Der Angriff auf die Grundwerte unserer schweizerischen Willensnation

Die schweizerische Willensnation ist eine bewusst gewollte Gemeinschaft. Sie steht für die Verbundenheit aller ansässigen Schweizer Bürgerinnen und Bürger mit ihrer sprachlichen, kulturellen und religiösen Vielfalt. Diese Willensnation ist zunehmend in Frage gestellt. Höchste Zeit also, etwas dagegen zu unternehmen.

(Lesezeit: 5 Minuten)

Ein möglichst konfliktfreies Zusammenleben dieser vielfältigen Kulturgruppen wird vorwiegend durch unsere direkte Demokratie, den Föderalismus und unsere politische Kultur gewährleistet. Zu dieser Kultur gehören das Engagement vieler politisch Interessierten, die Selbstverantwortung und die Bereitschaft zum Konsens, wie etwa zum guten eidgenössischen Kompromiss. Das Konzept der Willensnation bildete 1848, ohne dass damals der Begriff bekannt war, die Grundlage unserer Bundesverfassung.

Um das zu verstehen, brauchten wir den Blick von aussen, schreibt der Zürcher Philosoph und Politikwissenschaftler Angelo Maiolino: «Es ist der französische Historiker Ernest Renan, der in seiner berühmten Rede «Was ist eine Nation» vor dem Pariser Publikum am 11. März 1882 den Begriff Willensnation in einer klassisch gewordenen Formulierung zur Charakterisierung der Schweiz verwendet.» In den seither verflossenen 140 Jahren hat die Willensnation einige, zum Teil massive Bedrohungen erlebt und abgewehrt.

Nationalratssaal im Bundeshaus (Bild: Marcel Kessler bei Pixabay (Klick zum Vergrössern)

Das Wanken der Willensnation

Was jedoch aktuell passiert, bereitet mir grosse Sorgen. Die Willensnation wankt. Und der destruktive Antrieb kommt nicht von aussen –  im Gegenteil! Unser Land scheint durch verschiedene Gräben auseinander zu driften. Da droht zum Beispiel der Generationengraben in der Frage der AHV und der Pensionskassen. Ausserdem haben die letzten Abstimmungen gezeigt, dass es zwischen der städtischen und der ländlichen Bevölkerung ein erhebliches Spaltungspotenzial gibt. Denken wir an die Pestizidinitiativen und an das CO2 Gesetz. Auch die Coronapandemie, die Massnahmen dagegen und die Frage der Impfungen spalten unsere Bevölkerung. Und zwar nicht nur so, dass andere Meinungen vertreten werden, sondern so, dass gegenseitiger Hass geschürt wird.

Leider giesst die SVP in dieser kritischen Situation nun noch reichlich Öl ins Feuer. Die Städte werden als Schmarotzer und als Ursache verschiedenster Probleme dargestellt. 

Und die ländliche Bevölkerung als Opfer und Leidtragende. Mit diesem Städte-Bashing kann man vielleicht Wähleranteile gewinnen, aber der Schweiz als Willensnation wird erheblich geschadet. Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen bedeutet, aufeinander zuzugehen und Lösungen zu suchen.

 

Gräben zuschütten

Hier sehe ich die grosse Chance für die Christinnen und Christen unseres Landes. Sie haben – über alle Parteien hinweg – eine andere Grundlage für ihr politisches Handeln. «Suchet der Stadt Bestes und betet für sie.» Diese Aufforderung aus Jeremia 29,7 geht auch an uns. Es heisst nicht «Suchet euer Bestes oder das Beste eurer Interessengruppen». Nein, «der Stadt Bestes»: Das Gemeinwohl sollen wir also anstreben.

Was der Stadt Bestes ist, ist nicht so einfach zu definieren. Aber es bedeutet ganz sicher, weg von sich selbst zu schauen, an die nächsten Generationen zu denken, die Schöpfung zu achten und zu schützen, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Menschenwürde im Fokus zu haben, wie wir das in der Evangelischen Volkspartei EVP definiert haben. Das könnte in der Altersreform bedeuten, die Generationengerechtigkeit im Fokus zu haben. Beim Umgang mit unserer Umwelt sparsam mit den Ressourcen und schonend mit unserer Schöpfung umzugehen und unser Möglichstes zu tun, um den Klimawandel zu stoppen. Es bedeutet auch, das Wohl der Schwächsten im Auge zu behalten, sei es bei Covid oder in Finanzfragen.

Der zweite Teil der Forderung in Jeremia 29,7 «…und betet für sie» ist nach meinem Verständnis auch recht herausfordernd. Ich stelle mir darunter nicht nur vor, allgemein um den Segen für unser Land zu bitten, sondern bewusst auch Andersdenkende zu segnen. Sie bewusst in unsere Gebete einzuschliessen. Das prägt unseren Umgang miteinander, hilft uns, in gegenseitigem Respekt Lösungen zu suchen, statt Gräben zu vertiefen.

So will ich politisieren: Ich will für das «Beste der Stadt» kämpfen, und ich will bewusst für Andersdenkende beten und sie segnen. Mit solch einem Willensentscheid können wir Christinnen und Christen unserer Willensnation Gutes tun.

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Kommentare

Samuel schreibt
am 14. September 2021
Gut ausgewogener Artikel, der wirklich gangbare Lösungen zum Überwinden von Gräben aufzeigt. Echte soziale Kompetenz kommt in diesem Artikel zum Tragen.
Claudius Zumbrunn schreibt
am 1. September 2021
Die Bundesverfassung macht das transzendente an «Gott den Allmächtigen» fest. In einer Sternstunde Philosophie des SRF wurden die Parteipräsidenten vor den letzten National- und Ständeratswahlen nach dem Sinn des Lebens und damit auch woran sie ihr transzendentes festmachen gefragt. Es war Albert Rösti (SVP) plus die Vertreter der E-Parteien die sich auf Gott beriefen.

Mich befremdet das SVP Bashing (Schlagen) von Frau Streiff zutiefst. Notabene ein Bashing zu einer Partei die als oberste Autorität wie Sie (hoffentlich) «Gott» zumindest akzeptiert. Der Stadt Land Graben schwellt schon länger als die Parteien existieren. Nicklaus von Flüh konnte dem entgegenwirken nicht durch Bashing allerdings.

Schade um den ansonsten hervorragenden Artikel.