Vom Klimagespräch zum Gespräch über den Glauben

Als Fachleute, politische Akteure und Privatpersonen haben wir uns daran gewöhnt, überall mitzureden. Leider haben wir es aber verlernt, dabei Elemente unseres faszinierenden Glaubens zum Gespräch zu machen. Dazu braucht es neben Geistesgegenwart und Mut auch eine Portion Kreativität. Das sollte für die Kinder des Schöpfers aber eigentlich kein Problem sein.

Lesezeit: 6 Minuten

Am 19. März 2021 stellte die Wirtschaftssendung «Trend» von Radio SRF das Modell der Klimagespräche vor1. Diese Gesprächsrunden wurden vor einem Jahr von den kirchlichen Hilfswerken Brot für alle und Fastenopfer gestartet.

 

Klimagespräche

Das Modell sieht so aus: Acht Leute tauschen an sechs Abenden über ihre Erfahrungen und ihr Verhalten im Bereich Klimaschutz aus; zur Zeit geschieht dies per Video-Konferenz. Jeder Abend ist einem Thema gewidmet, mit Schwerpunkt auf den wichtigen CO2-Themen wie Wohnen, Mobilität, Ernährung und Konsum. Ein oder zwei Moderatoren leiten das Gespräch. Es beginnt mit einer Vorstellung der Teilnehmenden, jeweils verbunden mit einer Erfahrung in diesem Bereich. Dann folgt der Rückblick auf die letzte Gesprächsrunde. Was wurde umgesetzt? Schliesslich widmet sich die Runde dem Thema des Abends. Teil davon ist ein Rollenspiel: Gespielt werden Gespräche in einer typischen Familie, die mit Ereignis-Karten vor Klimaschutz-Herausforderungen gestellt wird. Etwa: «Wollen wir wirklich in die Ferien fliegen?» So kommen Zielkonflikte und die Kosten für unterschiedliches Verhalten zur Sprache. Gleichzeitig wird das gegenseitige Verständnis gefördert. Zudem wird so dem allfälligen missionarischen Auftreten mit CO2-Anliegen vorgebeugt. Auch Leute, die anders ticken, sollen angehört werden. Das Modell wird im Schneeballsystem vervielfältigt: Wer teilnimmt, kann anschliessend selber moderieren und erhält dafür von den Initiatoren eine Schulung. Im ersten Jahr konnten bereits 19 Gesprächsrunden gestartet werden.

 

Tabuthema Religion

So weit, so gut. Dieses Vorgehen kann man zweifellos auch auf andere Bereiche ausdehnen, in denen man gute Ideen auf den Boden bringen und für andere fruchtbar machen will. 

Stutzig machte mich aber die Antwort auf eine berechtigte Frage am Schluss der Sendung: «Dieses Angebot kommt von kirchlichen Hilfswerken. Welche Rolle spielt bei diesen Klimagesprächen die Religion? Klaus Ammann, der die Sendung zusammengestellt hatte und bei solchen Gesprächen dabei gewesen war, sagte dazu: «Eigentlich keine, zumindest in den Gesprächen nicht. Natürlich sind einige religiös motiviert. Einer der Moderatoren war katholischer Priester.» Und ein Teilnehmer ergänzte: «Für mich gibt es keinen Zusammenhang. Aber ich bin froh, dass sich die Kirchen mit diesem Thema auseinandersetzen.» Ein eigenartiger, aber wohl auch typischer Schluss der Sendung.

Aus Sicht des integrierten Christseins hätte die Antwort auch so lauten können: «Die Religion spielt wie in allen Gebieten des Lebens auch in den Klimagesprächen eine wichtige Rolle. Sie stellt die richtigen Fragen und ist eine gute Motivation, sich zu engagieren. Mitreden dürfen aber alle, unabhängig von ihren religiösen Einstellungen.» Offensichtlich waren nicht nur die Initianten sondern auch einige Teilnehmende der Gesprächsrunden christlich motiviert. Die Chance, dies bewusst zu machen, wurde in diesem Beispiel leider nicht wahrgenommen, vielleicht ein Stück weit sogar verleugnet. 

Die kürzliche StopArmut-Konferenz2 (Bild) ist das Gegenbeispiel dazu. Sie zeigte, wie ein integriertes Klimagespräch tönt.

StopArmut-Konferenz 2021 zum Thema «Wasser», Moderation (links): Ladina Spiess (Bild: StopArmut, Klick zum Vergrössern)

Es geht auch anders

Szenenwechsel: Der SP-Nationalrat Fabian Molina reichte am 17. März eine Motion ein, in der er vorschlug, die aktuelle Präambel der Bundesverfassung zu streichen. Der Bezug auf einen christlichen Gott und die Schöpfung widerspreche dem Prinzip der Neutralität, schliesse Anders- oder Nichtgläubige aus und verstosse damit gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit. 

Die Evangelische Volkspartei (EVP) war schnell mit einer Antwort zur Stelle. Bekanntlich ist sie, nachdem die CVP die Segel gestrichen hat, die letzte ausdrücklich christliche Partei in unserm Land (zusammen mit der EDU). Der Gottesbezug in der Präambel sei eine unverzichtbare Rückbesinnung auf die christlichen Wurzeln unseres Landes und damit eine Verankerung im gemeinsamen Wertefundament, das unsere Gesellschaft eint und zusammenhält, schrieb die EVP zu diesem Ansinnen3. Es seien genau diese Werte, auf denen Humanismus und Aufklärung sowie die Menschen- und Grundrechte weltweit basieren – und auf die sich alle Bürgerinnen und Bürger, gleich welcher Religion, beziehen. «Streichen wir diesen Bezug aus der Verfassung, signalisieren wir, dass wir letztlich eine Gott-lose Gesellschaft wollen, die ohne diese Werte auskommen soll», so die Noch-EVP-Präsidentin Marianne Streiff.

Gut gebrüllt, Löwin, könnte man hier sagen. Es ist wichtig, dass wir – gerade als integrierte Christinnen und Christen – wieder lernen, die Zusammenhänge zwischen unserm Glauben und dem gesellschaftlichen Umfeld nicht nur zu erkennen, sondern sie auch in verständlicher Weise zu formulieren.

 

Natürliche Anknüpfungspunkte

In meiner zehnjährigen Zeit als Kommunalpolitiker, die anfangs Jahr zu Ende gegangen ist, habe ich mir angewöhnt, bei öffentlichen Reden irgendwo einen geistlichen Bezug einzubauen. Bei der öffentlichen Ehrung unserer Schloss-Familie gab mir ihr Familienwappen – drei Flügel, die auf Psalm 17,8 verweisen (Bild) – die Möglichkeit, die Bedeutung des Segens aufzugreifen. 

Das neue Schloss Oberdiessbach mit dem Wappen der Familie von Wattenwyl über dem mittleren Lukarnenfenster (Bild: Urs Hitz, Klick zum Vergrössern)

Bei der Pensionierungsfeier für den Leiter des Sozialdienstes erinnerte ich diesen Alt-68er an einen Satz, den er mir gegenüber mal völlig überraschend geäussert hatte: «Ig bi o ne Chrischt.» 

Im Hinblick auf Ostern erlaube ich mir noch ein letztes Beispiel: den Oberdiessbacher Stationenweg4. An neun Stationen wird hier bei einem Rundgang durchs Dorf die Passionszeit zwischen Aschermittwoch und Ostern (bei uns verlängert bis Pfingsten) mit der weltweiten Passionszeit namens Corona in Beziehung gebracht. Jede Station thematisiert einen Aspekt von Corona und verbindet ihn mit einem Bibelvers sowie mit Gedankenanstössen für Erwachsene und für Kinder. Die lokalen Medien haben breit darüber berichtet. Offensichtlich eine Form des integrierten Christseins, die anspricht.

Als Christinnen und Christen mit einer ganzheitlichen Spiritualität können wir davon ausgehen, dass es in der Wirklichkeit – auch in unsern Beziehungen – beliebig viele Bezugspunkte zum Glauben gibt. Es ist spannend, sie zu entdecken und die gefundenen Schätze mit andern zu teilen.

Nun wünsche ich eine inspirierte Lektüre des vorliegenden Newsletters und eine aufgeweckte Osterzeit

Hanspeter Schmutz

 

1 https://www.srf.ch/play/radio/trend/audio/klimaschutz-hausgemacht?id=3a3ca93e-e5c1-4e17-9eac-058d89524546

2 https://www.stoparmut.ch/konferenz-2021/

3 Medienmitteilung der EVP vom 18. März

4 https://kirche-oberdiessbach.ch/ueber-uns/news/news-details/stationenweg-2021

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Kommentare

monika schreibt
am 2. April 2021
Jeden Satz könnte man doppelt unterstreichen. So gut, so treffend! Vielen herzlichen Dank!
René Müller schreibt
am 1. April 2021
Tabuthema Religion: das ist das Problem vom Huhn und dem Ei. Meine religiöse Überzeugung führt mich zu gewissen Positionen in der Klimafrage. Sie paaren sich mit meinen naturwissenschaftlichen Kenntnissen. Jedoch habe ich viele super-christliche Freunde, mit welchen ich mich nie finde. Religion kann helfen, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Aber sie stellt nicht automatisch DIE RICHTIGEN Fragen.