Wie weiter nach der Pandemie?

Angesichts der Herausforderungen rund um Corona steht uns eine ungewisse Zukunft bevor. Ist das ein Anlass zur Ängstlichkeit oder werden wir dadurch herausgefordert zur Hoffnung?

(Lesezeit: 7 Minuten)

Als ich 1995 als junge Führungskraft das erste Mal eine grosse Umstrukturierung bei meinem damaligen Arbeitgeber erlebte, dachte ich: «Nun muss ich als geübter und trittsicherer Wanderer in den Schweizer Bergen den markierten Weg verlassen und mich mit einem Surfbrett auf die Wellen des wilden Wassers begeben.» Meine Freunde beschwichtigten mich, das sei nur eine Phase und es werde bald wieder ruhig und normal. Aber es wurde nicht mehr ruhig und normal. Nie mehr. Eine Restrukturierungswelle folgte der anderen.

 

Müdigkeit und Ärger

Und nun, Ende 2021, nach 1½ Corona-Jahren, schauen wir ermüdet und verärgert auf diese Zeit zurück. Und wir fragen uns zögerlich: Haben wir Corona überwunden? Kommt nun 2022 endlich das neue Normal? Oder werden demnächst die Islamisten und die Afrikaner doch noch über uns herfallen, wenn nicht die Chinesen zuvor die ganze Welt zusammengekauft haben? Werden Bern und Zürich zu Sodom und Gomorrha, weil nun auch die Schwulen heiraten dürfen? Oder wird wegen fehlendem Strom die Energie knapp werden, so dass wir plötzlich unsere Teslas nicht mehr aufladen können? Wehmütig denken wir an die guten alten Zeiten zurück, als der Geist der Ruhe, Stabilität und Planungssicherheit noch über der Schweiz brütete, die Kirche noch im Dorf stand und die christlichen Werte im Vaterland noch etwas zählten.

Bloss – wann gab es diese guten alten Zeiten, die wir nostalgisch beschwören und wieder auferstehen lassen wollen?

 

Die «guten» alten Zeiten

1918 bis 1920 forderte das Influenza-Virus A/H1N1 als Spanische Grippe weltweit 50 Millionen Toten. Seither beschäftigt uns die saisonale Wintergrippe. Eine Influenza-Pandemie wie die Spanische Grippe ist noch nicht eingetreten, aber die Sensibilität in der Fachwelt ist nie mehr eingeschlafen und die Grippewellen 1889-90, 1957–58, 1968–70 und 1977–78 forderten weltweit je eine Million Tote. Im Zusammenhang mit COVID-19 werden mittlerweile 5 Millionen Tote gezählt. Die Angst vor der grossen Seuche ist wieder erwacht.

Der Erste Weltkrieg 1914 bis 1918 mit 10 Millionen Toten auf dem Schlachtfeld und 11 Millionen zivilen Toten sowie der Zweite Weltkrieg 1939 bis 1945 mit insgesamt mehr als 70 Millionen Toten waren die grossen Disruptionen1 des 20. Jahrhunderts. Die Entwicklung der Atomwaffen und der West-Ost-Konflikt läuteten die Phase des «Kalten Krieges» ein, der das Bewusstsein und das Verhalten der Generationen von 1945 bis 1990 prägte. Der Dritte Weltkrieg als apokalyptischer Atomkrieg ist bisher nicht eingetreten, aber aufgrund des Wettrüstens und der zahlreichen regionalen Stellvertreterkriege ist die Angst davor nicht mehr eingeschlafen.

Tschernobyl-Monument (Bild: Pixabay)

Die Atomkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 und der Chemiegrossbrand von Schweizerhalle am 1. November 1986 waren Auslöser der «Risikogesellschaft», die uns im kritischen Umgang mit technischem Fortschritt und im Risikoverständnis von «Man Made Disasters»2 seit 35 Jahren prägt. Eine gesellschaftszerstörende Grosskatastrophe ist bisher nicht eingetreten, aber die Angst davor ist geblieben.

Die Kaskade der «9/11» Terroranschläge am 9. September 2001 weckte weltweit die Furcht vor islamistischen Terroranschlägen und zeigt seit 20 Jahren in den Bereichen Sicherheit, Verkehr und im interreligiösen Zusammenleben markante Auswirkungen. Der «Krieg der Religionen» ist bisher nicht ausgebrochen, aber auch diese Angst ist präsent geblieben.

Mittlerweile malen nicht nur Hollywood, sondern auch noch Netflix und die Gaming Industrie die ganze Breite an Weltuntergangsszenarien vor unsere Augen.

 

Die Suche nach christlichen Antworten

Wollen wir nun als Christinnen und Christen auch noch ins selbe Horn blasen? Und bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit die vier apokalyptischen Reiter, Bibelstellen aus Daniel, der Offenbarung und der Endzeitrede Jesu zitieren und den Weltuntergang aufgrund des Popularitätsverlustes der christlichen Werte proklamieren? Glauben wir wirklich, dass wir von Gott gerufen sind, als Prophetinnen und Propheten die Apokalypse herbeizureden?

Halten wir fest: Ja, das Leben ist gefährlich. Und dass derartige Bedrohungsszenarien unsere emotionalen Ängste wecken, ist normal und natürlich. Und ja, durch Corona haben wir eine Büchse der Pandora geöffnet: Die Angst vor der Seuche ist wieder da. Und so wie unsere Grosseltern nach dem Zweiten Weltkrieg sich vor dem Phantom des Dritten Weltkrieges fürchteten, werden wir nun nach COVID-19 das Phantom der nächsten Pandemie fürchten. Könnte COVID-23 vielleicht noch viel ansteckender und tödlicher werden? Werden wir nach einer Phase des «Kalten Krieges» nun durch eine Phase der «Kalten Pandemie» blockiert werden?

Als Christinnen und Christen sind wir in besonderer Weise herausgefordert: Die Zeiten der Bibel waren oft übel! In den biblischen Geschichten sind Hungersnot, Kriegsverbrechen, Seuchen, Ehebruch und Brudermord allgegenwärtig. Dies sind wahrlich keine romantischen Geschichten einer glückseligen und guten alten Zeit. Aber ich finde in meiner Bibel keinen einzigen Bibelvers, der lautet «Habt Angst!» oder «Fürchtet euch!»

 

Hoffnung als Entscheidung und Haltung

Die Bibel fordert uns zur Hoffnung heraus! Dies ist kein Gefühl, sondern eine bewusste Entscheidung und Haltung. Sie ist ein zuversichtlicher Glaube an einen Gott, der das Leben geschaffen hat und der alle Menschen retten will: einerseits in einer geistlich-transzendenten Dimension – aber immer auch konkret. Denn die Bibel ist keine Sammlung von Theorien, sondern eine Zusammenstellung von Geschichten über Menschen, die leben und überleben wollten, trotz widriger Umstände und schwerer Schicksalsschläge.

Diese Hoffnung besteht einerseits aus Gebet und Gottvertrauen, zugleich aber immer auch aus unserem eigenen Engagement: Wir dürfen und sollen uns mit Kraft und Ausdauer einsetzen, um neue Wege und kreative Lösungen zu finden. Diese Haltung und dazu die göttliche Weisheit und Gnade werden wir brauchen, wenn wir Lösungen finden wollen, um die zahlreichen Veränderungen durch Megatrends und Disruptionen auf ein gutes Ziel hinzuführen.

Und wenn ich in meiner Bibel genau hinschaue, dann finde ich dazu zahlreiche passende Bibelstellen wie «Habt keine Angst!» und «Fürchtet euch nicht!» Genau das braucht es, damit wir als Christinnen und Christen nicht nur eine Glaubensgemeinschaft sind, sondern auch eine Kultur der Hoffnung leben können.

 

1 zerstörerische Entwicklungen

2 vom Menschen verursachte Katastrophen

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Kommentare

Wilf schreibt
am 1. November 2021
Ich bin mit der Grundhaltung von Andreas einverstanden. Aber ich möchte als Hoffnungsträger noch weiter gehen und bewusst die Entscheidung fällen, wieder Normalität zu leben. Vielleicht mit etwas mehr Hände waschen... Aber Beziehungen wieder ungehindert pflegen. Berührung wieder suchen. Einander wieder ins Gesicht schauen, statt mit der Maske signalisieren, dass jeder Mensch eine potenzielle Bedrohung ist. - Die Zeit hat gezeigt, dass Covid gefährlich sein kann und weltweit rund 5Mio Menschen daran starben. Dies müsste man aber ins Verhältnis setzen zu den 250Mio die neu wegen den Covid-Massnahmen hungern. Oder zu den gesellschaftlichen Folgen von Angst und psychischen Problemen in unseren Breitengraden. - Jeder Christ ist eingeladen, die Zeit der Angsttyrannei (sei das die Angst vor dem Virus oder die Angst vor der Impfung, oder gar die Angst vor Verschwörungen) im Vertrauen auf Jesus zu beenden.