Es war einmal eine Zukunft?

Der Verlust unserer Zukunft – darüber wird zurzeit in vielen Medien nachgedacht, manchmal sogar mit einem religiösem Bezug. Die letzten Jahre haben uns mit voller Wucht in die Zukunftsfrage katapultiert! Der Fortschrittsglaube wankt. Aber auch die christliche Hoffnung ist in Frage gestellt.

(Lesezeit: 8 Minuten)

Es war einmal Zukunft. Dieser Satz stammt vom renommierten Historiker und Philosophen Philipp Blom. Am 12. Mai dieses Jahres meinte er in der SRF-Sternstunde Philosophie: «Unsere bisherigen Errungenschaften sind bald nichts mehr wert, die Natur schlägt zurück.»

(Bild:  Johnson Martin auf Pixabay)

Die Zukunft steht in Frage

Über diesen Verlust der Zukunft wird zurzeit in vielen Medien nachgedacht, manchmal sogar mit einem religiösem Bezug. So etwa von Sven Behrisch im April des letzten Jahres: «Vielleicht ist unsere Reaktion auf das Coronavirus nur ein Testlauf für die wirkliche Katastrophe, die auf uns zukommt. Das Virus löst derart bombastische Reaktionen aus, weil es unser fragil gewordenes Weltbild attackiert. Vielleicht hat es der liebe Gott gewollt, dass wir die Katastrophe zunächst in einer Generalprobe üben, bevor sie dann wirklich kommt.» Oder von Nina Kunz im August 2021: «Darf ich Ihnen eine diskrete Frage stellen? Haben Sie Angst vor dem Weltuntergang? Ich frage nur, weil es im Moment echt so scheint, als gehe die Welt unter.»  Bedenken äusserte auch Professor Heinz Wanner von der Uni Bern im vergangenen Monat September: «Im hintersten Hinterkopf habe ich Bedenken in Bezug auf die Reaktion der Politik. Und gleichzeitig habe ich die grösste Hoffnung, dass man nun rasch reagiert. Es wird sich in den nächsten 50 bis 100 Jahren entscheiden, ob der Mensch es schafft, seine Spezies zu erhalten.»

 

Unser Dilemma

Es ist offensichtlich: Der Mensch ist mit seinem ungebremsten Konsumbedürfnis der grösste Bremsfaktor auf dem Weg in eine lebenswerte Zukunft! Schafft er rechtzeitig die dringend nötige Abkehr vom Wachstumswahn? Trotz ökologischer und sozialer Verwerfungen wandeln wir internationale Konferenzerfolge subtil in Absichtserklärungen um und befolgen sie dann vor Ort nur noch halbherzig.

Die letzten Jahre haben uns deshalb mit voller Wucht mitten in die Zukunftsfrage katapultiert! 

Der Fortschrittsglaube wankt. Aber auch die christliche Hoffnung ist in Frage gestellt. Sätze wie «Gott ist gut, und deshalb wird alles wieder gut» wirken heute banal und tönen immer zynischer. Sie sind falsch. Die biblische Theologie der Hoffnung hätte in unserer Lage viel mehr zu sagen!

 

Der österliche «Blick über den Zaun»

Auch Christen haben Angst. Wie alle anderen Menschen leben und leiden sie in der zerbrechlichen Welt einer gefallenen und leidenden Schöpfung. Die Bibel redet das nicht schön, sondern fordert dazu auf, alle «Zeichen der Zeit» theologisch zu qualifizieren und mitten in dieser Zeit an der Hoffnung auf die ewige Erlösung festzuhalten.

Ostern lenkt den Blick auf den auferstandenen Christus, der uns eine ewige Zukunft bei Gott eröffnet hat! Auf Rettung, Gerechtigkeit, Auferstehung und ewiges Leben hoffend, können wir laut Jürgen Moltmann unsere «ganze Gegenwart annehmen und Freude nicht nur in der Freude, sondern auch im Leide, Glück nicht nur im Glück, sondern auch im Schmerz finden. So geht die Hoffnung durch Glück und Schmerz hindurch, weil sie Zukunft auch für das Vergehende, Sterbende und Tote an den Verheissungen Gottes erblicken kann.»

 

Die Realität prophetisch klar sehen

Diese christliche Hoffnung ist kein Optimismus, sondern eine prophetische Gewissheit. Gott lässt zwar die durch den Menschen schuldhaft verursachte Zerstörung seiner Schöpfung «im Gericht» zu, hält aber jenseits dieser Wirklichkeit eine neue Welt bereit.

Seit Jahrzehnten weisen unzählige Fachleute auf die Grenzen des Wachstums hin. Ähnlich pessimistisch wie die biblische Prophetie und Eschatologie bezeichnet etwa Gregor Taxacher unsere Zeit als «permanente Endzeit mit apokalyptischem Charakter: Jetzt ist es zu spät, und zwar grundsätzlich und gegenwärtig, nicht nur prognostisch.»  

In der Übergangszeit nüchtern bleiben

Das Neue Testament ordnet die globalen Krisen und Nöte einer Übergangszeit zu. In ihr gilt das «Es ist vollbracht» ebenso wie das «Es ist noch nicht, was sein wird». In dieser Übergangszeit zu wissen, dass Gott alles erneuern wird, entlastet vom krampfhaften Selbstanspruch, die irdische Zukunft retten und Vollkommenheit schaffen zu müssen. Dieser Idealismus ideologischer Heilsutopien und irdisch-religiöser Wunschträume überfordert uns und hat die Menschheit bisher immer bitter enttäuscht.

Wo menschlich versucht wird, eine pseudoheile Gesellschaft und/oder eine absolut reine Kirche zu schaffen, ist Widerstand nötig. Nur so kann das Chaos vermieden werden, das egomane Personen immer wieder – mit oder ohne Religion – anrichten!

Gottes Geist hilft, solche frommen, pharisäisch-zelotischen1 Ambitionen zu entlarven und wo möglich zu entmächtigen! Christliche Hoffnung bleibt nüchtern, weil sie den Charakter der Welt und die Unvollkommenheit des Menschen kennt.

Trotz all’ dem gilt: Das Reich Gottes entwickelt sich schon seit Pfingsten. Warum also sollten wir uns in ideologischer Verblendung überfordern?

 

Eingreifen und gestalten

Christliche Hoffnung hat nichts zu tun mit Weltflucht, Fatalismus und Resignation. «Handelt, bis ich wiederkomme!» sagt Jesus. Er motiviert uns, in der Welt zu handeln und einzugreifen, uns einzumischen und diese Welt zu gestalten.  

Es gehört zur Stärke christlicher Hoffnung, dass sie eine schöpferische und erfinderische Phantasie entfaltet, die es möglich macht, dem Mitmenschen, der Gesellschaft und der Schöpfung zu dienen. Sie entfacht eine Leidenschaft für das schon Mögliche und Machbare im Hier und Jetzt! Wo es politische Freiräume für das christliche Engagement gibt, können solche innerweltlichen «kleinen Hoffnungen» hie und da Realität werden.

Empirisch gesehen sind sie jedoch nie für die Ewigkeit gedacht! Aber solange Gott es noch über Gute und Böse regnen und die Sonne scheinen lässt, solange dürfen Christen in ihrer Gestaltungsaufgabe und Weltverantwortung nicht nachlassen!

Seit 1989 bewährt sich dafür der Dreiklang «Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung» als hilfreicher und (selbst)kritischer Massstab für einen Lebensstil, der die Freiheit von der jetzigen Welt mit der Erwartung der Neuen Welt verbindet und uns hilft, in diesem Spannungsfeld für die Menschen da zu sein.

 

Hoffnungsvolle Vorfreude

Die biblische Hoffnung zielt exklusiv auf die kommende universale Gottesherrschaft. Seit Pfingsten wächst sie heran. Und sie wird sich nach dem Abbruch der alten, tendenziell destruktiven Welt vollenden. Noch gehören die hoffnungsvollen Zeichen des Reiches Gottes und die pessimistische Aussicht auf das Weltende zusammen in der Schnittstelle zwischen der ersten und zweiten Schöpfung, von Zeit und Ewigkeit, im «Schon jetzt und Noch nicht».

Deswegen ist unsere Hoffnung jetzt noch angefochten. Aber ein mit Liebe und Glaube zu Gott hoffender Mensch kann inmitten der Nöte und Gerichte im Vorfeld des endgültigen Neuanbruchs geduldig warten und Lebensumstände ertragen, Angst überwinden und auf Endzeitspekulationen getrost verzichten.    

Diese erwartungsvolle Hoffnungsgewissheit weckt Vorfreude, weil sie über den Zaun blickt! «Es war einmal Zukunft». – Nein, streichen wir diesen Satz. Die Zukunft ist Gottes und gehört uns schon jetzt!

 

1 Die Zeloten waren jüdische Widerstandskämpfer, die zur Zeit Jesu die Juden mit Gewalt von den Römern befreien wollten.

 

Zitierte Literatur:

Jürgen Moltmann, Theologie der Hoffnung, München, 1965

Gregor Taxacher, Apokalypse ist jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit, Gütersloh 2012

Zürcher Tages-Anzeiger, diverse Artikel, 2020/21

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