Energie: Ein heilsamer Schock geht um die Welt 

Infolge des Krieges in der Ukraine ist uns allen klar geworden, dass die sichere Energieversorgung plötzlich infrage gestellt ist. Die Kosten sind in die Höhe geschossen, das gewohnte Preisgefüge hat sich aufgelöst. Die Bundespolitik setzt sich unter dem drohenden Energie-Mangel mit rasantem Tempo für das Fördern von erneuerbaren Energien ein und fasst innert kürzester Zeit die nötigen Beschlüsse dazu. Allerdings handelt es sich dabei um Nachholbedarf aus den letzten drei Jahrzehnten. Oder steckt gar ein Kalkül dahinter? Unter Druck können plötzlich radikale Beschlüsse gefasst werden, ohne die unliebsamen und einschränkenden Rahmenbedingungen von Nachhaltigkeit oder Naturschutz zu berücksichtigen ...

(Lesezeit: 7 Minuten)

In der öffentlichen Diskussion wird die alles durchdringende Bedeutung von Energie für unsern Alltag wie nie zuvor wahrgenommen: Schliesslich werden nicht nur Strom und Wärme teurer, sondern auch Lebensmittel, Geräte und Maschinen. Da steckt überall viel Hilfsenergie drin. Es ist hilfreich, wenn wir uns dies wieder einmal bewusst machen. Ohne Druck verändert sich offensichtlich nichts. Das gilt auch für unsere Haltung, dass nur das Billigste gut genug sei. 

(Bild: Myriams-Fotos auf Pixabay)

Täuschende Energiepreise

Es muss hier einmal klar gesagt sein: Die uns lieb gewordenen bisherigen günstigen Energiepreise waren realitätsfern tief. Vom tiefen Preis getrieben hatten die Energieversorger bisher wenig Luft für Investitionen oder gar Innovationen. Die dezentrale Energieproduktion muss zum Beispiel an das grössere Verteilnetz angeschlossen werden. Diese Herausforderung ist erst in Ansätzen gelöst. Auf Seiten der Verbraucher waren Verschwendung und Ineffizienz bisher wirtschaftlich nicht von Belang – es gab keinen Anreiz für den haushälterischen Umgang mit der Energie.

Die Gesamtkosten der Energieerzeugung sind in manchen Bereichen bei weitem nicht gedeckt. So sind die sogenannten externen Kosten, d.h. Folgekosten für Gesundheit und Umwelt, welche durch den heutigen Energieeinsatz entstehen und laufend zunehmen, nur zum kleinsten Teil berücksichtigt. Diese Folgen müssten mit dem Energiepreis abgegolten werden. Die nun bevorstehenden Debatten um Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz werden zeigen, um welch enormen Finanzbedarf es bei dieser Schadensvermeidung und -behebung gehen wird. 

 

Die Grundversorgung erträgt keine Spekulation

Die Energie  – das ist nun deutlich geworden – bildet einen markanten Teil unserer alltäglichen Grundversorgung. Die Diskussionen zeigen unbeschönigt, dass im Mangelfall jede Nation zuerst für sich schaut. Und es keinen Verlass gibt auf internationale Abkommen.

Güter oder Leistungen der Grundversorgung sind kein normales Handelsgut, das man haben oder nicht haben kann. Die aktuellen internationalen Debatten machen deutlich, dass auch mit grosser Kaufkraft die Beschaffung von Energie nicht garantiert ist. Daraus muss der Schluss gezogen werden, dass das heutige System der internationalen Strombörsen als gescheitert betrachtet werden muss. Die Grundversorgung ist m.E. nicht vereinbar mit einem spekulationsgetriebenen Handel.

Viele Akteure an der Strombörse haben in ihrer Geschäftstätigkeit nichts mit der realen Energieproduktion oder dem Energievertrieb zu tun. Sie betreiben Termingeschäfte. Sprich: Sie spekulieren, wie sie das auch mit jedem andern Rohstoff tun. Der Fall AXPO zeigt, dass auch Stromproduzenten sich dazu verleiten lassen, dem Handel mehr Wichtigkeit zuzumessen als der ursprünglichen Aufgabe, Wirtschaft und Bevölkerung mit Strom zu versorgen. Dieses Gebaren steht nicht mehr im öffentlichen Interesse, sondern unter dem Diktat der Finanzwirtschaft.

Mit der Realwirtschaft hat das wenig zu tun. Es kann doch nicht sein, dass derzeit insgesamt 1‘500 Milliarden Euro allein als Handelssicherheiten für künftige Energielieferverträge hinterlegt werden müssen. Das entspricht rund 8% der europäischen Wirtschaftsleistung eines Jahres1. Und es geschieht, ohne dass die Grundversorgung im eigenen Land gewährt ist. Hier sind Korrekturen unumgänglich.

 

Die Beziehungen zwischen Produzenten und Verbrauchern stärken

Muss das Rad zurückgedreht werden? Nein, aber es geht darum, erkannte Fehlentwicklungen zu kappen! Es wird Zeit, dass wir uns auf die soliden Erfahrungen von Direktbeziehungen zwischen Produzenten und Verbrauchern zurückbesinnen. Mit moderner Technik und Kommunikation können diese Beziehungen auch heutigen Anforderungen gerecht werden. Einzelne Gemeindewerke wie etwa Walenstadt SG zeigen, wie das geht2.

Am Beispiel von unzähligen Holzenergie-Wärmeverbünden in der Schweiz lässt sich erkennen, dass sich die direkte Beziehung zwischen dem Energieversorger und der regionalen Waldwirtschaft als Brennstofflieferant sehr gut bewährt und zu stabilen Preisen geführt hat. Gleichzeitig sorgt die direkte Beziehung dafür, dass die natürlichen Ressourcen in der Region nachhaltig genutzt und nicht ausgebeutet werden3.

Dabei gilt es zu beachten, dass das Potenzial an Energieholz in der Schweiz begrenzt ist. Es muss sorgfältig eingeteilt werden. Dass jetzt plötzlich alle Brennholz horten, wie vor zwei Jahren Klopapier, ist nicht zielführend. Aber auch bei der Wasserkraft wissen wir spätestens seit dem vergangenen Trockensommer, dass die Nutzungsmöglichkeiten begrenzt sind.

 

Umdenken: Energie bewusst einsetzen

Die vom Bundesrat erlassene Spar-Botschaft zeigt vielfältige Spar-Möglichkeiten für Private, Firmen und die Öffentlichkeit. Diese umfangreichen Listen sind hilfreich, und sie lassen sich sofort umsetzen. Von nun an gilt nicht mehr: Ich weiss nicht wie und wo. Gerne hoffe ich, dass sich möglichst viele Leute von diesen Botschaften bewegen lassen.

Ob für uns als Privatperson oder im Geschäft gilt: Die aktuelle Situation von drohendem Mangel und hohen Kosten zwingt uns zu einer neuen Haltung bei unserm Umgang mit Energie.

Es stellen sich Fragen wie:

  • Was ist notwendig, damit der Grundbedarf gedeckt, die geforderten Leistungen erbracht, die Produkte hergestellt werden können?
  • Worin wünschen wir gezielt Komfort – mehr als notwendig – um darin unser Leben bzw. unsere Arbeit angenehmer und unsere Aufgaben einfacher gestalten zu können?
  • Wofür ist Luxus – Energie im Überfluss – bewusst einzusetzen und warum?
  • Geschieht Verschwendung unbewusst oder aus Nachlässigkeit, die gestoppt werden kann?

Energie sparsam einsetzen heisst Ressourcen schonen. Und das ist das erste Gebot im Klima- und Umweltschutz. Insofern mag dieser aktuelle Preis- und Versorgungsschock heilsam und zukunftweisend sein. Ein solcher Kurswechsel wird auch globale Ausstrahlung haben, eifern doch über 80% der Weltbevölkerung unserm Vorbild nach.

 

1 fritz.fessler@gemeinwohl.coop

www.gemeinwohl.coop

2 www.walenstadt.ch

3 www.renercon.ch

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