Wie positiv ist die «Positive Psychologie»? 

Seit rund zwei Jahrzehnten geht eine wachsende Reform durch die psychologische Fachwelt. Ihre Vertreterinnen und Vertreter wollen sich in der psychologischen Forschung und Praxis nicht nur um die Schwächen, sondern auch um die menschlichen Stärken bemühen. Sie wollen nicht nur das Schlimmste überwinden, sondern auch das Beste im Leben ausbauen. Sie versuchen nicht nur, psychische Krankheiten zu heilen, sondern arbeiten genauso daran, das Leben gesunder Menschen lebenswerter zu machen. Dieser Ansatz ist eine Herausforderung – auch aus christlicher Sicht.

(Lesezeit: 7 Minuten)

In meinem vierten Lebenssechstel habe ich nochmals eine Weiterbildung begonnen: Nein, kein CAS in «Digital Leadership», und auch nicht «Artificial Intelligence and New Work». Ich studiere «Positive Psychologie» an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport.

Und ich fühle mich zutiefst herausgefordert: Yoga, Buddhismus, Meditation und Dalai Lama sind bei meinen Studienkolleginnen und -kollegen omnipräsent. Und es gibt nirgends einen Hinweis auf biblische Quellen und christliche Denkerinnen und Denker. Eigentlich fühle ich mich schon seit zwei Jahren herausgefordert, denn meine junge Frau arbeitet als Sozialpädagogin in einem Kinderheim auf den Grundlagen der positiven Psychologie. Bei ihren Aussagen zu Methoden und Konzepten merke ich auf und denke bei mir selbst: «Zu jeder dieser Ideen kenne ich doch schon eine biblische Geschichte und eine Handvoll Bibelverse, die schon vor 2000 Jahren darauf hingewiesen haben.»

(Bild: Luisella Planeta auf Pixabay)

Zwischen dem Terror des Positiven und Endzeit-Ängsten

Als ich auf meinen Social Media Kanälen  begann, über Themen meines neuen Studiums zu berichten, meldete sich umgehend eine bekannte deutsche Christin. Sie empfahl mir einen aktuellen SPIEGEL-Bestseller. Er trägt den provokativen Titel «Ich möchte lieber nicht: Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven. Eine Befreiung aus dem Zwang zum Glücklichsein und des positiven Denkens».

Ich denke an meine eigene jugendliche christliche Sozialisierung zurück: Wie wichtig war es in meinem evangelischen Glauben, dass wir «ernsthafte Christenmenschen» sind, dass wir uns mit unserem schlechten Gewissen, unserem «sündhaften Wesen» und unseren «fleischlichen Lüsten» selbstkritisch und selbstanklagend auseinandersetzen; und wie viele meiner Seelsorgegespräche und Befreiungsgebete haben sich auf meine verborgenen Sünden fokussiert? 

Als Baby Boomer1 und Vertreter der Generation X2 haben wir viele moralisierende Debatten geführt: gegen die Spassgesellschaft, dass nun Schluss mit lustig sei, dass die Sünde überhandnehme und dass das apokalyptische Ende der Welt nahe sei. Wir waren uns einig: Es muss den Menschen noch viel schlechter gehen, damit sie endlich erkennen, dass sie Gott nötig haben, damit sie Busse tun und von der Sünde ablassen. Heute fachsimpeln wir hitzig und entnervt über Pandemien und Versorgungsengpässe im Welthandel, über Klimakatastrophen, über den Ukrainekrieg, die daraus resultierende Energiekrise und Hungersnot – und ob dies nun Zeichen der Endzeit seien. Zugleich nehmen Stresssymptome, Burn-Outs, Depressionen und Angststörungen zu.

Und dann wundern wir uns, weshalb die Generation Z3 sich weigert, in unsere Leistungsgesellschaft einzusteigen, unter deren Regeln wir uns während den letzten Jahrzehnten gebeugt haben. Unsere Söhne wollen nicht mehr das Leben leben, das wir als Väter und Grossväter ihnen vorgelebt haben. Unsere Töchter werfen uns vor, dass wir eine nachhaltig lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten verunmöglichen würden. Und wir selbst werden zu weissen Wutbürgern4. Hitzige Debatten über die alten und zahlreichen neuen Sünden sind wieder da, oh ja, unsere Welt ist wieder moralisch geworden. – Bloss: Wo  bleiben da die gute Nachricht und die frohe Botschaft?

 

Die gute Nachricht

Im Angesicht von Sorgenbarometer, Angstbarometer, Gefährdungskatalog Schweiz und dem Boom neuer Ausbildungen für ein besseres Krisenmanagement habe ich vor rund 10 Jahren das Hoffnungsbarometer initiiert. In meinem intensiven persönlichen Bibelstudium habe ich damals erkannt, dass das individuelle menschliche Leben zu biblischen Zeiten weit gefährlicher und bedrohter war als heute. Und dass die biblischen Antworten darauf nie Angstmacherei, Maximierung von Kummer und Sorge und schon gar nicht Jammerei und Fremdanklage hiessen, sondern: Hoffnung, Zuversicht und Gottvertrauen.

Vor fünf Jahren hat mich die Scripture Union, der Dachverband des Bibellesebundes, als Redner an ihre Weltkonferenz eingeladen. Diese Begegnung mit der weltweiten Christenheit war faszinierend für mich. Zugleich war ich aber auch zutiefst verwirrt: Noch nie hatte ich so viele Männer in meinem Alter gesehen, die so viel gelacht und gekichert haben. Männer, die allesamt aus dem ärmsten 50 Ländern der Welt ausserhalb Europas kamen und die nicht in freien Demokratien lebten.

Wie hat schon Friedrich Nietzsche gelästert? «Die Christen müssten mir erlöster aussehen. Bessere Lieder müssten sie mir singen, wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte.» Mir scheint, dass wir uns irgendwo verirrt haben: zwischen der Vertreibung aus dem Paradies, dem goldenen Kalb, der Versuchung in der Wüste, der Kreuzigung an Karfreitag, der Angst vor den Endzeit-Narrativen der Offenbarung und unzähligen moralischen Busspredigten.

Heute frage ich mich: Sind die Sehnsüchte der positiven Psychologie vielleicht nichts anderes als die Sehnsüchte nach den «Früchten des Geistes», die Paulus in seinem Brief an die Galater thematisiert hat? Er sagt es so: «Doch die Frucht, die der Geist wachsen lässt, ist: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung5

 

Ostern für das 21. Jahrhundert

Ich weiss nicht, wo Sie stehen. Ich selbst möchte aber sicher nicht zum «angry white old man» werden. Ich mache mich auf den Weg, die Synergien zwischen den aktuellen wissenschaftlichen Studien der Positiven Psychologie, den alten biblischen Weisheiten und der christlichen Frohbotschaft zu erschliessen. Ich will wissen, wie Ostern 4.0 für das 21. Jahrhundert aussehen kann. 

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1 geboren nach dem 2. Weltkrieg bis Mitte der 60-er-Jahre

2 zwischen 1965 und 1980 geboren

3 zwischen 1995 und 2010 Geborene (nach der Generation Y)

4 «angry white old men»

5 Galater 5,22-23a

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