche Leute, die ihre Begabungen vernetzen, etwas wagen, scheitern und wieder aufstehen.
Dazu stellt die Schule für Moralische Ambition To-do-Listen für die Weltrettung zusammen – «nach Machbarkeit und nach weithin übersehenen Aufgaben»8. Beispiele sind die Herstellung von nachhaltigen Proteinen im Kampf gegen den Klimawandel, denn die Tierlandwirtschaft verursache bis zu 20% der klimaschädlichen Emissionen. Oder der Kampf gegen die Tabakindustrie und der Einsatz für ein europäisches Gesetz zur Regulierung der Künstlichen Intelligenz.
Unser ehemaliger Bundeskanzler Walter Thurnherr sagt zu KI denn auch treffend: «Wenn die Demokratie nicht früh genug der KI den Stempel aufdrückt, wird früher oder später die KI der Demokratie den Stempel aufdrücken9.» Die Demokratie reagiere empfindlich, wenn sie ausgehöhlt oder missbraucht werde, schon ohne künstliche, aber umso mehr mit böswilliger Intelligenz.
Sein Buch sei nicht die Bibel, sagt Bregmann zur Frage nach dem religiösen Ton seiner Anliegen. Bei ihm gebe es keinen Gott, keine Propheten oder Dogmen. Dennoch herrsche eine gewisse Spiritualität und die Sehnsucht, «Teil von etwas Grösserem zu sein»10. Die Schule für Moralische Ambition folgt in ihrem Vorgehen denn auch ausdrücklich dem «Gandalf-Frodo-Modell». Und das ist spannend. In «Herr der Ringe», dem Hauptwerk des überzeugten Christen und Apologetikers J.R.R. Tolkien, will Gandalf, der christusähnliche Zauberer, Frodo und seine Freunde dazu führen, auf den Ring der Macht, der alles beherrscht, zu verzichten. Bregmann gibt den Hinweis: «Gandalf fragt Frodo nie nach persönlichen Passionen, sondern erklärt: 'Schau, das muss jetzt geschehen'. Etwa: 'Du musst den Ring in den Bergschlund werfen, so rettest du die Welt'.»
Wie Tolkien-Kenner wissen, schafft es Frodo aber nicht, den Ring ins Feuer zu werfen, er will ihn plötzlich doch für sich behalten. Gollum, der frühere Ringbesitzer, ist Frodo heimlich gefolgt. Am Rande des Schlundes beisst er Frodo in den Ringfinger und stürzt selber ins Feuer, zusammen mit dem Ring, der so zerstört wird. Das Böse zerstört also das Böse und erweckt so das Gute zu neuem Leben. Wenn das keine gute Botschaft ist. Sie erinnert uns an den Kern des biblischen Evangeliums.
Unsere Verantwortung
Und damit sind wir wieder bei den Evangelikalen angelangt – letztlich Christen aller Konfessionen, die dem Evangelium folgen wollen, seien sie nun Links-, Rechtsevangelikale oder Leute, die in der politischen Mitte verbindend mitwirken wollen. Wenn diese Gruppen in den USA lernen, etwa in der Abtreibungsfrage, aber auch in wirtschaftlichen, sozialen und Umweltfragen vom Evangelium inspirierte Lösungen zu vertreten, gibt es Hoffnung.
Nicht nur für die US-Demokratie, sondern auch für europäische Demokratien – und für uns in der Schweiz. Unsere direkte Demokratie ist dabei ein zusätzlicher Schutz. Raphaela Birrer, Chefredaktorin des Tages Anzeigers, sagt dazu: «Die Schweiz ist kulturell nicht die USA. Eine unversöhnliche Zweiteilung der Gesellschaft ist in unserem Vielparteiensystem mit Konkordanzregierung nicht möglich11.» Das lasse sich von den Parteien aktiv steuern. «Wenn sie unserer Gesprächskultur Sorge tragen, wird die trumpsche Manier nicht Einzug halten.»
Die überraschenden Ergebnisse des letzten Wochenendes haben gezeigt, dass es der Schweizer Stimmbevölkerung immer wieder gelingt, den Ausgleich zu finden und dabei einen rechtslastigen Bundesrat bzw. ein entsprechend zusammengesetztes Parlament zu korrigieren, sei es in der Verkehrspolitik, im Gesundheitswesen oder im Begrenzen der Macht der Vermieter.
Wir alle sind gefragt, unsere Institutionen nicht zu untergraben, sondern die Demokratie aktiv mitzugestalten. Wenn es eine Gefahr gibt, dann ist es die, dass das Vertrauen in unsere Institutionen zerstört wird. Einseitig gewickelte Medien und unsoziale soziale Medien entwickeln hier eine gefährliche Dynamik, der wir bewusst entgegentreten sollten, zusammen mit allen weiteren Menschen guten Willens.
1 Der Bund, 26.11.24
2 idea Magazin 46/2024
3 Der Bund, 26.11.24
4 Der Bund, 15.11.24
5 Der Bund, 11.11.24
6 Der Bund, 20.11.24
7 Der Bund, 18.11.24
8 Der Bund, 25.11.24
9 Der Bund, 15.11.24
10 Der Bund, 25.11.24
11 Der Bund, 8.11.24
Bücherrundschau
Ein Glaube, der trägt
Rechtzeitig zu Weihnachten hat unser Kolumnist Roland Hardmeier ein «engagiertes Plädoyer für einen fundiert unfundamentalistischen Glauben» publiziert. Der Theologe zeigt einen dritten Weg zwischen biblizistischem Fundamentalismus und den Ideen der «Postevangelikalen», die zwar richtigerweise überkommene Glaubensüberzeugungen hinterfragen, dabei aber riskieren, in die Untiefen nach dem bzw. ausserhalb des Evangeliums zu geraten und so in die postmoderne Beliebigkeit abzudriften.
Der Autor lässt dabei keine der heissen Fragen aus, sondern geht sie theologisch tiefgründig aber trotzdem allgemein verständlich an. Da geht es um das evangelikale Schriftverständnis, die moderne Bibelwissenschaft, das Kreuz, Gender, Homosexualität, Himmel und Hölle sowie eine gesellschaftlich verantwortliche Ethik. Kurz und gut: Ein Werk, dass bestens zu den Anliegen unseres Forums passt: Das passende Geschenk unter den Weihnachtsbaum für kritische, theologisch interessierte Zeitgenossen.
Hardmeier, Roland. «Glaube, der trägt, wenn alles im Fluss ist. Evangelikale zwischen fundamentalistisch und postevangelikal.» Giessen, 2024, Brunnen-Verlag, Paperback, 330 Seiten, CHF 38.90, ISBN 978-3-7655-2189-9
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