Landwirtschaft: Agrarinitiativen, die alle herausfordern

Der Unmut ist in vielen Kreisen gross: Rückstände von Pestiziden im Trinkwasser und Boden, das möchte niemand. Wie Nahrungsmittel in der Schweiz hergestellt und konsumiert werden sollen, darüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Die anstehenden Agrarinitiativen verfolgen sehr ambitiöse Ziele, die ein Umdenken aller voraussetzen.

(Lesezeit: 9 Minuten)

Über die Schweiz rollt zur Zeit eine Welle von Volksinitiativen, die sich mit unserer Landwirtschaft beschäftigen: von der Trinkwasser-, Pestizid-, Biodiversitäts-, Massentierhaltungs- bis hin zur Landschaftsinitiative1.

Mit einem Bundesbeschluss sprach sich die Bevölkerung 2017 für die Erhaltung der Ernährungssicherheit aus. Damit wurde der Bund beauftragt, Voraussetzungen zu schaffen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Im Wortlaut geht es um die Sicherung der Grundlagen für die landwirtschaftliche Produktion, insbesondere des Kulturlandes, sowie um eine standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion. Zudem sollen die Ausrichtung auf den Markt und grenzüberschreitende Handelsbeziehungen zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen. Ein ressourcenschonender Umgang mit Lebensmitteln gilt als weitere Voraussetzung – Stichwort «Food Waste». Das alles tönt überzeugend. Tatsächlich stimmten fast 80 % der Bevölkerung diesen Anliegen zu.

Stets ein breites und qualitativ hochwertiges Lebensmittelangebot – die heute verbreiteten Konsumbedürfnisse setzen noch den Einsatz von Pestiziden voraus (Bild: Beat Steiner). 

Neue Trends – alte Tatsachen

Die Corona-Pandemie zeigt bei Lebensmitteln derzeit einen klaren Trend zu mehr Regionalität und zum Einkaufen direkt beim Produzenten, ob online oder im Hofladen. Welche Voraussetzungen braucht es, damit ein solcher Trend nachhaltig sein kann? Für Bäuerinnen und Bauern ist es erfreulich, wenn sich die Konsumentinnen und Konsumenten für die Herkunft der Nahrungsmittel interessieren, wenn ihre Produkte mehr nachgefragt sowie ihre Arbeit anerkannt und wertgeschätzt werden. Kundengespräche auf Märkten und in Hofläden sind eine besondere Chance zum direkten Kontakt.

Doch auch die Pandemie ändert derzeit wenig am Unbehagen und an der fundamentalen Kritik gegenüber Produktionsweisen, die Ressourcen wie Boden und Wasser sowie die Biodiversität beeinträchtigen. Die unerwünschten Auswirkungen des heutigen Pestizideinsatzes auf die Umwelt und insbesondere die Biodiversität sind gut dokumentiert2.

Eine Tatsache ist zudem, dass der Nahrungsmittelverbrauch in der Schweiz mit den derzeitigen Konsumgewohnheiten nur zu rund 60 % (in Bezug auf die verwertbare Energie) durch Produkte aus inländischer Erzeugung gedeckt werden kann.

 

Bäuerinnen und Bauern wollen das Land versorgen

Die unterschiedlichen Sichtweisen zu den genannten Initiativen kommen in den laufenden Diskussionen zum Ausdruck. Besonders kontrovers wird über die Trinkwasser- und Pestizidinitiativen diskutiert. Dabei öffnet sich ein Graben zwischen Vertretern der sogenannt «produzierenden Landwirtschaft» sowie Menschen, die Fehlentwicklungen anprangern und eine Ökologisierung forciert vorantreiben wollen. Dabei ist es nachvollziehbar, dass Verunreinigungen von Trinkwasser, Artenschwund oder der Verlust von Fruchtfolgeflächen breite Bevölkerungskreise alarmieren. Es ist auch naheliegend, dass der Beitrag zur Ernährungssicherheit mit der Forderung verknüpft wird, die Produktion möglichst im Inland zu behalten. Dabei schwingt mit, dass von der Landwirtschaft über Jahre mehr Unternehmertum verlangt und aktiv gefördert wurde.

Nun ist eine Generation am Werk, in der viele diesem Credo nachleben. Sie haben oft wenig Verständnis für weitergehende Produktionsauflagen. Dennoch, und dies zeigen die Trends hin zu umweltschonenden Bewirtschaftungsweisen, steht es im ureigenen Interesse von Bäuerinnen und Bauern, ihre Produktionsgrundlagen bestmöglich zu erhalten. Dabei geht es um die Bewahrung der Schöpfung in einem umfassenden Sinne.

 

Aus Schaden klug werden

Wie konnte es zur aktuellen Situation bezüglich Beeinträchtigung von Böden und Gewässern oder dem zunehmenden Artenschwund kommen? Der Hauptgrund liegt auf der Hand: Saubere Luft, sauberes Wasser oder eine vielfältige, gepflegte Landschaft haben im klassischen marktwirtschaftlichen System keinen Preis. Schäden kosten den Verursacher vorerst nichts, egal ob diese aus der Landwirtschaft, Industrie, dem Verkehr oder Tourismus kommen. Das Umdenken und in der Folge geänderte Wirtschaftsweisen folgen meist erst dann, wenn Umweltschäden bereits aufgetreten und sichtbar sind. 

Das war der Fall bei der Versauerung des Waldes, der Erosion von Böden, bei raschen Veränderungen in empfindlichen Ökosystemen oder nach dem Auftreten von problematischen Substanzen in Nahrungsmitteln und Gewässern. In den genannten natürlichen Systemen und Kreisläufen steht immer wieder der Boden im Mittelpunkt. Ihn gilt es zu pflegen und zu bewahren. Eine Aufgabe der ganzen Volkswirtschaft. 

Im Ackerbau setzen Landwirte verstärkt auf herbizidfreie Anbaumethoden. Hier wird ein Rübenfeld mechanisch bearbeitet (Bild: Beat Steiner).

Den Boden als Lebensgrundlage erhalten

In der Bibel kommt dem Boden eine grosse Bedeutung zu. Dies gilt vor allem für das Alte Testament, das im Umfeld einer agrarischen Gesellschaft entstanden ist. Was heisst das heute? «Christen sollen in der heutigen Zeit den Schöpfungs- und Kulturauftrag des Menschen wieder ernsthaft bedenken, bezeugen und gemäss dem Evangelium verkündigen. Gott hat diesen Auftrag nie zurückgenommen. ... Die Zerstörung der Umwelt und die Ausbeutung des Bodens sind eine grobe Missachtung und Geringschätzung dessen, was Gott gehört und was er uns als grosse Gabe und als Aufgabe anvertraut hat.» So formulierte es der Theologe Jürg Luchsinger (2016)3. Mit der genannten Überzeugung setzen sich viele Bäuerinnen und Bauern gemäss dem Stand ihres Wissens für ihre Lebensgrundlage, den Boden, ein. Um diesen nachhaltig zu bewirtschaften, ist heute in agronomischen Kreisen viel Wissen vorhanden. Neue Erkenntnisse aus der Forschung und Pioniere der landwirtschaftlichen Praxis beflügeln Anbausysteme wie den biologischen Landbau oder die Permakultur. Dennoch, aus heutiger Sicht würde ein konsequenter Verzicht auf den Pestizideinsatz zu einer Qualitätsminderung und zu Ernteausfällen führen. Diese lassen sich vorerst nur durch geringere Konsumansprüche und/oder durch den Einkauf fehlender Produkte im Ausland kompensieren4.

 

Für eine Neuausrichtung braucht es alle

Führt der Weg nun also über eine neue Ausrichtung der Agrarpolitik und/oder Initiativen für sauberes Trinkwasser und einem Verbot von synthetischen Pestiziden? Die Vorschläge des Bundesrates für eine forcierte Ökologisierung der heimischen Landwirtschaft hatten es im Parlament schwer. Sachlicher geht es die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) an; sie listet zusammen mit dem Forum Biodiversität Schweiz Handlungsansätze auf, mit dem Blick auf nachhaltige Produktionssysteme, Wertvorstellungen und Konsumverhalten sowie günstige Rahmenbedingungen5. Und am kommenden 13. Juni ist nun das Volk gefragt, ob es diesen Weg mit einschneidenden Massnahmen erreichen will.

Im vergangenen Jahr gaben die Privathaushalte (2,2 Personen) 7 % der Konsumausgaben für Lebensmittel im Schweizer Detailhandel aus. Davon entfielen lediglich knapp 11 % auf Bio-Lebensmittel6. Werden die Initiativen gutgeheissen, erfordert dies rasche und erhebliche Anpassungen in Produktion, Verarbeitung, Handel, Import und Konsum. Daraus lässt sich unschwer ableiten, dass die Gestehungskosten für Lebensmittel steigen werden. Qualitätsanforderungen müssten angepasst und vermeidbare Lebensmittelverluste (Food Waste) aktiv und breit angegangen werden. Insgesamt wohl eine grosse Chance, jedoch auch eine Herkulesaufgabe für alle Beteiligten – auch für die Konsumentinnen und Konsumenten.

Wer solch fundamentale Anpassungen erfolgreich bewältigen will, braucht Mut und Gottvertrauen. Christinnen und Christen sind herausgefordert, alle an ihrem Ort möglichst viel von der Schöpfung zu bewahren. Oder, um nochmals Jürg Luchsinger zu zitieren: «…Die Erde ist und bleibt der Ort, an dem Gott dem Menschen begegnen will. Hier sollen die Menschen als gesegnete Geschöpfe leben, gedeihen und die Gaben ihres Schöpfers geniessen.»

 

1 https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis_2_2_5_3.html

2 Guntern J et al. (2021). Pestizide: Auswirkungen auf Umwelt, Biodiversität und Ökosystemleistungen. Swiss Academies Factsheets 16 (2); Link: https://wa21.ch/messages/forum-biodiversitaet-schweiz-faktenblatt-pestizide/

3 Luchsinger 2016. Der Boden im Alten und im Neuen Testament. Magazin insist, Januar 2016, S.15ff.

4 LID-Mediendienst Nr. 3420 vom 12.04.2019. Chancen und Grenzen der Pflanzenschutzmittel.

5 https://wa21.ch/messages/forum-biodiversitaet-schweiz-faktenblatt-pestizide/

6 https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/markt/marktbeobachtung/land--und-ernaehrungswirtschaft/schweizer_detailhandel.html

 

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Kommentare

Felix Ruther schreibt
am 1. Mai 2021
Danke Beat für deinen Artikel. Er liefert mir gute Argumente in der politischen Diskussion.
Gruss und Segen
Felix