Theologie: Leiden im Atheismus

Wer sich mit dem Leiden und seiner Bedeutung befasst, kommt am Atheismus nicht vorbei. Wenn die schicksalshafte Frage nach der Güte und der Existenz Gottes sowie dem Umgang mit dem Leiden aufgeworfen wird, ist er ein wichtiger Gesprächspartner.

(Lesezeit: 6 Minuten)

Der Schriftsteller Georg Büchner (1813-1837) bezeichnete das Leiden als «Fels des Atheismus». Büchners Metapher wird im philosophischen Leidensdiskurs häufig verwendet, verbunden mit der Ansicht, dass das Leiden in der Welt sozusagen ein «felsenfestes» Argument gegen die Existenz Gottes sei. Unter den vielen Argumenten, welche der Atheismus gegen die Existenz Gottes vorbringt, berühren mindestens die folgenden drei das Problem des Übels und damit des Leidens in der Welt.

 

Das Problem des Bösen

Erstens spricht aus philosophischer Sicht die Existenz des Bösen ganz grundsätzlich gegen die Existenz eines guten Gottes. Der Philosoph Kurt Flasch argumentiert in seinem Buch «Warum ich kein Christ bin», dass er aus philosophischen Gründen und aus der gegebenen Welt nicht auf einen weisen und guten Gott schliessen könne.1 Flaschs philosophische Kritik widerspiegelt die intellektuelle Skepsis des modernen Menschen, für den das Leiden und zusätzlich die Verfehlungen der Kirche Stolpersteine für den Glauben sind.

 

Das Argument der Evolution

Zweitens gibt es nach atheistischer Auffassung im Universum keine überzeugenden Anhaltspunkte, die für die Existenz eines Schöpfers sprechen. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins bringt dieses Argument in seinem Buch «Und es entsprang ein Fluss in Eden» mit dem Satz auf den Punkt: «Das Universum, das wir beobachten, hat genau die Eigenschaften, mit denen man rechnet, wenn dahinter kein Plan, keine Absicht, kein Gut oder Böse steht, nichts ausser blinder, erbarmungsloser Gleichgültigkeit.»2 Evolutionsbiologen wie Dawkins vermissen in der Schöpfung eine Zielgerichtetheit, die Hinweis auf die Existenz Gottes sein könnte. Eine Schöpfung ohne erkennbaren Plan, so das Argument, kann kaum aus der Hand eines intelligenten Schöpfers hervorgegangen sein.

Es war genau dieser Mangel an Plan und Absicht in der Natur, den Charles Darwin (1809-1882) von seinem Glauben an den Schöpfergott abbrachte. Das Gesetz der natürlichen Auslese, das Darwin entwickelte, verdrängte seinen ursprünglichen Glauben, weil er den Gedanken der Zielgerichtetheit der Schöpfung nicht zuliess. Damit wurde der Schöpfer in Darwins Weltanschauung überflüssig. Am Ende stand für ihn fest, dass es für die Menschen ebenso schwer ist, den Glauben an Gott abzuschütteln, wie für den Affen seine instinktive Angst vor Schlangen. Darwins Entwicklung gleicht einer negativen Bekehrung, bei der er seinen ursprünglichen Glauben an Gott verlor.3 In der atheistischen Weltanschauung schliesst das Übel die Existenz Gottes also aus. Dort, wo Planlosigkeit und erbarmungslose Gleichgültigkeit herrschten, könne kein Schöpfer sein.

 

Die fehlende Glaubwürdigkeit der Christen

Drittens weisen Atheisten darauf hin, dass die Religion in vielen Fällen eine Quelle des Leides gewesen sei, so dass von frommen Menschen nicht auf einen guten Gott geschlossen werden könne. In seinem Buch «Der Herr ist kein Hirte» moniert der Religionskritiker Christopher Hitchens, die Religion sei Ursache vieler Übel in der Welt und ein falscher Trost.4  

Christopher Hitchens "Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet." (Buchcover)

Ein Protest, der nicht weiterhilft

Die Stärke der atheistischen Weltanschauung liegt in ihrem scharfsinnigen Protest. Eine Hilfe für Leidende ist sie nicht. Leiden ist in dieser Weltanschauung ein dummer Zufall, ein blindes, erbarmungsloses Schicksal. Das «malum physicum» kann aus atheistischer Sicht nicht für gut erklärt (bonisiert) werden. Das ist für Menschen, die chronisch unter einem Übel leiden, im besten Fall enttäuschend. 

 

 

Im schlimmsten Fall ist es völlig niederschmetternd. Auf jeden Fall ist es herabsetzend. Das Übel wird zu einem blossen Abfallprodukt eines evolutionären Vorgangs erklärt. Es ist ein Kollateralschaden, der für die Höherentwicklung der Spezies in Kauf genommen werden muss.5  Diese Anschauung entwertet menschliches Leiden in eklatanter Weise. Wenn dem Leiden kein höherer Zweck zugeschrieben werden kann und nur erbarmungslose Gleichgültigkeit und Zufall dahinterstecken, ist das Übel unerträglich. Die atheistische Interpretation der Realität mag angesichts von Leid und Schmerz intellektuell befriedigen. Für viele ist sie ein felsenfestes Argument gegen die Existenz Gottes und manche benutzen die Argumentation dazu, sich die Frage nach Gott gar nicht erst zu stellen. 

Keltisches Kreuz (Bild: Hanspeter Schmutz)

Protest ohne Hoffnung

Über den heftigen Protest an der Religion hinaus hat der Atheismus nicht viel zu bieten. Klaus von Stosch weist darauf hin, dass der Protestatheismus moralisch bedenkliche Implikationen hat.6  Er schliesst die Möglichkeit aus, dass Leiden jemals wiedergutgemacht und überwunden werden kann. Mit seiner radikalen Diesseitigkeit zerstört er jede Hoffnungsperspektive endgültig. Der Leidende wird mit der Sinnlosigkeit seines Leides allein gelassen. Die atheistische Lösung des Theodizee-Problems – der Frage nach einem guten Gott – ist eine Scheinlösung. Mit ihr scheidet Gott als Ursache des Leides zwar aus, das Leid aber verschwindet nicht, sondern bleibt als Übel bestehen. Wer aus Protest gegen das Böse Gott aus seinem Leben streicht, macht die Sache nur noch schlimmer, ihm oder ihr bleibt nur noch eine böse und absurde Welt und sonst nichts.

Als Leidender glaube ich wie Hiob lieber an einen Gott, auch wenn ich seinen Plan nicht verstehe, als an ein kaltes Schicksal, dem ich mich fügen muss. Aus atheistischer Sicht kann mein Leid niemals ein sinnvolles Kapitel in meinem Leben sein, es bleibt mir nur, diesem Übel auszuweichen.7  Als Christ weiss ich, dass Gott mitten in meinem Leiden präsent ist und an mir wirkt. Mein Ziel ist nicht ein von Leiden und Problemen freies Leben. Mein Ziel ist es, Gott mit meinem Leben zu ehren, ihn zu lieben und meine Berufung zu leben. Teile dieser Bestimmung kann ich auch im Leiden finden. Mit Gott kann ich getrost durch das finstere Tal gehen, weil ich weiss, dass Gottes Güte und Barmherzigkeit mir mein Leben lang folgen werden.8  


1 Flasch, Warum ich kein Christ bin, 179

2 Dawkins, Und es entsprang ein Fluss in Eden, 151

3 Lauster, Die Verzauberung der Welt, 562

4 Hitchens, Der Herr ist kein Hirte, 20ff

5 Von Stosch, Theodizee, 65

6 Ebd., 115ff für das Folgende

7 Keller, Gott im Leid begegnen, 34

8 Psalm 23,4-6

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