Architektur: Gemeinschaftlich wohnen – Chance für ein versöhnliches Leben 

Wir leben in einer individualistischen, pluralistischen Welt, in einer Welt, wo Menschen es vorziehen, möglichst nichts mit dem Nachbarn zu tun zu haben. Zum Glück gibt es andere Menschen, die nichts gegen ein Miteinander im Alltag haben. Dazu braucht es aber auch die passenden Wohnmodelle.

(Lesezeit: 5 Minuten)

In der James-Überbauung1 läuft alles wie von selbst: Hier gibt es einen Concierge, der bei Abwesenheiten zu den Pflanzen schaut, die Briefkästen leert und anderes mehr übernimmt. Er bringt auch mal schmutzige Kleider zur chemischen Reinigung oder kaputte Schuhe in den Schuhladen. Natürlich kostet das alles – zusätzlich zum Mietzins. Aber dafür muss man nichts mit den anderen Bewohnern der Siedlung zu tun haben. 

Aber da gibt es sozusagen auch das Gegenteil: die gemeinschaftsorientierten Siedlungen. Ich möchte drei davon näher vorstellen.

Townvillage in Winterthur (Bild: Architekturbüro eins Architekten AG) 

Drei Mal gemeinsam wohnen

1) Die Genossenschaft «Mehr als Wohnen»2 

Das sind 13 Wohn- und Gewerbebauten, 450 Wohnungen und etwa 1300 Personen, die hier wohnen: Studierende, ältere Leute, Menschen mit Behinderung, Singles, Familien, Ausländerinnen und Ausländer. Sie wollen miteinander zu tun haben, gemeinsam gärtnern, Geräte austauschen und Ideen zusammen entwickeln. Zum Angebot gehören auch Cluster-Wohnungen, eine Kombination aus individuellem Wohnen und Gemeinschaft. Dabei haben alle ihr eigenes Zimmer mit Bad und kleiner Küche; Wohnraum, grosse Küche und Infrastrukturen hingegen werden mit den anderen Bewohnern geteilt.

2) Die Genossenschaft Kalkbreite3  

Diese Genossenschaft besteht aus 88 Wohnungen für 250 Personen, davon leben 50 Personen in einem Grosshaushalt mit einer gemeinsamen Köchin bzw. einem Koch. Hier wird bewusst auf viel Wohnraum pro Person verzichtet.

3) Townvillage4

In Neu-Hegi in Winterthur steht seit einem halben Jahr das Townvillage. Die Bauträgerschaft setzt sich zusammen aus der Quellenhofstiftung5 und der Freikirche GvC (Gemeinde von Christen). Hier gibt es 61 Wohnungen für ca. 150 Personen, ca. 50 % im Alter 60+, sonst ein Mix aus Singles, Paaren und WG’s; etwa 50 % der Bewohnerinnen und Bewohner sind Mitglieder der genannten Freikirche.

 

Gemeinsam wohnen – versöhnlich leben

Die Leute in diesen Siedlungen suchen die Nähe zueinander, sie wollen einander kennenlernen und bewusst etwas miteinander zu tun haben. Dieses Miteinander hilft zu einem versöhnlichen Leben. Je mehr wir nämlich hinter die Fassade von Menschen sehen, desto weniger können wir vorschnell ein Urteil über sie fällen und desto weniger projizieren wir Feindbilder auf sie.

In diesem Bereich haben wir ein grosses Vorbild: Jesus Christus. Er liess sich nicht vom äusseren Erscheinungsbild oder von der Position seiner Mitmenschen blenden. Er sah immer die Person hinter der Fassade. Wie bei der Begegnung mit der Samariterin am Brunnen6.

Je mehr wir also die Menschen in unserem Umfeld kennen, desto weniger verurteilen wir sie und grenzen sie aus. Und das ist vor allem möglich, wenn wir miteinander zu tun haben, zum Beispiel in solchen gemeinschaftsorientierten Siedlungen. Da geht man bewusst aufeinander zu und macht  zusammen etwas, sei es in einer Kompostgruppe, beim gemeinsamen Gärtnern, in der Spielgruppe oder in einer Gebetsgruppe.

Damit ist schon ein grosser Schritt zum gegenseitigen Verständnis getan und zum Verhindern eines möglichen Streites oder gar von Feindschaft. Wenn wir den anderen näher kennen, können wir schneller aufeinander zugehen und uns auch entschuldigen, wenn etwas vorgefallen ist. 

 

Allein und doch gemeinsam

Damit das geschehen kann, braucht es nicht immer spezielle Siedlungen. Ich wohne in einem Mehrfamilienhaus. Vor vielen Jahren erkannte ich, dass wir als Nachbarn einfach nur nebeneinander leben und viel getuschelt und getratscht wird. Nach dieser Einsicht gewann ich zwei Verbündete im Haus. Gemeinsam organisierten wir ein sommerliches Grillfest. Das bewirkte Wunder. Wir waren uns nähergekommen. Und das bis heute.

Der Psychologe Reinhold Ruthe hat dazu Folgendes geschrieben:

  • Versöhnung und Vergebung schaffen ein völlig neues Leben.
  • Versöhnung reisst Mauern ein.
  • Versöhnung befreit von Isolation und Einsamkeit.
  • Versöhnung ist letztlich ein Geschenk Gottes.

Kurz: Gemeinschaftsorientiertes Wohnen, bei dem Menschen die Nähe zueinander suchen, leistet – in welcher Wohnform auch immer – einen wertvollen Beitrag zur Förderung eines versöhnlichen Lebens.

 

1 https://james.ch/zurich-albisrieden/

2 www.mehralswohnen.ch

3 https://www.kalkbreite.net/kalkbreite/

4 www.townvillage.ch

5 Die Quellenhofstiftung sorgt u.a. für die Rehabilitation von sucht- und psychisch kranken Menschen (https://quellenhof-stiftung.ch)

6 Johannes 4,5-30

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