«Bio liegt in unserer Natur – Beste Bio-Qualität seit 30 Jahren» steht auf der Kasse im Coop-Laden. Der Biolandbau in der Schweiz hat seine Wurzeln jedoch in den 1920er-Jahren und der Verband Schweizerischer Konsumgenossenschaften, die heutige Coop Schweiz, wurde schon 1890 gegründet. So ganz scheint Bio nicht in der Natur des Detailhändlers zu liegen.
Dank Bundesgeldern auf den Bio-Zug aufgesprungen
Dass Coop 1993 auf den Bio-Zug aufgestiegen ist, ist kein Zufall. 1992 wurde der Biolandbau als förderungswürdige Produktionsform ins Landwirtschaftsgesetz aufgenommen1 und 1993 begann der Bund, die Biobäuerinnen und -bauern mit Direktzahlungen zu fördern2. Zuvor war der Detailhändler laut Peter Moser, Leiter Archiv für Agrargeschichte, ein «integraler Bestandteil der 'alten' Ernährungs- und Agrarordnung». Mit diesem Neuanfang konnte Coop «die Definitionsmacht an sich reissen»3, so Moser weiter im Film «Zwischen Zorn und Zärtlichkeit». – «Die alten Rahmenbedingungen waren recht schlecht», erklärt Felix Wehrle, damals Leiter Kommunikation bei Coop und Co-Vater von Naturaplan4. Ehrlicher wäre also, wenn Coop auf den Plakaten dem Bund danken würde.
Naturaplan: Gut fürs Image
Nicht nur in seinen Verkaufsgeschäften, auch auf vielen Plakatwänden verkündete Coop diesen Sommer seine Leistungen rund um 30 Jahre Naturaplan. Da hiess es zum Beispiel: «Wer seit 1993 Freilandhaltung macht, hat Eier.» Nur: Es ist nicht der Detailhändler, der sich Tag um Tag um die Legehennen in Freilandhaltung kümmert. Es sind die Bäuerinnen und Bauern, welche die Herausforderung dieser Haltungsform bewältigen. Coop schmückt sich also mit fremden Federn.
Schon zu Beginn hat sich Naturaplan positiv auf das Image von Coop ausgewirkt. Das bestätigt Felix Wehrle: «Die Biobauern und die internen Leute staunten, dass wir in den Medien plötzlich die Guten waren»5. Sich mit fremden Federn zu schmücken, gilt als unfair. Wie anders wäre es, wenn Coop von den Plakatwänden verkünden würde: «Danke Biobäuerinnen und -bauern, dass ihr uns seit 30 Jahren die Treue haltet.»
Die Bio-Pioniere werden überholt
Unbestritten: Dass Coop auf den Bio-Zug aufgestiegen ist, hat dem Biolandbau in der Schweiz Schub gegeben. Gleichzeitig hat sich das Sortiment so entwickelt, dass es sich kaum mehr vom Nicht-Bio-Sortiment unterscheidet. Fxfertige Pizza, UHT-Milch und Himbeeren im Frühling sind im Bio-Sortiment genauso üblich wie im konventionellen Angebot.
Bei den Pionierinnen des Bio-Landbaus gehörte zum alternativen Landbau auch eine gesunde Ernährung. Auf Basis der Lebensreformbewegung begann Mina Hofstetter im Jahr 1920, alternative Landbaumethoden auszuprobieren6. Die Lebensreformbewegung wollte zurück zur Natur. Dafür war eine gesunde Ernährung ein wichtiges Element.
Das war auch bei Maria Müller so. Sie leitete die Bauernheimatschule Möschberg, die 1932 eröffnet wurde. Ab 1946 standen dort Biolandbau und Vollwerternährung auf dem Lehrplan7. Maria Müller gilt zusammen mit ihrem Mann Hans Müller als Gründerpaar des biologisch-organischen Landbaus.
Duopol statt Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Christof Dietler, Geschäftsführer Bio Suisse 1995-2023, sagte 2012, der Vertrag mit Coop habe die Bereitschaft der Bio-Bäuerinnen und -Bauern gezeigt, mit Coop auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten8. Im Januar 2023 veröffentlichte Preisüberwacher Stefan Meierhans eine Untersuchung zu den Biomargen und kam laut Handelszeitung zu folgendem Schluss: «Einen Vergleich der Margen von Bio-Produkten in den Niederlanden wertet der Preisüberwacher als ein Indiz dafür, dass ein wenig wettbewerbsintensives Umfeld in der Schweiz dazu beitrage, dass Bio-Produkte stärker verteuert werden, weil sie eine extra hohe Marge zu tragen haben»9.
Dieses wenig wettbewerbsintensive Umfeld in der Schweiz – im Klartext das Duopol von Migros und Coop, die rund 75 Prozent der Lebensmittel vermarkten – ist ein wichtiger Faktor. Nicht nur die Macht ist ungleich verteilt, auch die Spiesse sind ungleich lang. Denn für den Lebensmitteldetailhandel gilt die Handels- und Gewerbefreiheit. Er kann seine Preise und Leistungen nach eigenem Gutdünken bestimmen. Die Bäuerinnen und Bauern dagegen sind an ökologische Vorschriften gebunden, im Biolandbau zusätzlich an immer strengere Richtlinien, und stehen wenigen Abnehmern gegenüber. Die neue Klimastrategie, die der Bund laut «NZZ am Sonntag» Anfang September veröffentlichen wird, wird daran wohl nichts ändern. Neben neuen politischen Rahmenbedingungen braucht es deshalb unbedingt mehr Wertschätzung und Fairness – vom Feld bis zum Teller.
Wo bleiben die Pioniere?
Die Geschichte des Biolandbaus war bis zur staatlichen Anerkennung 1992 die «Geschichte einer Bewegung, geprägt von Pionierinnen und Pionieren, von Querdenkern und Visionären, auf bäuerlicher, wissenschaftlicher und politischer Ebene10». Höchste Zeit also, dass es in der Landwirtschaft, in der Gastronomie und im Detailhandel wieder mehr Pionierinnen und Visionäre gibt.
1 Film Teil 2/2: Zwischen Zorn und Zärtlichkeit – Die Geschichte des Biolandbaus in der Schweiz (2012), Minute 14:45, https://www.youtube.com/watch?v=yewEshBah9c
2 dito, ab Minute 18:12, https://www.youtube.com/watch?v=yewEshBah9c
3 dito, Minute 18:12, https://www.youtube.com/watch?v=yewEshBah9c
4 dito, Minute 18:42, https://www.youtube.com/watch?v=yewEshBah9c
5 dito, Minute 20:29, https://www.youtube.com/watch?v=yewEshBah9c
6 Teil 1/2: Zwischen Zorn und Zärtlichkeit – Die Geschichte des Biolandbaus in der Schweiz (2012), ab Minute 1:32, https://www.youtube.com/watch?v=ssS0FfHdaQk
7 dito, ab Minute 8:00, https://www.youtube.com/watch?v=ssS0FfHdaQk
8 Film Teil 2/2: Zwischen Zorn und Zärtlichkeit – Die Geschichte des Biolandbaus in der Schweiz (2012), Minute 20:57, https://www.youtube.com/watch?v=yewEshBah9c
10 Teil 1/2: Zwischen Zorn und Zärtlichkeit – Die Geschichte des Biolandbaus in der Schweiz (2012), Minute 0:59, https://www.youtube.com/watch?v=ssS0FfHdaQk
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