Umweltethik: Wo die FDP recht hat

Als Umweltethiker bin ich in den letzten Jahren zum Schluss gelangt, dass technologische Innovation – ein Kernanliegen der FDP-Klimapolitik – tatsächlich auch das Herzstück der Klimapolitik sein soll. Ich stehe ja in vielen Bereichen in leidenschaftlichem Widerspruch zur FDP. Welche Argumente führen mich nun dazu, dieser Partei gerade in diesem Bereich ein Loblied zu singen? Und was hat das mit meinem Christsein zu tun?

(Lesezeit: 9 Minuten)

Die Klimaherausforderung mit Innovation lösen zu wollen, wird oft als halbherzige Lösung wahrgenommen. Es scheint ein Vorschlag der Warmduscher zu sein, die keine Opfer bringen wollen; dies von der Hoffnung motiviert, sich mithilfe neuer Technologien mühsame Lebensstiländerungen zu ersparen.

Innovation ist aber mehr als das. Sie ist so zentral, weil die Klimaherausforderung so radikal ist. Wenn wir unsere Treibhausgasemissionen «bloss» um 20 % oder 50 % senken müssten, dann wären andere Wege als Innovationen womöglich zielführender. Unsere Treibhausgasemissionen müssen aber auf (netto) Null gesenkt werden. Und zwar in wenigen Jahren. Die Radikalität dieses Ziels macht Innovationen zentral.

Bild: Makunin auf Pixabay

Drei Hebel zur Veränderung

Die Grundsatzfrage lautet deshalb: Wie können die globalen Emissionen überhaupt auf Null gesenkt werden? Die Emissionen sind umso höher je mehr Menschen auf unserm Planeten leben, je höher ihr Wohlstand ist und je dreckiger die Technologien sind, mit denen sie ihren Wohlstand generieren. Die globalen Emissionen sind also eine Multiplikation aus:

  • Anzahl Köpfe mal
  • Einkommen pro Kopf mal
  • Emissionen pro generiertem Franken Einkommen.

Dementsprechend können wir an diesen drei Faktoren schrauben, um die Emissionen zu senken: weniger Köpfe, weniger Einkommen, weniger dreckige Technologien. Um aber die Emissionen nicht einfach um 20 % oder 50 % sondern auf Null zu senken, muss zumindest einer dieser drei Faktoren auf Null gesenkt werden: null Menschen, null Wohlstand oder null dreckige Technologien.

Und: wenn einer dieser drei Faktoren tatsächlich auf Null sinkt, dann spielt es keine Rolle mehr, wie hoch die anderen Faktoren sind. Wenn unser Einkommen mit null Emissionen produziert wird, dann kann das Einkommen noch so hoch sein, es gibt deswegen nicht mehr Emissionen.

Ich weiss, das ist sehr holzschnittartig argumentiert. Aber auch in einer differenzierteren Argumentation würde der zentrale Punkt bleiben: Wenn wir umfassend Null-Emissionstechnologien einsetzen, dann können wir das Klimaproblem lösen, sogar wenn die Bevölkerung und die Wirtschaft wächst. Wenn wir sie nur begrenzt einsetzen, dann lösen wir das Klimaproblem nicht, sogar wenn wir das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum enorm bremsen. Technologie ist der einzige der drei Hebel, bei dem eine radikale Reduktion realistisch ist.

 

Das Problem der sauberen Technologien

Nun mag man einwenden, dass wir die sauberen Technologien ja bereits haben. Wir müssten nur endlich bereit sein, sie auch einzusetzen. Dieser Einwand bringt aber zwei Probleme mit sich. Erstens fehlen uns für den Einsatz im grossen Massstab tatsächlich noch wichtige saubere Technologien. Dies gilt etwa in den Bereichen Zement, Stahl, Fleisch, Milch, Flugreisen und Negativemissionstechnologien, die der Atmosphäre CO2 entziehen. Zweitens – und wichtiger – genügt es nicht, dass wir die Technologien haben. Sie müssen auch so attraktiv sein, dass sie nicht nur von den Verantwortungsbewussten, sondern auch von den Trumps und Putins dieser Welt oder unseren Nachbarn mit ihrem Offroader benutzt werden. Weiter müssen sie so billig sein, dass sie nicht nur von den Reichen eingesetzt werden, sondern auch die Armen ausnahmslos auf saubere Technologien setzen können. Die Menschen in Armut sind darauf angewiesen, dass sie wirtschaftlich wachsen können. Wir unterschätzen oft, wie entscheidend billige Energie für die Flucht aus der Armut ist1. Saubere Technologien müssen also nicht nur existieren, sondern auch billig und attraktiv sein2

 

Innovationen und die Nächstenliebe

Was hat dieses Plädoyer für Innovation mit meinem christlichen Glauben zu tun?

1. In Umweltfragen sollten wir das geflügelte Wort ernster nehmen, wonach das Gegenteil von gut oft nicht böse, sondern gut gemeint ist. Wahre Nächstenliebe fragt nicht danach, was sich grün, naturverbunden oder bescheiden anfühlt, sondern was funktioniert. Was bewahrt meine Nächsten tatsächlich vor Umweltschäden? Wenn Innovation notwendig ist, um meine Nächsten vor Klimakatastrophen zu schützen, dann ist Innovation schlicht eine Frage der Nächstenliebe.

2. Die Bibel beginnt mit der ultimativen Innovationsexplosion. Gott erfindet, erzeugt und gestaltet – und dann schafft er den Menschen als ihm ähnliches Wesen. Das legt nahe, dass das schöpferische Aktivsein auch zu unserem Lebensmodell gehört. Wir sollen sozusagen Gott spielen! «Gott spielen» wird aber oft mit negativen Verbindungen verwendet, vor allem als Reaktion auf technologischen Fortschritt und menschliche Eingriffe in die Natur. Doch ob «Gott spielen» wirklich ein berechtigter Vorwurf ist, muss im Detail überprüft werden. Gott hat uns ja in seinem Bild geschaffen. Und wenn Gottes kreative Schöpfung etwas Gutes war, so ist es – wenigstens vom Ansatz her – nicht klar, weshalb die kontinuierliche aktive Weitergestaltung dieser Schöpfung durch seine Ebenbilder nicht ebenfalls etwas Gutes sein sollte.

3. Im Gegensatz zu unseren typischen Umweltdiskussionen spricht der berühmte Auftrag aus 1. Mose 1,26-28 von einer aktiven Rolle und nicht einfach vom Beschützen. Und 1. Mose 2,15 spricht zwar vom Bewahren, kombiniert es aber mit dem Bebauen. Sollen wir womöglich das Gleichnis der Talente in Lukas 19,11-27 – welches eine Mentalität des allzu vorsichtigen Erhaltens verurteilt – auch auf Umweltfragen anwenden? Sollten wir uns mehr als kreative Gärtner und technologische Weiterentwickler verstehen und nicht nur als Behüter und Bewahrer?

4. Der letzte Punkt verstärkt sich noch dadurch, dass wir in einer gefallenen Schöpfung leben. Als Ebenbilder Gottes können wir deshalb nicht davon ausgehen, dass unser Wirken automatisch gut ist. Dasselbe gilt für die Natur: Sie ist nicht in einem heilen Zustand, den es einfach zu bewahren gilt. Bereits vor der Industrialisierung war sie nicht in einem harmonischen Gleichgewicht, zu dem es einfach zurückzukehren gilt. Vielmehr ist die Flucht nach vorne angesagt. Nicht die gefallene Schöpfung soll bewahrt werden, sondern es gilt, aktiv an ihrer Verbesserung zu arbeiten, so dass in dieser unvollkommenen Welt alle Geschöpfe Gottes aufblühen können.

5. In 1. Mose 1,28 wird der Auftrag zum Wachstum der Menschheit und nicht zu ihrem Stillstand gegeben. Bei meiner Geburt lebten etwa halb so viele Menschen auf unserm Planeten im Vergleich zu heute. Das Bewahren der Natur wird mit einer wachsenden Weltbevölkerung nicht einfacher. Wir müssen sie aktiv umgestalten – vielleicht sogar die Ernteerträge gentechnisch erhöhen –, um dieser grösseren Bevölkerung ein Leben ohne Armut zu ermöglichen. Dabei hat sich allerdings gezeigt, dass ein höherer Wohlstand und eine bessere soziale Absicherung zu einer tieferen Geburtenrate führt. Dieser Nebeneffekt könnte hilfreich sein.

In der Bibel gibt es zwei Visionen einer vollkommenen Welt. Es gibt nicht nur den Garten («Natur») auf der ersten Seite, sondern auch die Stadt («Zivilisation») auf der letzten Seite. Das gestaltende Eingreifen des Menschen in die Natur kann also nicht ganz daneben sein. Und wenn der Schutz der Schwächsten vor Klimakatastrophen auf schnelle und umfassende technologische Innovation angewiesen ist, dann ist Innovation im Bereich sauberer Technologien schlicht und einfach ein Ausdruck christlicher Nächstenliebe. 

Wie können wir Innovation unterstützen? Wir können das auf der persönlichen Ebene tun, zum Beispiel mittels Spenden3 und natürlich auch mit dem eigenen ökologisch sinnvollen Handeln. Und wir können es auf der politischen Ebene tun, mit einer Stimme für die FDP oder – wohl noch überzeugender – für all die anderen Parteien, die ebenfalls für Innovation einstehen, aber auch darüber hinaus eine überzeugende Klimapolitik vertreten.

 

1 Gute Analysen dazu finden sich hier: 

https://ourworldindata.org/worlds-energy-problem

https://ourworldindata.org/poverty-minimum-growth-needed

2 Die globale Gerechtigkeit verlangt, dass vor allem diejenigen, die in den letzten 200 Jahren mit billigen, aber dreckigen Technologien der Armut entfliehen konnten (d.h. die westliche Welt), die Investitionen finanzieren, welche diese Technologien und deren Verbreitung billig und attraktiv machen. Diese Investitionshilfen gehören aus meiner Sicht zu den Hauptaufgaben der Schweizer Klimapolitik.

3 Eine praktische Möglichkeit sind Spenden via https://www.effektiv-spenden.org/top-organisationen-klimaschutz/

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Kommentare

Dominic Roser schreibt
am 25. Februar 2022
Danke vielmals für die anregenden und guten Worte!

“Warum aber diese politische Partei die Retterin in er Not sein soll, ist eher schleierhaft”

Ja, da bin ich 100% einverstanden. Es sollte mehr ein Aufhänger sein, um etwas Aufmerksamkeit zu erlangen :-)
Wobei ich auch denke: diejenigen, denen Umweltschutz ernsthaft am Herzen liegt, nehmen die Wichtigkeit technologischer Innovation oft nicht genug ernst, genau *weil* Innovation manchmal von der “falschen” Seite (und mit falschen Motiven) gepusht wird.

“Entsprechend vorsichtig ist echter Fortschritt anzugehen.”

Ja, auch hier ganz einverstanden. Der einzige Punkt, den ich vielleicht zu bedenken geben möchte, ist dass wir manchmal neue Technologien etwas gar asymmetrisch beurteilen: wir geben potentiellen Risiken oft enorm viel mehr Aufmerksamkeit als dem potentiellen Nutzen.



“Dass sich die Schöpfungskrise in der Stadt akzentuiert und hier Lösungen am nötigsten sind, ist klar.”

Da bin ich nicht ganz sicher, ob ich es korrekt verstanden habe. Aber wenn ja, so würde ich widersprechen: die dichte Lebensweise in den Städten ist ja eben genau umweltfreundlicher als das Leben auf dem Land?
René Müller schreibt
am 17. Februar 2022
Das ist eine interessante Betrachtung und zeigt nach holzschnittartiger Vereinfachung die Bedeutung der technischen Innovation. Warum aber diese politische Partei die Retterin in er Not sein soll, ist eher schleierhaft, hat sie doch obwohl mit grösstem Finanz- und Ressourcenpotenzial ausgestattet, noch nicht mehr gemacht als darüber zu reden.
Wirklich saubere Technologien stellen ethisch sehr hohe Anforderungen an die Entwickler und Produzenten. Da sind Gottes Hände - sprich unsere Hände und Köpfe - für die Weitergestaltung seiner Schöpfung sehr gefordert. Die natürliche Evolution hat die Schöpfung laufend weiterentwickelt, Schädliches eliminiert, Verbessertes entstehen lassen. Das braucht Zeit, oder da und dort eine Katastrophe. Wollen wir Menschen vermeiden, dass WIR die globale Katastrophe sind, müssen wir mit den nötigen Innovationen sehr sorgfältig umgehen und allseitig gut prüfen. Goldgräber-Liberalismus àla FDP wäre hier fehl am Platz. Die heutigen Möglichkeiten in der Technologie haben ein vergleichsweise explosives Potenzial an Evolution. Entsprechend vorsichtig ist echter Fortschritt anzugehen. Das ist offensichtlich nicht jedermanns Sache.

'Macht alles Untertan' hat zweierlei Herrschertypen entstehen lassen: die eine Sorte versteht darunter Unterdrückung und Raubbau zur eigenen und alleinigen Bereicherung, die andere Sorte macht pfleglichen Nutzen und Gedeihenlassen von der Schöpfung (Mensch und Umwelt). Das Alte Testament ist voll von Geschichten dieser Herrschertypen und zeigt uns die Folgen davon auf.

Spannend auch der Hinweis auf die letzte Seite der Bibel: die Stadt als Ziel bzw. Fokus des Geschehens. Dass sich die Schöpfungskrise in der Stadt akzentuiert und hier Lösungen am nötigsten sind, ist klar. Ob aber das neue Jerusalem verglichen werden kann, ist zweifelhaft. Denn die Offenbarung lässt einen Grossteil der Bevölkerung vorher eliminieren und nur ein kleiner Teil darf einziehen. Und ob dieser Teil dann noch vermehrungstauglich ist, wissen wir nicht.