Dies ist zum einen ein Effekt des vermehrten Arbeitens zu Hause im «Homeoffice» oder in geteilten Büroräumlichkeiten, den «Co-Working Spaces», sei es im Quartier oder im Dorf. Zum anderen haben sich auch viele Menschen bei ihren Einkaufs- und Freizeitaktivitäten auf ihr näheres Umfeld beschränkt und das wertvolle Prinzip der Nähe neu entdeckt. Dies war während der Lockdowns deutlich messbar. Aber der Trend hält weiterhin an, wenn auch nicht mehr so ausgeprägt.
Wie sollte die Planung unserer Städte und Dörfer darauf reagieren? Meine These lautet: Die Orte, wo wir wohnen, sollten wieder vermehrt zu Lebensorten werden. Die Planer reden in diesem Zusammenhang von der 15-Minuten-Stadt. Diese Lebensorte mit kurzen Distanzen sollten in Zukunft auch als solche gestaltet und bespielt werden.
Warum wir uns wohl fühlen
Auch ich bin während der Coronakrise wieder öfter in meiner näheren Umgebung spazieren gegangen und habe dabei die Strassen und Wege viel bewusster wahrgenommen. Was macht eigentlich den Strassenraum unserer Dörfer und Zentren zu Orten, an denen ich mich gerne aufhalte oder wo ich gerne zu Fuss unterwegs bin? In meiner Wahrnehmung sind es Qualitäten wie Vielfalt, Abwechslung, schön und unterschiedlich gestaltete Vorgärten, Vogelgezwitscher, Düfte, Farben, – oder auch schattenspendende Bäume und Sträucher. Auf mich wirken zudem offen und verschiedenartig gestaltete Räume, die den eintönigen Strassenraum erweitern, attraktiv. Und wenn ab und zu ein Platz mit einem Brunnen oder einem Bänkli zum Sitzen und zum Plaudern mit Bekannten oder auch Fremden einlädt – um so besser.
Und wie sieht die Realität des Strassenraums in unseren Dörfern aus? Wurden Sie von Ihren Strassen zum Spazieren, zum Entdecken oder gar zum Verweilen eingeladen? Hat der Strassenraum Ihre Sinne angesprochen? Oder diente er vor allem der Durchfahrt des Verkehrs und, im besten Fall, dank eines Trottoirs auch noch der Sicherheit der Fussgänger und Fussgängerinnen?
Städte und Dörfer massvoll gestalten
Seit mehr als 40 Jahren befasst sich der bekannte dänische Architekt und Stadtplaner Jan Gehl damit, Plätze, Strassen, ja ganze Stadtviertel zum Wohle der Bewohner neu- oder umzugestalten. Sein wichtigster Grundsatz für die Analyse und die Massnahmen der Stadtplanung ist das «menschliche Mass»: der Stadtraum muss, statt aus einem fahrenden Auto heraus, mit der Geschwindigkeit eines Fussgängers erlebt werden2. Es ist beeindruckend, wie sich mit gezielten Gestaltungsmassnahmen aus der Perspektive der Fussgänger gewisse grosse Städte wie etwa Kopenhagen oder Melbourne oder einzelne Quartiere in Paris oder Berlin in den vergangenen Jahren zu attraktiven Orten der Begegnung entwickelt haben. Sie sind heute deutlich interessanter und viel belebter als noch vor einigen Jahren. Persönliche Treffen in der Stadt und das Kennenlernen «von Angesicht zu Angesicht» bieten unerwartete Erlebnisse und machen die Städte als Orte der Begegnung attraktiv.
Was für die grossen Städte dieser Welt gilt, gilt im Kleinen auch für unsere Schweizer Zentren und Dörfer. Die neu gestaltete Rathausstrasse in Liestal mit den Strassencafés und dem samstäglichen regionalen Genussmarkt als Begegnungsort könnte man ebenfalls als Beispiel anführen.
Es gibt aber, wie die Wahrnehmungen anlässlich meiner Spaziergänge zeigen, immer noch viel Verbesserungspotenzial. Ich denke da vor allem an die Gestaltung des Strassenraums in unseren Wohnquartieren und meine damit nicht nur den Raum der öffentlichen Strasse und des Trottoirs, sondern bewusst auch die privaten Vorgärten zwischen den Häusern und der Strasse. Ganz gemäss der Aufforderung von Jan Gehl: «Sorgt gut für die Menschen und das Leben zwischen den Häusern.»
1 Dezentral Schweiz, Paul Schneeberger, Joris Van Wezemael, 2022, Edition Hochparterre
2 Leben zwischen den Häusern, Jan Gehl, 2012, jovis Verlag GmbH
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