Dass Gott in der Natur handelt, ist heute zumindest in der Theologie Allgemeingut geworden und wird klassischerweise in der Providenz-Lehre1 abgehandelt. Die Naturwissenschaften wollen und können aufgrund ihres a priori festgelegten methodischen Naturalismus2 keine Aussagen über das Handeln Gottes machen. Gerade deshalb stellt diese Frage in der Begegnung von Theologie und Naturwissenschaften eine besondere Herausforderung dar.
Überholte Unterteilungen
Ein klassisch theologischer Ansatz ist die Unterteilung in Erst- und Zweitursachen. Gott wirkt dabei als Erstursache nicht direkt, sondern indirekt durch Zweitursachen in der Natur. Dieser Ansatz hinkt jedoch. Denn eine Zweitursache, die selbst ein innerweltliches Objekt oder ein innerweltlicher Prozess ist, kann immer nur mit anderen innerweltlichen Ursachen in einer Wechselwirkung sein. Zumindest ist naturwissenschaftlich nichts Anderes nachweisbar.
Alternativ kann man Gottes Wirken als Erstursache auf den Anfang, die Schöpfung, beschränken, in welchem Gott alles in Gang setzt, danach aber nicht mehr eingreift. Theologisch wäre eine solche Begrenzung jedoch höchst bedenklich, verstehen wir Gott doch nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Erhalter, Regent und Vollender. Reduzieren wir Gottes Wirken auf den Anfang, folgt daraus ein deistisches Weltbild mit einer mechanistischen Naturauffassung. Nach dieser Auffassung hat Gott die Welt vor langer Zeit mit all ihren Naturgesetzen so geschaffen, dass sie auch ohne ihn funktioniert. Die Natur kann deshalb als eine Maschine verstanden werden: Wie eine Uhr macht Gott die Welt und «zieht» sie auf; seither «tickt» sie ohne Gottes Zutun fröhlich weiter. Spätestens mit dem Einzug der Quantenmechanik3 und der Relativitätstheorie4 sowie der damit einhergehenden Begrenzung der klassischen Mechanik kann dieser Ansatz nicht nur theologisch, sondern auch naturwissenschaftlich nicht mehr genügen. Um dem aktuellen Wissensstand gerecht zu werden, braucht es Ansätze, die über die klassische Unterteilung in Primär- und Sekundärursachen hinausgehen.
Verbindende Ansätze
Und die gibt es. Basierend auf der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik entwickelte William G. Pollard 1958 eine Theorie, nach der Gottes Handeln auf subatomarer Ebene lokalisiert werden kann, wo aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation5 kein Determinismus herrscht. Gott wirkt auf diese Weise gewissermassen durch die Wahrscheinlichkeitsverteilung einzelner Ereignisse und atomarer Strukturen6. Arthur R. Peacocke, John Polkinghorne und Robert J. Russell entwickelten weiterführende Ansätze basierend auf der Quantenmechanik oder der Chaostheorie7.
Ein weiterer Vorschlag ist die Vorstellung, das Wirken Gottes in Analogie zu einem Kraftfeld zu interpretieren. Die von Michael Faraday begründete, durch James C. Maxwell und Heinrich Hertz weiterentwickelte und durch Einstein verallgemeinerte Feldtheorie machte es möglich, die klassische Berührungskausalität auf der Grundlage eines materiellen Kraftbegriffs hinter sich zu lassen. Kraftwirkungen sind nicht länger auf eine materielle Übertragung von Kraft in Form von Druck oder Stoss angewiesen. Innerhalb der Feldtheorie sind sie aus der Ferne und ohne Berührung von Materie mittels Kraftfelder erklärbar. Wolfhart Pannenberg will sich das zunutze machen, indem er versucht, mit Hilfe von physikalischen Feldern vom Wirken Gottes in der Welt zu reden8.
Auch wenn solche Ansätze neue Fragen aufwerfen, stellen sie doch einen ernsthaften Versuch dar, das dynamische Wirken Gottes sowohl metaphysisch wie auch physikalisch zu beschreiben. Diese Vermittlungsversuche zum Reden über das Handeln Gottes in der Natur blieben deshalb auch nicht unbeachtet. Das zeigen verschiedene Studien, die versuchen, diese Ansätze zu systematisieren und weiterzuentwickeln9. Zu erwähnen ist auch ein gemeinsames Projekt des Vatikanischen Observatoriums und des «Center for Theology and the Natural Sciences» in Berkeley. Über mehrere Jahre hinweg finanzierten sie gemeinsam eine Reihe von Konferenzen, die sich mit dem Handeln Gottes in der Natur auseinandersetzten. Das Projekt bekam schliesslich den Namen «Divine Action Project»10. Auch wenn das «Divine Action Project» keine einvernehmliche Lösung fand, wie man über das Handeln Gottes in der Natur im Kontext von Theologie und Naturwissenschaften reden kann, machen die vielfältigen Ansätze deutlich, dass es sehr wohl Möglichkeiten gibt, auf nachvollziehbare Weise darüber ins Gespräch zu kommen.
Die Grenzen und Chancen des Gesprächs
Es gibt also breite Bemühungen, sowohl von theologischer wie auch von naturwissenschaftlicher Seite her, das Handeln Gottes in der Natur in einer gegenseitig verständlichen Art und Weise zum Ausdruck zu bringen. Das ist sehr zu begrüssen, denn auf dieser Grundlage kann weitergearbeitet werden.
Meines Erachtens müssen wir uns aber bewusst sein, dass eine endgültige Lösung unerreichbar sein könnte. Denn es stellt sich die berechtigte Frage, ob sich Gott auf die Finger schauen lässt, ob er sich gewissermassen in flagranti auf frischer Tat ertappen lassen will. Ob die Lösung zu diesem Unterfangen je gefunden wird, ist aktuell aber nicht die vorrangige Frage. Es geht zunächst einmal um die Art und Weise, wie nach einer Antwort gesucht werden soll. Der Suche nach einer angemessenen Art von Gottes Handeln in der Welt zu reden, liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass weder die naturwissenschaftliche noch die theologische Redeweise für sich alleine genommen erfolgreich sein kann. Beides bleibt Stückwerk, wohl auch der gemeinsame Weg. Aber wer realisiert, dass er nicht allein Recht hat und ergänzungsbedürftig ist, wird bescheidener und geht zurückhaltender mit alternativen Ansichten um. Der Schlüssel zu einem angemessenen Naturbild – und darüber hinaus zu einem angemessenen Gottesbild – liegt nicht in den Naturwissenschaften und auch nicht in der Theologie allein. Er liegt in der Ergänzung und Verbindung dieser beiden Wissenschaften.
1 Die Providenz-Lehre (Vorsehungslehre) befasst sich mit der Frage, wie ein allmächtiger und allwissender Gott das Weltgeschehen lenken und schliesslich auch an sein Ziel bringen kann.
2 Hinter dem methodischen Atheismus steht der Versuch, die Welt allein mit innerweltlichen (= natürlichen) Methoden zu ergründen und zu erklären. Übernatürliches wie z.B. Gott werden bewusst ausgeklammert. Im Unterschied zum weltanschaulichen Atheismus wird die Existenz Gottes nicht abgelehnt, sie ist für das eigene Forschen einfach nicht von Bedeutung.
3 Die Quantenmechanik ist ein Teilbereich der Physik. Er wurde entwickelt, um Phänomene zu erklären, die mit den Gesetzen der klassischen Physik nicht mehr erklärbar waren. Während die klassische Physik makroskopische Objekte beschreibt, befasst sich die Quantenmechanik mit dem subatomaren Bereich. Denn auf dieser Ebene verhalten sich Teilchen oft anders.
4 Die Relativitätstheorie geht auf Albert Einstein zurück. Kern dieser komplexen Theorie ist, dass Zeit, Massstäbe und auch die Masse von sich sehr schnell bewegenden Objekten nicht immer identisch sind und in Beziehung zum Beobachter stehen, der ihre Bewegung wahrnimmt. Zeit und Raum sind deshalb relativ und nicht absolut.
5 Die Unschärferelation geht auf Werner Heisenberg zurück und ist nach ihm benannt. Sie besagt, dass es auf quantenmechanischer Ebene unmöglich ist, für ein Teilchen den Impuls p und den Ort x gleichzeitig exakt zu messen.
6 Vgl. W.G. Pollard, Chance and Providence. God’s Action in a World Governed by Scientific Law, 1958.
7 Die Chaostheorie befasst sich mit dynamischen Systemen, die eine hohe Empfindlichkeit gegenüber ihren Anfangsbedingungen zeigen. Bereits minimale Änderungen in den Anfangsbedingungen eines Systems können zu unerwartet grossen Unterschieden im Verhalten des Systems führen. Der Schmetterlingseffekt («Tritt das Schlagen eines Schmetterlingsflügels in Brasilien einen Tornado in Texas los?») ist ein bekanntes Beispiel dafür. Vgl. A.R. Peacocke, Gottes Wirken in der Welt. Theologie im Zeitalter der Naturwissenschaften, 1998, J.C. Polkinghorne, Belief in God in an Age of Science, 2003 und R.J. Russell. Cosmology. From Alpha to Omega, 2008.
8 Vgl. W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, 1991, S. 96-138.
9 So zum Beispiel R. Bernhardt, Was heisst Handeln Gottes? 1999; N. Saunders, Divine Action and Modern Science, 2002; T.A. Smedes, Chaos, Complexity and God, 2004 und U. Beuttler, Gott und Raum, 2010.
10 Vgl. W.J. Wildman, The Divine Action Project, 1988-2003, 2004, S. 31-75.
Schreiben Sie einen Kommentar