Arbeit: Der Druck auf den Sonntag bleibt hoch

Die Sonntagsarbeit ist in unserm postchristlichen Umfeld nach wie vor die Ausnahme von der Regel. Dieser Tag steht für die Mehrheit der Bevölkerung zur freien Verfügung. Der wirtschaftliche Druck zu einer 7 x 24 - Stunden - Woche bringt diese christliche Insel gegen den Konsum- und Arbeitszwang aber zunehmend in Gefahr. 

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Heute ist nicht mehr so klar, wofür die Glocken am Sonntag läuten. (Bild: Hanspeter Schmutz)

Ein zerbrechliches Geschenk

Der Sonntag ist ein Geschenk Gottes an uns Menschen, zunächst als Sabbat, im christlichen Gebrauch dann als Sonntag. Am Anfang stand die Aufforderung Gottes in den zehn Geboten, den Sabbat zu heiligen: «Denke an den Sabbattag, um ihn heilig zu halten. Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun, aber der siebte Tag ist Sabbat für den Herrn, deinen Gott. Du sollst an ihm keinerlei Arbeit tun, du und dein Sohn und deine Tochter, dein Knecht und deine Magd und dein Vieh und der Fremde bei dir, der innerhalb deiner Tore wohnt1

Wie die anderen Gebote ist das Gebot des Sabbats nicht einfach eine mühsame Regel, die Heiligung des Sabbats bzw. Sonntags ist lebenserhaltend. Dies zeigt sich gerade heute: Arbeitsstress, Aktivismus und Konsumismus nehmen vor allem in den Industriestaaten weiter zu. Diese Aktivitäten belasten unser Zeit-Budget. Wenn wir uns aber nicht genügend Zeit nehmen, unsere Beziehung zu unseren Bekannten und Verwandten, aber auch mit Gott zu pflegen, gefährden wir diese Beziehungen und damit auch wichtige Vernetzungen innerhalb der Gesellschaft. Am Schluss bleibt die Vereinsamung mit ihren gefährlichen Folgen.

 

Regel mit zu vielen Ausnahmen

Es gibt deshalb gute Gründe für den Sonntag und seine zentrale Stellung in der Woche: dies ist der einzige Tag, an dem die Mehrheit der Bevölkerung gleichzeitig freie Zeit zur Verfügung hat, verbunden mit der Möglichkeit zum Kirchgang, zu Besuchen und zum Pflegen des Familienlebens. Ohne diesen für alle planbaren Tag fehlt der gemeinsame Nenner für Familien und Vereine, für Kirchen und die Bevölkerung vor Ort. Die Pflege dieser Beziehungen und damit der gesellschaftliche Zusammenhalt geraten in Gefahr. Dies umso mehr, als dass sich die Berufsarbeit vor allem in der Industrie und im Bereich der Dienstleistungen unter der Woche immer öfter auch bis in den Abend hinein erstreckt. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben 1996 eine Revision des Arbeitsgesetzes mit einer Zweidrittelmehrheit abgelehnt, weil diese Vorlage sechs Sonntage im Jahr bewilligungsfrei für die Sonntagsarbeit freigeben wollte. Die Bevölkerung will also am grundsätzlichen Arbeitsverbot für den Sonntag festhalten.

Trotzdem hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) seit den achtziger Jahren den Arbeitgebern immer mehr Ausnahmebewilligungen für die Sonntagsarbeit gewährt, «aus wirtschaftlichen Gründen», wie es jeweils hiess. Heute muss rund ein Viertel der Bevölkerung mindestens ab und zu am Sonntag arbeiten.

 

Schleichende Abschaffung des Sonntags?

In den letzten Jahren hat sich das Ringen um den Sonntag intensiviert. Dies trotz der klaren Volksmeinung und trotz eines Bundesgerichtsentscheides, der festhält, dass Verkaufsgeschäfte eigentlich nicht einmal für den Weihnachtsverkauf Angestellte für die Sonntagsarbeit heranziehen dürfen, hat das Seco den Kantonen den Entscheid überlassen, ob sie die Öffnung der Geschäfte an bis zu vier Tagen im Jahr erlauben wollen.

Die SBB haben in den grösseren Städten unter dem Deckmantel des «Reisebedarfes» Rail Cities eingerichtet, in Wirklichkeit ausgebaute Einkaufszentren mit Sonntagsöffnung. Auch hier schauten die Behörden lange weg. In einer Volksabstimmung im Jahr 2005 wurde diese Praxis nach massiver Propaganda der Grossverteiler mit einer hauchdünnen Mehrheit abgesegnet.

 

 

Immer mehr Tankstellenshops mit Vollsortiment öffneten mit dem Segen der Behörden ihre Türen auch am Sonntag, obwohl diese Läden eigentlich nur den Reisebedarf decken dürften. Das Seco und die kantonalen Behörden schauten vorerst zu. Nachträglich wurde diese Praxis dann im Jahr 2013 in einer Volksabstimmung mit einer 55%-Mehrheit abgesegnet.

Und seit 2015 dürfen dank einer Verordnungsänderung auch «Einkaufszentren für die Bedürfnisse des internationalen Fremdenverkehrs» am Sonntag öffnen.

 

Widerstand und  noch mehr Druck

Gegen diese Bestrebungen, den Sonntag in seiner Funktion als Freiraum zu schwächen, wehren sich die Gewerkschaften und Teile der Kirchen. Denn offene Läden sind der sichtbarste Ausdruck dafür, dass der Sonntag ein Tag wie jeder andere geworden ist. Die Sonntagsarbeit wird zunehmend zur Norm statt zur Ausnahme. Davon werden immer mehr Arbeitsbereiche erfasst: etwa die Frisch-Produktion und Verteilzentren, das Transportgewerbe und schliesslich die Call Center.

Die parlamentarische Initiative «Graber» verlangt seit 2016 gar eine Flexibilisierung der Sonntagsarbeit für leitende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Projektverantwortliche und für Menschen mit spezifischem Fachwissen, was bei einer wie bisher lockeren Auslegung der Arbeitsgesetze durch die Kantone und den Bund bis zu 40% der Arbeitnehmenden betreffen kann. Die NZZ monierte bereits im 2017, dass in vielen Wirtschaftsbereichen der Gesetzesbruch das Geschäftsmodell sei. Die Initianten begründeten den Vorstoss damit, dass das Gesetz an die Realität angepasst werden müsse. Nach dem Willen vieler Wirtschaftspolitiker muss die Zitrone auch auf legalem Wege noch mehr ausgepresst werden. Sollten die Behörden nicht umgekehrt dafür sorgen, dass Gesetze wie der Gesundheitsschutz respektiert werden?

Die vorberatende ständerätliche Kommission hat die Sozialpartner im ersten Durchgang gar nicht erst angehört. Nach Protesten wurde dies später nachgeholt und das Gesetzesvorhaben im 2020 vorerst auf Eis gelegt. Aber es kann jederzeit weitergehen.

 

Ein Umdenken ist gefragt

Es ist sicher richtig, dass wir notwendige Dienste wie Polizei, Krankenpflege, und öffentliche Verkehrsmittel auch am Sonntag aufrechterhalten. Und Dienstleistungen wie die Gastronomie, die der Beziehungspflege und der Erholung dienen, sind bis zu einem gewissen Grad auch zu rechtfertigen. Doch wo liegt die Grenze? Kann der Finanzabschluss eines Unternehmens nicht eine Woche länger warten? Müssen wir immer alles sofort einkaufen können? Können wir nicht bis am Montag warten, wenn mal ein Compi streikt? Als Kunden und Konsumentinnen bestimmen wir, wie viele Menschen am Sonntag arbeiten müssen.

Am 3. März ist der europäische Tag des arbeitsfreien Sonntags. Und am 7. März stimmt die Berner Stimmbevölkerung über die Erweiterung des Sonntagsverkaufs ab. Die Entwicklung geht ungebremst weiter, wenn wir nicht dagegenhalten. Kämpfen wir weiterhin für das zerbrechliche Geschenk des Sonntags2!

 

1 2. Mose 20, 8-10

2 www.sonntagsallianz.ch

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