Das sind Situationen, welche mich aufreiben und zum Nachdenken bringen. Was ist meine Rolle darin? Unausgesprochen wird erwartet, dass ich die Herausforderung aufgreife und wir nach Lösungen bei der Schülerin oder beim Schüler suchen.
Lenke ich den Blick auf unsere Möglichkeiten als Lehrpersonen und unseren Umgang mit den Herausforderungen, dann erlebe ich immer wieder Reaktionen von Unverständnis bis hin zu einer fehlenden Wertschätzung unserer Arbeit. Wie auch immer: Das Überdenken des eigenen pädagogischen Handelns wird oft mit einem Opfer verbunden. Und das nicht ganz zu Unrecht.
Nur nichts ändern
Vielfach haben wir in unserem Leben ein hohes Interesse daran, dass sich für uns nichts ändert. Wir tun uns zum Beispiel schwer, unsere Mobilität einzuschränken oder beim Konsumieren auf die angebotene Vielfalt an Lebensmitteln zu verzichten.
In der Schule tun wir uns oft schwer damit, unsere doch so durchdachten und oft über Jahre erprobten pädagogischen Grundsätze unseres Handelns zu überdenken. Änderungen sind mit Arbeit und mit Investitionen verbunden. Wenn ich diese nicht aus mir selbst heraus gewählt habe, sondern sie mir auf Grund der Bedürfnisse meines Gegenübers gegeben wurden, wirkt das als mühsam und als Opfer.
Barmherzig werden
Wenn ich solche Veränderungen im Blick auf mein Gegenüber angehe, zeigt sich für mich darin eine Haltung der Barmherzigkeit. Ich bewege mich für mein Gegenüber. Das sehe ich in vielen Fällen als Schlüssel für das Weiterkommen in herausfordernden Situationen. Diese Barmherzigkeit mobilisiert auch mein Gegenüber.
Aber Barmherzigkeit gibt es nicht ohne Opfer. Das wird auch sichtbar in der Barmherzigkeit Gottes. Der Karfreitag macht es uns deutlich: Gott selbst ist in seiner Barmherzigkeit nicht ohne Opfer davongekommen.
Die Sichtweise ändern
Barmherzigkeit rüttelt an meinen mir geläufigen und wohlgefälligen Sichtweisen. Das ist ein Problem, von dem schon die biblischen Propheten berichtet haben: «Sie haben Augen und sehen nichts, sie haben Ohren und hören nichts1.» Offenbar ist es nicht automatisch so, dass wer Augen hat, sieht, und wer Ohren hat, hört.
In der Pädagogik ist schon lange klar, dass die Erwartungshaltung eines Pädagogen oder einer Pädagogin ein grosser Einflussfaktor ist für die Leistung und somit Entwicklung des Schülers oder der Schülerin. Deshalb muss aus professioneller Sicht das eigene Sehen und Hören kritisch befragt werden, so dass es nicht bei den mir geläufigen und mir wohlgefälligen Sichtweisen bleibt.
Ebenso unumstritten ist in der Pädagogik, dass die Zusammenarbeit unter den pädagogischen Fachleuten ein wirkungsvoller Aspekt für Veränderungen ist. Zusammenarbeit bricht die eigene Sicht auf und macht die allenfalls nötigen Opfer, welche in der eigenen Macht stehen, deutlich.
Dass einem diese eigenen Sichtweisen nicht mehr geläufig sind, diese Erkenntnis wird uns oft nur durch andere aufgezeigt. Dies zuzulassen, ist eine gute Grundlage, auf der Barmherzigkeit wachsen kann.
Barmherzigkeit bringt Früchte
Barmherzigkeit säen, das heisst darauf zu hoffen, dass daraus Frucht entsteht, die später wieder geerntet werden kann. Barmherzig handeln ist ein Dienst, der verbunden ist mit Hoffnung. Das finde ich eine wunderbare Grundlage für das pädagogische Schaffen.
Es ist längst nicht nur das didaktische Aufarbeiten von Lerninhalten oder das methodisch geschickte Vermitteln dieser Inhalte, das die Faszination der Pädagogik für mich ausmacht. Es sind genau jene Situationen, die weit über das genannte Handwerk hinaus gehen. Ich bin fasziniert von den Möglichkeiten eines barmherzigen pädagogischen Handelns, das von mir ein Opfer abverlangt und das meinem Gegenüber, dem Schüler, der Schülerin zum Segen wird.
Vorbild und Tragkraft der Barmherzigkeit
Das Evangelium zeichnet mir dieses Bild in der Barmherzigkeit Gottes. Es ist Gott ein Herzensanliegen, mich zu gewinnen. Dafür ist auch er zu einem Opfer bereit. Das Erleben dieser Barmherzigkeit in meinem Alltag und in dem, was mein Leben trägt, drängt mich dazu, in meinem pädagogischen Handeln mit frohem Mut barmherzig zu sein.
Wir sollten in unseren Schulen vermehrt über Barmherzigkeit nachdenken. Denn sie steigert die Qualität einer Schule. Die eigene Erfahrung der grossen Barmherzigkeit Gottes mit mir macht mich reich, um etwas von dieser Barmherzigkeit weiterzugeben und die damit verbundenen Opfer zu tragen. Ich staune einmal mehr über die Bedeutsamkeit des christlichen Glaubens für meine Professionalität: vom Sonntag bis hinein in den tiefsten Alltag.
1 Psalm 115,5-7
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