Wenn uns das Leben einen Strich durch die Rechnung macht

Irgendwie können wir uns an die gegenwärtige Krise nicht gewöhnen. Sie hat uns und unsere Welt zu sehr verletzt. Im Blick auf Jesus können wir aber lernen, unsere Ängste zu überwinden. Und zu tun, wozu wir gerufen sind.

(Lesezeit: 7 Minuten)

Edvard Munch: Der Schrei (Internet)

Wie gewohnt sitzen wir in einer kleinen Gruppe zu unserem wöchentlichen Austausch zusammen. Wir erzählen einander von der vergangenen Woche, was uns bewegt hat, was uns Sorgen macht und beten füreinander. Allerdings sehen wir uns nur über den Bildschirm. Auch daran haben wir uns schon fast gewöhnt. Im Laufe der letzten Monate haben wir aber gemerkt, wie uns etwas immer wieder trifft: Die Sorge, wie es mit der Pandemie und ihren Auswirkungen weitergeht. Die Zweifel, ob alles wieder gut wird. Müdigkeit, Frustration, Ärger, Angst.

 

Wenn die Rahmenbedingungen wackeln

Natürlich sind all diese Gefühle kein neues Phänomen. Krisenzeiten gab es schon immer – persönliche, in der Familie und in der Gemeinde. Zurzeit spüren aber besonders viele Menschen, dass wir in einer Krise leben. Wir mögen es, wenn Dinge, die wir uns vorgenommen haben, klappen, wenn wir verlässlich planen können und nicht jeden Mittwoch wieder neu die bange Frage im Raum steht, ob es weitere Einschränkungen gibt oder ab wann endlich wieder Lockerungen möglich sind.

Auch wenn wir schon vor der Pandemie in einer unsicheren Welt gelebt haben, wird uns dies jetzt noch viel deutlicher. Wir leben in einer Kultur, die es gewohnt ist, langfristige Entscheidungen zu fällen. Wir sind es gewohnt, dass wir uns auf wichtige Rahmenbedingungen verlassen können, die ein funktionierender Staat bereitstellt. Diese Verlässlichkeit ist ein hohes Gut, das in vielen Ländern nicht gegeben ist. Das gibt eine verlässliche Umgebung für langfristige Investitionen. Die Gesetze ändern sich nicht nach Gutdünken, es gibt Vertragssicherheit. Und wenn Dinge schieflaufen, dann gibt es ein Sicherheitsnetz, das uns nicht ins Bodenlose fallen lässt.

Wenn diese Sicherheit nicht gegeben ist, dann werden Entscheidungen – sowohl für das eigene Leben als auch geschäftliche Entscheidungen – sehr kurzfristig getroffen. Man wagt es nicht mehr, über den eigenen Horizont hinaus gewichtige Entscheidungen zu treffen. Zu unklar ist das, was kommen könnte. Manchmal bewundere ich Menschen, die sich in einer solchen Umgebung mit viel Improvisationstalent und Kreativität durchschlagen. Dennoch, gut ist solch eine Umgebung nicht. Verlässlichkeit und gute Regierungsführung sind Kernaspekte für eine positive gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung.

 

Stürme gehören dazu

Auch wenn wir froh sein können, nach wie vor in einer relativ verlässlichen Umgebung zu leben, spüren wir, dass unsere Welt verletzlicher geworden ist. Nicht nur die grosse Welt, sondern auch unsere persönliche. Viele Menschen sind hart getroffen. Natürlich gab es diese harten Zeiten auch schon vor Corona. Der frühchristliche Kirchenleiter und Apostel Jakobus mahnte die christlichen Gemeindeglieder, damit zu rechnen, dass Dinge anders als geplant kommen und sie bei ihren Planungen deswegen immer sagen sollten: «Wenn der Herr es will, werden wir dann noch am Leben sein und dieses oder jenes tun1.» Jesus sprach davon, dass es stets Armut geben werde, dass Naturkatastrophen zuschlagen würden, dass wir mit Angst und Bedrängnis und auch mit Stürmen rechnen müssten.

Als Jesus einmal mit seinen Jüngern in einen wortwörtlichen Sturm geriet, waren seine Jünger in Todesangst. Jesus aber schlief. Als die Jünger ihn geweckt hatten, stillte er den Sturm und sagte zu ihnen: «Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben2

Als ich heute diese Passage lese, macht mich das fassungslos. Ich finde diese Aussage angesichts der Todesangst der Jünger nicht fair. Aber das ist Jesus. Zu den Stichworten Angst und Sorge fällt ihm in erster Linie etwas ein: Vertrauen auf Gott. «Wenn Gott die Feldblumen, die heute blühen und morgen ins Feuer geworfen werden, so herrlich kleidet, wird er sich dann nicht erst recht um euch kümmern, ihr Kleingläubigen3?» 

Mitten in die Unsicherheit dringt die Verlässlichkeit Gottes hinein: «In der Welt werdet ihr hart bedrängt. Doch ihr braucht euch nicht zu fürchten: Ich habe die Welt besiegt4.» 

 

Gegen den Strich handeln

Als in der Zeit des Alten Testamentes tausende Menschen aus dem Südreich Israels (Juda) nach Babylonien verschleppt wurden, schrieb der Prophet Jeremia einen Brief5 an die Deportierten. Die Deportation hatte alles zunichtegemacht, was die Menschen sich vorgenommen hatten. Jeremia ruft sie auf, nicht in Trauer zu versinken, sondern die Situation aktiv zu gestalten: «Baut Häuser, pflanzt Gärten an, gründet Familien und bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ihr weggeführt worden seid. Betet für sie.»

Ganz ähnlich gibt Jesus seinen Jüngern eine Aufgabe auf ihren weiteren Weg mit6: Sie sollen allen Menschen die gute Nachricht bringen, dass Gott die Mächte der Finsternis entmachtet hat und das Reich Gottes angebrochen ist.

Was die Bibel hier vorschlägt, geht gegen meinen inneren Automatismus. Sie sagt: Lass dich in deinen Sorgen um dich selbst und dein Wohlergehen unterbrechen. Sieh auf Gott, der dich zum Vertrauen aufruft und sieh auf deinen Nächsten, der deine Liebe braucht. Lass dich einspannen in die Arbeit, die die Welt ein Stückchen besser macht, in und trotz allen Umständen.

Ein Baum mit Resilienz (Bild: Pixabay)

Wr brauchen Resilienz

Das ist Resilienz: Widerstandskraft. Der österreichische Philosoph und Theologe Clemens Sedmak beschreibt die Resilienz in drei Dimensionen: die soziale Dimension (Gemeinschaft, Beziehungen), die Ziel-Dimension (ich weiss, was mir wichtig ist und worauf ich zugehe) und die Dimension des Sinns (ich weiss, warum ich etwas tue).

In der Folge brauchen wir das Schlimme um uns herum weder zu leugnen noch an ihm zu verzweifeln. Wir laufen nicht weg und lassen uns nicht überwältigen. Wir werden das Leid betrauern und beklagen müssen und können gleichzeitig wissen, dass wir nicht ohne Hoffnung sind. Und nicht ohne eine Aufgabe.

Ich stelle mir vor, wie Jesus in unsere besorgten Gesichter blickt und sagt: «Warum habt ihr Angst – habt ihr kein Vertrauen?» Und dass er dann wiederholt, was er kurz vor seinem Abschied zu seinen Jüngern sagte: «Ich bin jeden Tag bei euch, bis zum Ende der Welt7

 

1 Jakobus 4,15 (NGÜ)

2 Markus 4,40 (NGÜ)

3 Matthäus 6,30.31 (NGÜ)

4 Johannes 16,33 (NGÜ)

5 Jeremia 29

6 Matthäus 28,19.20

7 Matthäus 28,20 (NGÜ)  

 

 

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