Medien: Die Kirchen werden bedeutungslos

Jährlich wird die Statistik über Kirchenaustritte in der Schweiz publiziert. Sie dokumentiert einen steten Niedergang der Landeskirchen: Zu den Ursachen gehören Skandale in der katholischen, zuletzt auch in der reformierten Kirche und das Verschwinden der Christinnen und Christen in einer gelebten Subkultur. Resultat: Die Kirchen befinden sich in einer Rückzugsposition. 

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Die Menschen verstehen die Kirchen immer weniger und die Relevanz der Kirchenangebote nimmt für sie ab. Durch die Säkularisierung ist ein Graben entstanden. Die Freikirchen können in diesem Umfeld zwar noch bestehen. Sie weisen auf tiefem Niveau insgesamt stabile Mitgliederzahlen auf. Offensichtlich gehen sie direkter auf die Bedürfnisse der Menschen ein und ihre Veranstaltungen haben mehr Leben. Leider ist der mediale Reflex gegenüber Freikirchen aber ziemlich negativ: Entweder man kennt die Freikirchen überhaupt nicht. Oder man empfindet sie als sektenartig, entweder als intellektuell oder etwas einfach und meist als rückständig.

Abtransportiert: Emmauskirche D-Heuersdorf (Bild: rc-luftbilder.de; Klick zum Vergrössern)

Schwindende Bedeutung

Täglich prasseln 4000 bis 5000 Werbebotschaften auf uns ein. Im Zeitalter des Smartphones nimmt die Reizüberflutung noch zu. Da schaffen es die Kirchen immer weniger, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu bekommen und die eigene Botschaft verständlich zu kommunizieren. Kommt hinzu, dass die Kirchen eher passiv kommunizieren. Der Dachverband «Freikirchen.ch»1 blieb in der öffentlichen Kommunikation bis im Frühling 2020 passiv. Viele der dazugehörigen Freikirchen haben keine Person für die öffentliche Kommunikation angestellt und schaffen es deshalb nicht, regelmässig präsent zu sein. Zumindest der Dachverband konnte aber in jüngster Zeit durch die aktive Rolle in der Corona-Pandemie mit vorbildlichen Schutzkonzepten, einem offiziellen Vertrag mit der Schweizer Armee für die Seelsorge oder auch mit seiner klaren Impfempfehlung einige Pflöcke einschlagen und für Aufsehen sorgen.

 

Wo die Schwellen liegen

Viele haben mit der Kirche abgeschlossen, weil sie mit ihr irgendwann ein negatives Erlebnis oder Empfinden hatten. Zudem leben die Kirchen oft nicht, was sie verkündigen: In einer Welt voller gesellschaftlicher Divergenzen treten die Kirchen mit dem Anspruch an, dass der Glaube an Jesus sowohl das geplagte Individuum als auch das gefährdete kollektive Miteinander zu heilen vermag. Aber wo vermögen die Kirchen diesen Anspruch gesellschaftlich relevant einzulösen? Darum sind sie für die Menschen draussen oft schmerzlich unglaubwürdig, unattraktiv und gesellschaftlich letztlich ohne Bedeutung.

 

Wie Menschen die Kirche finden

Wenn ein Investmentbanker oder eine Grafikdesignerin auf den Gedanken käme, dass im persönlichen Leben Sinn, Tiefe und Fülle, also die spirituelle Dimension fehlen: Wo wäre für sie die Anlaufstelle zu diesem Thema? Die Suchmaschine Google liefert für Veranstaltungen zum Stichwort «Spiritualität» vor allem Chakren, Chi und Yoga. Und dazu hunderte von Seminaren, Praxen und Zentren sowie dutzende neuer Bücher. Christliche Spiritualität kommt in dieser gesamten Szene praktisch nicht vor.

Die Kirche kann nur authentisch sein, wenn sie sich diakonisch bewegt. Es geht um «Wort und Tat», wie schon der Apostel Jakobus schrieb. Mit diakonischen Taten kommt die Kirche wieder in Berührung mit der Gesellschaft. So entsteht eine neue Beziehung, und es kommen wieder Gespräche in Gang.

Diakonie: Den Segen weitergeben (Bild: Hanspeter Schmutz)

Jesus als Vorbild

Jesus war informiert über das, was in seinem Umfeld geschah. Er investierte dafür den Grossteil seines Lebens. Jesus hatte sich auch über seine Bedeutung und seine Berufung informiert. Er las und diskutierte die politische, kulturelle und theologische Geschichte Israels schon als 12-Jähriger. Damit lernte er seine Bedeutung als Messias kennen. Und es wurde ihm auch klar, warum er den Begriff «Messias» nie für sich selber verwenden durfte.

Wenn Jesus unser Vorbild ist, folgt aus alldem, dass wir uns über die politische, kulturelle und theologische Geschichte der Schweiz und von Europa informieren und unsere Bedeutung als Jünger von Jesus kennen sollten. So, dass wir wissen und sagen können, was uns ausmacht. Können wir das?

Nein. Dazu ein winziges Beispiel: 99 Prozent der Gemeindeglieder wissen nicht einmal, unter welchen Umständen, wann, wo und durch wen der Sonntag als gesetzlich vorgeschriebener Tag ohne Arbeit eingesetzt wurde. In der Folge wissen sie auch nicht, wie sie den Sonntag als Erfolg des jüdischen und christlichen Glaubens anführen und damit zeigen können, wie christliche Spiritualität die soziale sowie politische Innovation fördert. Eine starke Priorität im Kirchenalltag sollten deshalb die Klärung und Festigung der Identität sowie das Training für gute Antworten zu den wichtigsten Lebensfragen haben.

 

Wettbewerbsvorteil der Kirchen

Christinnen und Christen haben einen Wettbewerbsvorteil: Sie haben eine bereinigte Vergangenheit ohne Lasten. Sie haben einen Sinn im Hier und Jetzt. Und sie haben eine hoffnungsvolle Zukunft. Welche andere Personengruppe kann das von sich sagen? In den Kirchen müsste man also die fröhlichsten, liebsten, aufgestelltesten und humorvollsten Menschen finden. Menschen, mit denen man gerne zusammen ist und über Gott und die Welt plaudert. Das würde die Kirche wieder anziehend machen.

 

1 www.freikirchen.ch

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